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Morten Ramsland – Sumobrüder

 

Morten Ramsland ist ein dänischer Schriftsteller. Neben seinen Romanen veröffentlicht er auch Kinderbücher und Gedichte. Sein 2006 erschienener Debütroman Hundsköpfe wurde zum dänischen Buch des Jahres gekürt, für Sumobrüder erhielt er 2010 den wichtigsten dänischen Literaturpreis.

Wie sehr habe ich mich auf dieses Buch gefreut und wie sehr bin ich enttäuscht worden! Ramslands Hundsköpfe war eine so skurille wie liebenswürdige Familiengeschichte, die auf humoreske Art und Weise auch Themen und Emotionen behandelte, um die üblicherweise gern der Mantel des Schweigens gedeckt wird. Mit Sumobrüder hatte er wohl dasselbe vor und ist, für meinen Geschmack, leider daran gescheitert.

Protagonist und Erzähler ist der elfjährige Lars, der mit seinen Eltern und seinem Bruder Überbiss – sonst auch Mikael genannt – in einer kleinen Reihenhaussiedlung, dem sogenannten Paradiesgarten, lebt. Lars und seine Freunde, Olsenbande-Kjeld, Brillen-Bo, Jens und Frank veranstalten die merkwürdigsten Dinge, um sich die Zeit zu vertreiben. Zugegebenermaßen bin ich niemals ein elfjähriger Junge gewesen, musste mitunter aber dennoch schlucken und mehrfach lesen, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass auf dem Weg in die Adoleszenz befindliche Jungs so etwas tun. Das Buch beginnt schon damit, dass sie Baseball mit einer Kröte spielen – was, ich habe mich da erkundigt, nicht so merkwürdig ist, wie es mir erscheint. Darüber hinaus schließen die Jungen aber auch merkwürdige Wetten ab. Sie essen Cornflakes mit Eierschaum, Leberwurst und Ketchup, bis einer der beiden Kontrahenten sich übergibt. Zur “Strafe” muss er seinen Kopf eine halbe Stunde in dem Essensbrei und seinem Erbrochenen liegenlassen.

Sie sperren sich in Gefriertruhen ein. Sie legen lebende Kaninchen stundenlang in Gefriertruhen, Kröten in Tiefkühlfächer. Lars bindet einem Jungen namens Enkelkind im Moor die Hände auf dem Rücken zusammen, stopft ihm eine Socke in den Mund und vergisst ihn dort einfach. Er wird von anderen Kindern beinahe gezwungen, Hundescheiße zu essen. Einer seiner Spielkameraden treibt höchst merkwürdige Dinge mit seinem Hund, die ich hier gar nicht näher ausführen möchte. Lars und seine Freunde spielen heimlich Sumoringen. Und das leitet schon über zu dem allumfassenden Motiv dieses Romans: Prügel. Ich weiß nicht, wie oft in diesem Roman irgendjemand verprügelt wird oder ihm Prügel angedroht werden oder das Wort Prügel überhaupt vorkommt. Ich habe aufgehört zu zählen, ab irgendeinem Punkt. Man könnte meinen wir sind in der Bronx, aber die scheint sich ja von dänischen Reihenhausvierteln nicht eklatant zu unterscheiden.

Eigentlich habe ich nach den ersten hundert Seiten gedacht: Diese Kinder brauchen alle dringend Hilfe. Das ist nicht liebenswürdig, das ist nicht spaßig, das ist eine groteske Aneinanderreihung von behandlungsbedürftigen Verhaltensauffälligkeiten, um die sich komischerweise auch kein Erwachsener in diesem Roman angemessen schert. Vermutlich liegt es daran, dass viele Erwachsene mindestens genauso verhaltensauffällig sind wie ihre Kinder. Lars’ Eltern insbesondere. Das aber führt mich zu einem wichtigen Punkt: Die Hintergrundgeschichte ist nicht ordentlich ausgearbeitet. Wurde bei Hundsköpfe noch tatsächlich erläutert, was die Familienmitglieder umtreibt und zu ihren kleinen und großen Seltsamkeiten führt, wird es in Sumobrüder allenfalls zaghaft angedeutet. Lars’ Vater ist Schnürsenkelverkäufer, fettleibig und leidet an Depressionen. Im Zuge der Geschichte verschlimmern diese sich enorm, sodass er irgendwann nur noch in seinem Bett liegen und heulen kann, während er manches Mal mitten in der Nacht aufsteht und Selbstgespräche führt. Er bekommt Antidepressiva. Was ihn krank gemacht hat, ist nebensächlich. Angeblich hat sein Vater ihn geschlagen, weshalb er Lars auch den Kontakt zu seinen Großeltern verwehrt.

Möglicherweise würde ich das auch tun, wenn ich einen Vater hätte, der regelmäßig mit einem vermüllten grünen Kombi vorfährt, den Kindern Süßigkeiten anbietet, trinkt, raucht und beinahe versucht, meinen Sohn zu überfahren, als der sich weigert, ins Auto zu steigen. Lars’ zweiter Großvater ist wohl ebenfalls von allen guten Geistern verlassen. So hat er sogenannte “Anfälle”, während derer er vom Anfang aller Dinge erzählen will – und ihn bedauerlicherweise niemand lässt, weil alle ihn für verrückt halten. Ramsland gestaltet hier also eine Familie, die zerrüttet und durch Schweigen voneinander separiert ist. Die Jungen erzählen nicht, wenn sie Prügel beziehen, die Mutter erzählt nicht, was mit ihren Eltern passierte und weshalb sie von zuhause fortlief, der Vater erzählt nicht, was in ihm vorgeht. Schweigen, Prügel und Seltsamkeit, das ist, was dieser Roman für mich ausmacht. Die Protagonisten sind nicht sympathisch, die erzählten Episoden repetetiv, jedes Mal, wenn man denkt, etwas wird aufgeklärt, wird es höchstens begonnen, aber nicht zu Ende geführt. Für mich ein Buch, was man definitiv nicht gelesen haben muss, so sehr ich mich auch darauf gefreut hatte. Schade eigentlich.

 

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