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Eowyn Ivey – Das Schneemädchen

Eowyn Ivey ist eine nordamerikanische Schriftstellerin. Sie studierte Journalismus und Kreatives Schreiben, arbeitete jahrelang als Redakteurin beim Frontiersman Newspaper und ist heute Buchhändlerin. Das Schneemädchen ist ihr Debütroman.

Die Geschichte basiert auf der russischen Märchengestalt Snegurotschka (zu deutsch: Schneemädchen oder auch Schneeflöckchen)  Die bekannteste Geschichte entstammt der Märchensammlung Alexander Afanassjews, die von 1855 bis 1863 in acht Heften erschienen ist. Ein altes Ehepaar, das kinderlos geblieben ist, wünscht sich sehnlichst ein Kind. Eines Tages beobachten sie andere Kinder beim Bauen eines Schneemanns und beschließen gemeinsam, ein Mädchen aus Schnee zu bauen. Es erwacht zum Leben und verbringt den Winter mit dem alten Ehepaar, bis es, wenn der Frühling naht, wieder ins Gebirge verschwindet.

Viel mehr passiert auch in Eowyn Iveys Adaption der Geschichte nicht. Bloß dass sie das russische Volksmärchen auf hunderte Seiten gestreckt hat, ohne, dass irgendetwas Nennenswertes passiert. Mabel und Jack sind nach Alaska ausgewandert, um dort auf einer Farm zu leben. Die Fehlgeburt Mabels hat die beiden tief erschüttert, teilweise vielleicht sogar verbittert gemacht. Gerade Mabel ist zu Beginn der Geschichte sehr kontaktscheu und nimmt nur sehr zögerlich Kontakt zu anderen Bauern der Umgebung auf. So arbeiten und leben die beiden nebeneinander her, bis sie eines Tages, beim Fallen des ersten Schnees, ein Schneemädchen bauen, das am nächsten Tag auf wundersame Weise verschwunden ist.

Durch einige dumme Zufälle ist Mabel zunächst die einzige, die das lebendig gewordene Mädchen zu Gesicht bekommt und so geht man zunächst davon aus, es handle sich um ein Hirngespinst der alten Frau, die den Tod ihres Kindes nie verarbeiten konnte. Doch das Mädchen kommt immer öfter und gehört irgendwann zum festen Bestandteil der Familie. Auch Mabel erinnert sich an das russische Märchen und beginnt schnell zu begreifen, dass das Kind sterben wird, wenn sie es im warmen Haus einquartiert. Schmelzen, könnte man auch sagen, jedoch wird nirgendwo wirklich erwähnt, woraus das Kind besteht. Es ist blond, aber ob es nun aus Schnee besteht oder Eis, ob sie kalt ist, wenn man sie berührt, all das bleibt merkwürdig diffus.

Wenn der Frühling kommt, verschwindet sie in die Berge, um sich in die Kälte zurückzuziehen. Ivey erfindet hier noch eine Liebesgeschichte dazu und führt einen Sohn der benachbarten Bauernfamilie als Liebhaber ein. Doch worüber die beiden reden und wie sie sich verlieben, bleibt im Dunkeln. Sie treffen sich einige Male im Wald, weil sie immer mit ihrem Fuchs herumstreunt und sich offensichtlich sehr gut in der Umgebung auskennt, während er ein passionierter Jäger ist, aber irgendwann zwischen einem herbeigerufenen Schneesturm ihrerseits und einigen erlegten Tieren seinerseits muss es wohl passiert sein. Und nicht nur das – das Schneemädchen wird schwanger. Wie genau das eigentlich biologisch von statten gehen soll, weiß ich nicht. Bekommt sie nun ein Kind aus Fleisch und Blut? Eines aus Eis? Eine Mischung? Wenn ja, ist es überhaupt überlebensfähig? Auch das erfahren wir nicht. Sie ist eben schwanger.

Nachdem dies verkündet wurde, machen sich alle daran, die Hochzeit zu organisieren. Mabel wird dem Mädchen gegenüber immer besitzergreifender, weil sie sich zusehends für das Kind verantwortlich fühlt, was sie wie ihr eigenes aufgenommen hat. Doch mit Müh und Not kann sie sich bremsen und schließlich heiraten sie und der Bauernjunge. Sind glücklich. Haben ein Haus gebaut, dem noch das Dach fehlt und warten auf die Geburt ihres Kindes. Alles scheint glücklich und zufrieden, das Kind schafft es auch noch auf die Welt, doch kurz danach scheint das Schneemädchen an irgendeiner mysteriösen Krankheit zu leiden. Sie und alle anderen bangen und hoffen, doch irgendwann verschwindet sie plötzlich. Und die Geschichte endet.

Sie verschwindet so plötzlich wie sie aufgetaucht ist, wir erfahren nichts von ihr – nur von einem Mann, den sie als ihren Vater ausgibt -, sie wirkt in keiner Sekunde sympathisch, eher tatsächlich wie ein Eisklotz, vielleicht ist das konsequente Charaktergestaltung. Ich habe mich während des Lesens immer wieder gefragt: Und? Wann passiert jetzt irgendwas? Es ist eine ewige, sich ständig wiederholende Abfolge der immer  gleichen Sequenzen. Schneemädchen besucht „Eltern“, Schneemädchen streicht im Wald herum, Schneemädchen verschwindet, weil es Frühling wird, Schneemädchen kehrt zurück und besucht die Eltern, streicht im Wald herum, verschwindet. Wird schwanger, heiratet und verschwindet endgültig. Wie schon anfangs erwähnt, befällt einen das Gefühl einer erzählerischen Endlosschleife, die aber vermutlich entstehen muss, wenn man eine eigentlich recht kurze Geschichte derart überdehnt.

Man kann nicht leugnen, dass der ein oder andere Charakter einen Wandlungsprozess durchläuft. Mabel wird geselliger und findet eine Freundin, sie nimmt wieder mehr am Leben teil. Allerdings hatte ich kaum das Gefühl, dass das dem Schneemädchen geschuldet ist, sondern Esther selbst, die Frau des Nachbarn, die irgendwann einfach von Jack zum Essen eingeladen wurde, ohne Mabel vorher in Kenntnis zu setzen. Es sind Situationen, in denen unsere Ängste gar keine Zeit und Möglichkeit haben, uns zu blockieren, in denen wir über uns selbst hinauswachsen. Das passiert Mabel. Aber auf ganz natürliche Weise und nicht, weil ein eisiges Mädchen in ihr Heim Einzug hält.

Ich habe in der Geschichte nichts gefunden, was mich begeistern könnte. Außer das Ende an sich.

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