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Alain Claude Sulzer – Aus den Fugen

Alain Claude Sulzer ist ein schweizerischer Schriftsteller. Sulzer absolvierte eigentlich eine Ausbildung zum Bibliothekar und war vor seiner schriftstellerischen Tätigkeit lange als Journalist tätig. 1990 nahm er am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil, seit 2008 sitzt er in der dortigen Jury. Seit Anfang der Achtziger veröffentlicht er eigene Prosatexte.

Marek Olsberg ist ein gefeierter Konzertpianist. Anlässlich seines ausverkauften und lange erwarteten Auftritts in der Berliner Philharmonie wird eine große Feier geplant, Politiker und Musikerkollegen wie Sir Simon Rattle haben sich angekündigt. Doch alles kommt anders. Denn mitten in Beethovens Hammerklaviersonate bricht Olsberg ab, murmelt „Das war’s“ und geht von der Bühne. Was mag ihn da überkommen haben? Eine spontane Laune wie sie Künstlern eigen ist? Übelkeit? Das Publikum jedenfalls ist schockiert, ist befremdet, irritiert und enttäuscht.

Anders, als es vielleicht zu erwarten ist, schreibt Sulzer keinen Fließtext über einen von Zweifeln zerfressenen Pianisten, eigentlich spielt Olsberg im gesamten Buch eine auffallend unauffällige Rolle, vielmehr ist er das Zentrum, um das sich die Geschichten der Protagonisten gruppieren. Wir begleiten verschiedene Menschen in verschiedenen Stadien ihres Lebens, die alle entweder tatsächlich Olsbergs Konzert besuchen oder selbiges wenigstens vorhatten. Klara und ihre Patentante Sophie, die dem Alkohol sehr zugeneigt ist, seit Klaras Mutter sich ihren Ehemann unter den Nagel gerissen hat. Esther, die zu Beginn des Abends noch fest davon überzeugt ist, in einer harmonischen und gut funktionierenden Ehe zu leben, während ihre Freundin Solveig sich ungeniert durch die Philharmonie an jeden alleinstehenden Mann gräbt.

Wir sehen Claudius, Olsbergs Agenten, der sich im Taxi mit seinem jungen Liebhaber Nico überwirft, Lorenz, den Bereitschaftskellner, den unvermittelt kriminelle Anwandlungen überfallen, bis sein geplanter Diebstahl eine sehr ungewöhnliche Wendung nimmt. Und zuletzt Johannes, der in der Dame des Begleitservices plötzlich jemanden aus früheren Tagen wiedererkennt. Wir wechseln mit dem allwissenden Erzähler immer wieder die Perspektiven, was anfänglich einiges an Konzentration erfordert, gen Ende aber mindestens genauso spannend wie ein Fließtext ist, der in viele kleine Geschichten zersplittert. Je besser wir die Protagonisten kennenlernen, desto leichter fällt es, von einem zum anderen zu springen.

Die Idee des Buches ist eine interessante, der Name ist Programm. Denn je genauer man hinsieht, desto deutlicher wird, dass das Leben aller Beteiligten an irgendeiner Stelle aus den Fugen geraten ist oder im Laufe des Abends aus den Fugen gerät. Olsberg macht es vor, als er mit seiner nonchalanten Bemerkung die Bühne verlässt, die anderen tun es ihm gleich. Die Risse in der Fassade, die zuvor allenfalls oberflächlich waren, gewinnen nun an Tiefe und man sieht und hört Dinge, die man vielleicht besser nicht gehört hätte. Auch die Sprache Sulzers hat mir zugesagt, sie hat selbst etwas Melodisches. Einzig die Geschichten der Protagonisten waren mir vereinzelt zu abgeflacht. In nahezu allen ging es um Sex und Affären – als wären solche Dinge nun die einzigen, die ein Leben aus den Bahnen lenken können.

Sophie bedauert, dass ihre Schwester sich ihren Mann genommen hat, Sophies Patentochter schläft mit eben diesem Mann, der beinahe vierzig Jahre älter ist als sie. Sie schläft also, um es nochmal so deutlich zu sagen, mit dem Partner ihrer Mutter! Johannes schläft mit Marina und erkennt kurz danach, wer sie ist. Esther entdeckt, dass ihr Mann wohl doch nicht so treu war wie sie immer vermutet hat. Lorenz verliebt sich in eine junge Asiatin, die beim selben Cateringservice tätig ist. Claudius schwärmt leidenschaftlich für den jungen, unverbrauchten Nico. Einzig Astrid, Olsbergs Sekretärin und Mädchen für (fast) alles hat ein ganz bodenständiges Problem: Migräne.

Wären es also andere Geschichten, würde ich ohne Einschränkungen dazu tendieren, dieses Buch zu empfehlen. So bleibe ich dabei, es denen ans Herz zu legen, die sich für Beziehungskisten in sprachlich schönem Gewand erwerben können.

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