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Jan Hellstern – Kinder des Bösen

9783036956558

Jan Hellstern ist ein deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor. Er schrieb bereits mehrere Drehbücher für Fernsehen und Kino und war Regisseur verschiedener Kurz – und Werbefilme. Kinder des Bösen ist sein Debütroman.

Dieses Buch hat mich ohne Zweifel sehr überrascht und mir einige höchst spannende und unterhaltsame Lesestunden beschert. Der Titel klingt reißerisch und dennoch muss ich nach Beendigung der Lektüre sagen, dass er insofern passend erscheint als sich dieser Roman mit dem Bösen und seiner Entstehung auseinandersetzt. Hellstern konfrontiert uns hier mit einer Frage, die mitnichten neu ist. Wie entsteht das Böse? Können Menschen von grundauf böse sein? Wenn nicht, was treibt sie dazu? Das waren schon immer Fragen, die auch mich brennend interessiert haben, sodass sich in mir irgendwann ein etwas morbides Interesse für Serienmörder entwickelte. Ted Bundy, Jeffrey Dahmer, John Wayne Gacy, Richard Ramirez – was trieb sie an? Selbstverständlich beantwortet Hellstern diese Frage nicht, aber er liefert uns ein literarisches Arrangement, nach dessen Genuss wir nicht mehr so schnell im Brustton der Überzeugung sagen können, wer hier böse ist und wer nicht.

Der junge Deutsch-Tscheche Honsa wird kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges gezwungen, sein Zuhause zu verlassen. Man will ihn als Kanonenfutter an die Front schicken und um ihn zu schützen, beschließt sein Vater, den Jungen fortzuschicken. Man könnte das für eine liebevolle und schützende Geste halten, doch der Umgang mit seinem Sohn war niemals liebevoll. Pavel Haas schlug Honsa regelmäßig, oft ohne erkennbaren Grund, er sperrte ihn in den ans Haus angrenzenden Geräteschuppen. Alles angeblich nur, weil Honsa durch eine Polioerkrankung als kleiner Junge eine verkümmerte Hand hatte und für das Handwerk seines Vaters somit nicht tauglich war. Es ist ein tiefer Graben in dieser Familie, als Honsa sie verlässt. Zunächst ohne einen Plan, wohin er gehen soll, um vor den SS-Männern in Sicherheit zu sein, die ihn bald schon als Fahnenflüchtigen suchen werden.

Er entschließt sich, nach Prag zu fahren, seine Geburtstadt, obwohl er keine bewusste Erinnerung an sie hat. Schon auf der Fahrt nach Prag lernt er im Zug eine junge Frau namens Lenka kennen, die ihm zunächst in der kleinen Pension ihrer Mutter Unterschlupf gewährt. Dort entdeckt er in seinem kleinen Reisekoffer, den der Vater schon lange für ihn gepackt hatte, einen alten Brief, der sich mit seiner psychisch kranken Großmutter und einer gewissen Neigung zu nervlichen Erkrankungen befasst.

Auch wenn die Symptome ihrer Frau Mutter sich auf die bekannten Umstände zurückführen lassen, kann ich eine erbliche Schwäche oder Veranlagung nicht ausschließen. Ich rate Ihnen daher dringend, Symptome von Wahn oder Schwermut innerhalb Ihrer Familie unbedingt ernstzunehmen und einer sorgsamen Untersuchung zuzuführen.

In Honsa reift die schreckliche Ahnung, auch er könne eines Tages wahnsinnig werden, denn schon seit seiner Flucht von zuhause erscheint ihm immer wieder ein kleiner Junge, den offensichtlich nur er sehen kann. Nachdem er ziemlich zufällig vor der Praxis eines gewissen Jiri Pavelik, eines beinahe achtzigjährigen, etwas schrulligen Forensikers, in den Straßen Prags fast in Ohnmacht fällt, beginnt eine alles verändernde Spurensuche, eine Reise in seine Vergangenheit, die ein gut bewahrtes Geheimnis seiner Familie offenbart.

Es war Nacht und hatte zu schneien begonnen. Dicke Flocken sammelten sich auf dem Sims des Praxisfensters, während die Kälte die feuchten Scheiben zu runden, eisigen Gucklöchern zusammenzog. Dr. Pavelik lag in seinem Sessel, den Mund weit geöffnet. Sein schmales Gesicht war zerfurcht von tiefen Falten, auf denen der Schein des Kaminfeuers einen seltsamen Tanz vollführte. Nichts regte sich in seinen Zügen, so als sei jedes Leben aus ihm gewichen. Nur unter seinen hauchdünnen Lidern war in unregelmäßigen Abständen ein kaum merkliches Zucken zu erkennen. Doch der Arzt schlief nicht einmal. Seit langer Zeit verbrachte er den Großteil der Nacht damit, müde zu sein, anstatt zu schlafen. Unendlich müde. Bleischwer kreisten seine Gedanken um jenen jungen Mann, Honsa Haas, den angehenden Jurastudenten. Was für eine Ironie, dass es Recht und Gerechtigkeit waren, denen er sein Leben verschreiben wollte.

Hellstern gelingt es ganz hervorragend, die Lebensläufe seiner Protagonisten miteinander zu verflechten. Wir erfahren von Geschehnissen, die im ersten Moment ein eindeutiges Urteil erzwingen, um dann im nächsten Schritt zu erkennen, dass moralische Urteile nicht leichtfertig und im Affekt gefällt werden sollten. Gerade in einer Gesellschaft, die mitunter gern mit Fackeln und Mistgabeln durch Dörfer zöge, um das Böse auszurotten, würde sich mithilfe dieses Buches möglicherweise bewusst, dass Gut und Böse nicht immer so leicht auseinanderzuhalten sind.

Der Roman liest sich flüssig, schon mit den ersten Seiten wird man in seinen Bann gezogen und das ist auch der Grund dafür, dass ich ihn innerhalb weniger Stunden gelesen habe. Eine wirklich spannende, gut erzählte Geschichte, mit dem Anspruch, das eigene Denken in Bezug auf moralische Kategorien hin und wieder einer Prüfung zu unterziehen. Ein Roman, ein bisschen Thriller, ein bisschen Krimi, eine gesunde Mischung aus allem, was Spaß macht, aber dennoch den Geist beansprucht. Hoffentlich werden wir in Zukunft noch mehr von Jan Hellstern lesen.

 

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