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Knut Hamsun – Hunger

Knut Hamsun (1859-1952) war ein bedeutender norwegischer Schriftsteller, der 1920 mit dem Literaturnobelpreis für sein Werk Segen der Erde ausgezeichnet wurde. Er begann die Niederschrift des oben genannten Romans 1888 auf der Schifffahrt von Amerika nach Kopenhagen. Er verarbeitete darin seine Erinnerungen an das Jahr 1886, das er, wie sein namenloser Protagonist, ebenfalls hungernd und arbeitslos verbrachte. Der Roman verhalf ihm 1890 zum literarischen Durchbruch.

Es war in jener Zeit , als ich in Kristiania umherging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verläßt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist – so beginnt Hamsuns teils biographischer Roman, der den persönlichen Verfall eines namenlosen Journalisten und Autors beschreibt, der sich von Auftrag zu Auftrag rettet und über den quälenden Hunger langsam geistige und physische Gesundheit einbüßt. Hat er zu Beginn noch ein Dach über dem Kopf und geht ihm die Arbeit einigermaßen leicht von der Hand, verliert er im Zuge des Buches nicht nur seine Bleibe, sondern auch alle Ankerpunkte eines gesunden und geordneten Lebens. Schon recht früh überkommt ihn immer wieder die Verrücktheit und der Wahnsinn, das Gefühl, sich nicht mehr kontrollieren zu können, ein monotones und jedwede Vernunft vernichtendes Summen in seinem Kopf. Er folgt wie betäubt und ferngesteuert einer jungen Frau und drängt sich ihr auf – ohne dies wirklich zu wollen.

 Meine Bosheit nahm zu und ich folgte ihnen. Ich war mir in diesem Augenblick voll bewusst, dass ich verrückte Streiche beging, ohne, dass ich etwas dasgegen hätte tun könnn; mein verwirrter Zustand ging mit mir durch und gab mir die wahnsinnigen Einflüsterungen, denen ich der Reihe nach gehorchte. Wie sehr ich mir auch vorsagte, dass ich mich idiotisch benehme, machte ich doch die dümmsten Grimassen hinter dem Rücken der Dame und hustete einige Male rasend, während ich an ihr vorbeiging.

Der Protagonist beginnt, wilde Lügengeschichten zu erfinden, die er fremden Menschen mit einer Inbrunst vorträgt, die nahezu bewundernswert ist. Als jedoch ein alter Mann auf einer Parkbank plötzlich auf seine Spinnereien rund um den erfundenen Hippolati eingeht, fühlt er sich in seiner Privatsphäre verletzt und reagiert außerordentlich gereizt. Generell behilft er sich immer wieder mit erfundenen Worten und Umständen, ist auf der anderen Seite aber vollkommen gelähmt und leer, wenn es darum geht, einen neuen Artikel zu schreiben, um wieder etwas Geld zu verdienen. Er lebt in einem permanenten Spannungsverhältnis , in dem nahezu unauflöslichen Widerspruch, schreiben zu müssen, um seinen Hunger zu stillen, aber seinen Hunger stillen zu müssen, um schreiben zu können.

Alle Menschen, die er aufsucht und um Hilfe bittet, sind für ihn entweder nicht zu sprechen oder weisen den verlumpten und zusehends ausgemergelten Schriftsteller zurück. In seinem Elend löst er sich nahezu vollständig auf, je mehr er das Gefühl hat, mit seiner Umwelt zu verschmelzen, desto mehr fühlt er sich in seinem Körper eingesperrt. Der gesamte Roman ist gezeichnet von einer düsteren und existentiell bedrohlichen Stimmung, die zwar phasenweise durch Erfolgserlebnisse des Protagonisten aufgelöst wird, aber nach diesen kurzen Momentaufnahmen sofort wieder in das Leid des Hungerns und der Einsamkeit zurückkehrt. Hamsun begründet hier die Erzählweise des Bewusstseinsstroms, die auch später kennzeichnend für James Joyce und Virginia Woolfe werden sollte. Es geht viel weniger um Handlung als um ein konstantes Aufeinanderfolgen von Bewusstseinszuständen und inneren Abläufen, die, miteinander verknüpft, manchmal trotz ihrer Länge nur einen kurzen Augenblick ausdrücken können. (Virginia Woolfes Mrs. Dalloway beschreibt lediglich einige Stunden in den Gedanken einer jungen Frau)

Nach seinem Erscheinen wurde Hunger von manchen gelobt, von vielen aber als ekelhaft und brutal abgeurteilt. Für mich ist Hamsun die Lesezeit absolut wert, schon wegen der dichten und atmosphärischen Art des Erzählens. Nicht so verschlungen und ausufernd wie Woolfe, aber dennoch sehr persönlich, verstörend und anders, als man das Erzählen sonst gewöhnt ist. Weitere Informationen finden sich auch in folgender PDF-Datei.


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