Romane
Kommentare 9

Ingvar Ambjørnsen – Den Oridongo hinauf

pb

Ingvar Ambjørnsen ist ein norwegischer Autor. Bevor er nach Hamburg zog, lebte er lange in Larvik, einer Stadt im südlichen Norwegen. Er arbeitete als Schriftsetzer, Gärtner, Fabrikarbeiter und Pfleger in einer psychiatrischen Klinik. In dieser hat er vielleicht auch die Anregungen für seine wohl bekannteste Buchreihe bekommen – Elling. Diese mehrteilige Reihe wurde sogar jeweils ausschnittsweise verfilmt und diesen Film habe ich bereits vor Jahren gesehen, ohne, dass es Klick gemacht hätte, als ich den Namen Ambjørnsen las. Seit 1985 lebt er dauerhaft in Hamburg. Mit Den Oridongo hinauf ist Ambjørnsen ein eher ruhigeres und stetig vor sich hin fließendes Stück Erzählkunst gelungen.

Den Oridongo gibt es gar nicht. Aber es klingt so überzeugend, so echt nach Urwald und hitzeflirrender Luft, dass wir unserem Protagonisten Ulf Vågsvik seine viel beschworene Reise den Oridongo hinauf ohne zu zögern abnehmen, wenn er sie hier und da in Nebensätzen erwähnt. Ulf stammt eigentlich aus Oslo und führte vor seiner Ankunft auf der kleinen Insel Vaksøy ein ganz gewöhnliches und urbanes Leben, mit all seinem Wahnsinn und seinen Annehmlichkeiten. Irgendwann entschied er sich jedoch, auszubrechen, wegzufahren in die Ruhe und Stille, die er in der Stadt so schmerzlich vermisste. Auf Vaksøy lebt seine langjährige Brieffreundin Berit und so packt er seinen kleinen Koffer mit ein Paar Hemden und Unterhosen, setzt den Hut auf, den er später verleugnen wird und fährt nach Vaksøy. Um sich zunächst vorübergehend bei Berit einzuquartieren und dann doch zu bleiben.

Ich liege da und schlafe ein und wache auf, stelle die Wirklichkeit auf den Kopf, während Traumbilder sich mit meinen Gedanken verflechten, und wenn das Geräusch der Schiffsmotoren sich in der Ferne verliert, wird das schmale Bett, in dem ich liege, zu einem anderen Bett an einem anderen Ort, zu einer Pritsche, und das Zimmer wird zu einer Kajüte umgeträumt, ehe das Geräusch der Motoren wieder durch meine Gehörgänge pocht, ich fahre den Oridongo hinauf, den düsteren Strom hinauf, und es ist so heiß und feucht und hämmernd einsam, so erfüllt von Krankheit und Sehnsucht, und wenn die Motoren ausgeschaltet werden, kann ich daliegen, die Hände vors Gesicht geschlagen oder zwischen die Oberschenkel geschoben und dem Geplapper der Vögel des Dschungels lauschen, oder Lachen und Weinen aus den anderen Kajüten und von Deck, laufenden Füßen, dem Klang von Trommeln, weit, weit weg, ich kann einfach ganz still daliegen, und Sekunden, Minuten und Stunden zerbrechen.

Ulf scheint sich gut eingelebt zu haben auf Vaksøy. Er hat sein altes Leben hinter sich gelassen, er hat sogar einen anderen Namen. Nur ab und an werden wir Zeuge von Tagträumereien und merkwürdig impulsiven Reaktionen, die allenfalls grobe Rückschlüsse darauf zulassen, was in Ulfs Leben vor seiner Ankunft auf Vaksøy passierte. Doch in dieses tägliche Einerlei, im Einklang mit Natur und sich selbst, brechen bald die Niederlande. Oder Holland. Jedenfalls die Familie van der Klerk, die sich entschlossen hat, aus den Niederlanden nach Norwegen auszuwandern und dort fortan ihr Leben zu verbringen. Die Bewohner Vaksøys richten sogar die alte Schule für die kleine Familie her, das Holländerhaus, nennen sie es. De Ankunft jedenfalls wird akribisch vorbereitet, am Anleger steht ein großer Teil der Inselbewohner, um die Einwanderer freundlich willkommen zu heißen – doch der Tag endet in einer schrecklichen Katastrophe, die bei Ingvar Ambjørnsen, ich weiß nicht wie, doch noch eine komödiantische Note bekommt. Diese Katastrophe wird Ulf aufrütteln und lange verschütteten Schmerz freilegen.

Der Schmerz, den ich mit mir herumschleppte, lief langsam aber sicher in einem Zeitraum von vielleicht zehn Jahren aus mir heraus. Floss er in einen anderen weiter? In einem Neugeborenen? Dieser Gedanke quält mich. Es kommt mir so logisch vor. Wie Erkältung oder Grippe. Man niest und rotzt und wenn man wieder gesund ist, sind Milliarden von Bazillen auf dem Weg zu neuen Zielen.

Es fällt mir fast ein bisschen schwer, zu beschreiben, wie genau dieser Stil Ambjørnsens den Leser trifft. Die Geschichte fließt tatsächlich, mal wie ein breiter und reißender Strom, mal wie ein kleines Bächlein irgendwo im Gebirge. Viel Poesie steckt in diesem eigentlich recht schmalen Büchlein, viel Leid, aber auch das Gefühl, angekommen zu sein. Bei einem Menschen und an einem Ort, sei er auch noch so abgelegen und archaisch. Zwischen all der Poesie findet aber auch noch ein ganz herrlicher Humor Platz, eine Form der Selbstironie, die Ulf offensichtlich braucht, um sich von seinen seltsamen Angewohnheiten zu distanzieren. Seiner krankhaften Eifersucht. Seiner Neigung, einfach aus unangenehmen Situationen davonzulaufen und irgendwo zu verstecken, wie ein trotziges Kind. Wir wissen am Ende noch nicht so genau, was Ulf eigentlich erlebt hat. Wir können Mutmaßungen anstellen über den Verlust seiner Haare, seine hier und da eingestreuten Kindheitserinnerungen, über seine fortwährenden Beteuerungen, aus ihm sei ein anderer Mensch geworden, er sei ein reuiger Sünder – aber dann frage ich mich, – ist das wirklich so wichtig? Ist es für den Strom des Flusses, für den Lauf der Geschichte, wirklich von Belang, was Ulf nun erlebte, bevor er mit einem Hut und einem Koffer Vaksøy betrat? Nein, eigentlich nicht. Ulf ist angekommen, lebt im Einklang mit sich, hat die Quelle des Oridongo erreicht, der vermutlich stellvertretend für ihn alle furchtbaren Erinnerungen mit sich reißt. Ein sprachlich wirklich herausragendes, wenn auch nicht ganz so leicht zugängliches Buch, in das man sich vielleicht erstmal versenken muss, bis einen die Strömung erfasst. Aber dann, … dann ist sie ziemlich stark.

Ich fahre durch die Nacht, aber auch durch die Zeit, die mir zugewiesenen Stunden und Sekunden auf Erden, während mein Körper langsam aber sicher zersetzt wird, Molekül um Molekül, irgendwo habe ich gelesen, dass das, was wir normalerweise einfach Hausstaub nennen, in Wirklichkeit aus toten Zellen von Menschenkörpern besteht, Haufen von toten Zellen, von denen Milben und andere mikroskopisch kleine Tiere sich ernähren, die sie verzehren und hinten aus sich herauspressen, wie wir das mit Schweinebraten und Kartoffeln machen, so denke ich auf dem Weg hinab zu Kirche und Friedhof, wo du begraben bist, ehe der Weg sich langsam im Talinneren wieder hebt, ich lasse Laugen hinter mir, die Lichter verschwinden.

Weitersagen

9 Kommentare

  1. Pingback: Ein (Blog)Jahr 2013 endet | Literaturen

Schreibe einen Kommentar zu mickzwo Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert