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Offene Regale statt Schubladen: Franziska Seyboldt im Interview!

Vor knapp zwei Wochen erschien Rattatatam mein Herz, Franziska Seyboldts Erfahrungsbericht über das Leben mit einer Angststörung. Im Interview spreche ich als selbst Betroffene mit ihr über ihre Beweggründe, mit ihrer Angst an die Öffentlichkeit zu gehen und wie wir in Zukunft besser über psychische Erkrankungen sprechen können.

Was hat für dich den Anstoß gegeben, dich öffentlich zu deiner Angst zu bekennen?

Zuerst wollte ich einfach einen „Ich-Text“ schreiben, weil mich das Thema ja schon sehr lange beschäftigt. Ich finde es immer spannend, in fremde Köpfe reinzuschauen und gehe deshalb davon aus, dass es anderen Menschen auch so geht. Bei der Recherche habe ich dann erstens festgestellt, dass viel mehr Menschen von Angststörungen betroffen sind, als ich dachte. Und zweitens, dass Betroffene zwar darüber schreiben, aber so gut wie nie unter ihrem echten Namen. Das hat mich stutzig gemacht, da ich immer gedacht hatte, dass psychische Erkrankungen eigentlich kein Tabu mehr sind – oder zumindest kein so großes wie noch vor zehn Jahren. An dem Punkt wurde mir klar: Wenn ich diesen Text schreibe, dann unter meinem Klarnamen. Für das Buch galt das dann natürlich auch.

Hattest du Bedenken oder Zweifel, bevor du dich entschieden hast?

Am Anfang ja. Ich bin sehr lange alle Möglichkeiten durchgegangen: Was passiert danach? Ist es wirklich eine gute Idee, mein Innerstes nach außen zu kehren? Bin ich dann für immer die mit der Angst? Natürlich habe ich auch mit Familie und Freunden darüber gesprochen – und mit meinem Therapeuten, der mich bei meinem Vorhaben sehr unterstützt hat –, und fast alle waren der Meinung, dass ich es tun sollte. Diejenigen, die dagegen argumentiert haben, wollten mich beschützen und hatten zum Beispiel Sorge, dass ich danach vielleicht keinen Job mehr bekomme. Die gute, alte Stigmatisierung eben. Das hat mich in meiner Entscheidung, mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen, aber eher noch bestärkt, weil ich dachte: Das kann doch echt nicht sein, dass man wegen einer Angststörung nicht eingestellt oder gekündigt wird! Aber ich war mir auch ziemlich sicher, dass mir das als Journalistin und Autorin nicht passieren wird – schreiben kann man schließlich trotzdem. Das macht es natürlich deutlich leichter, sich zu „outen“.

Ist die Angst für dich heute, nach dem taz-Artikel und nach dem Buch, eine andere? Hat sie sich verändert in Wesen und Auftreten?

Die Angst kommt mittlerweile definitiv seltener vorbei als früher. Das ist allerdings eine Entwicklung, die schon vor dem Text und dem Buch begonnen hat, nämlich als ich mich intensiv mit ihr auseinandergesetzt habe. Nach dem taz-Artikel war da eine große Erleichterung, dass ich keine Energie mehr darauf verwenden muss, die Angst zu verstecken. Allerdings war sie danach auch ziemlich sauer, dass ich sie an die Öffentlichkeit gezerrt habe. Drohte mir mit Klagen wegen Persönlichkeitsrechten und zickte mächtig rum. Das Buch habe ich dann dazu genutzt, mir die Angst so zurechtzuschreiben, wie ich sie haben wollte – ein unbewusster Prozess. Eigentlich wollte ich den Leserinnen und Lesern einfach ein nachvollziehbares Bild meiner Angst zeichnen. Beim Schreiben kam der Spaß, die Angst entwickelte einen eigenen Charakter, und am Ende habe ich mir die Figur sogar selbst geglaubt. Wenn ich jetzt Panik bekomme, denke ich an die Angst aus dem Buch – und plötzlich ist sie gar nicht mehr so gruselig wie früher.

© Linda Rosa Saal

Gab es auch Reaktionen auf das Buch, die dich geärgert haben?

Im Vorfeld gab es mal jemanden, der etwas überheblich mit den Worten reagiert hat: „Ach ja, Angststörung, das haben ja gerade alle.“ Er bezog sich vermutlich auf den angeblichen Medienhype, und dass man mit dem Thema momentan Kasse macht. Daran hatte ich schon kurz zu knabbern, weil das einfach Quatsch ist – eine Angststörung ist ja kein neuer, hipper Sneaker von Adidas. Die Aussage zeugt außerdem von wenig Empathie, denn ich gehe mal davon aus, dass alle Betroffenen sehr froh wären, wenn sie die Angst nicht als ständigen Begleiter hätten. Aber ansonsten gab es bisher ausschließlich positive Reaktionen, was mich wirklich wahnsinnig freut.

Ich stoße mich persönlich immer etwas an der Forderung, dass man seine Angst lieben und akzeptieren sollte und denke oft: Wie soll ich etwas lieben, das mir mein Leben so schwierig macht? Denkst du, man sollte die Angst annehmen oder bekämpfen?

Unbedingt annehmen! Je mehr man sie bekämpft, desto weniger wird man die Angst los. Sie klammert sich dann umso mehr an einem fest und taucht plötzlich an Orten auf, wo man sie bisher noch nie gesehen hat. Am besten rückt man ihr so richtig auf die Pelle, dann wird es ihr selber zu eng. Aber ich verstehe dein Unbehagen absolut, mir ging es anfangs auch so. Natürlich ist der Reflex erst mal: „Igitt, die soll weggehen!“ Was mir außerdem beim Prozess des Akzeptierens bis hin zum Lieben geholfen hat: Die Angst ist ja eigentlich eben gerade nicht da, um einen zu ärgern. Sie ist nur das Symptom für eine Ursache wie zum Beispiel Stress, oder dass man sich gerade überfordert. Und jemanden zu lieben, der einem sagt: „Stopp, leg mal die Arbeit weg und dich in die Badewanne“, ist ja eigentlich nicht so schwer. Nur über die Art des Kommunizierens lässt sich natürlich streiten. Das geht auch netter. Aber Freundlichkeit und Diplomatie sind nun mal nicht gerade Eigenschaften, für die die Angst bekannt ist.

Im Buch beschreibst du u.a., wie eine Freundin, die von deinem Buchprojekt erfährt, ganz erstaunt ist, weil sie dich nicht für eine Betroffene gehalten hätte. Was glaubst du, welche Vorurteile über Angststörungen am langlebigsten sind? Und welche am schädlichsten?

Menschen mit Angststörung sind verdruckst, komisch, schüchtern und schreckhaft, haben ständig zitternde Hände und Schweißflecken und werden rot, wenn man sie anspricht. Deshalb sitzen sie auch die meiste Zeit bibbernd in Embryostellung in einer Zimmerecke und beißen auf ihre Fingerknöchel. Man muss sich nur mal die Bebilderungen zu Texten über Ängste anschauen, um einen Eindruck von den Vorurteilen zu bekommen. Besonders destruktiv ist meines Erachtens das Klischee, dass Betroffene grundsätzlich immer Angst haben, vor wirklich allem, und ihr Leben nicht allein auf die Reihe bekommen. Damit schubst man sie in einen unfreiwilligen Opferstatus. Und wenn einem niemand mehr etwas zutraut, glaubt man das im schlimmsten Fall irgendwann selbst.

Frauen sind statistisch häufiger von Angststörungen betroffen als Männer. Hast du eine Idee, woran das liegt?

Angst haben gilt in unserer Gesellschaft als Schwäche. „Angsthase“, „Schisser“ und „Feigling“ sind lauter Begriffe, mit denen besonders gerne Männer beschimpft werden. Und wir sind zwar weiter als vor 30 Jahren, aber echte Kerle sollen nach wie vor stark sein und Gefühle nur wohldosiert rauslassen – im Zweifel auch lieber Wut als Angst. Deshalb Theorie Nummer eins: Männer lügen in den Statistiken. Oder, wenn man noch einen Schritt zurückgeht: Sie geben ihre vermeintliche Schwäche vielleicht nicht mal sich selbst gegenüber zu. Theorie Nummer zwei: Die Statistiken stimmen und es sind wirklich mehr Frauen betroffen, weil sie eben nicht von klein auf auf Stärke getrimmt werden und deshalb einen engeren Bezug zu ihren Gefühlen und damit auch der Angst haben. Ich tendiere aber ehrlich gesagt zu Theorie Nummer eins.

Eine große Sorge vieler Betroffenen ist die Stigmatisierung, im privaten wie im beruflichen Bereich. Gerade in Zeiten von Social Media kann ein öffentliches Bekenntnis zu einer psychischen Erkrankung z.B. die Chancen auf einen Job schmälern. Gibt es einen Ausweg aus dieser Lage?

Wenn sich alle Betroffenen outen würden, wäre das jeder Sechste. Irgendwann wäre es für Arbeitgeber ganz schön schwierig, ihre Stellen mit jemandem zu besetzen, der noch nie ein psychisches Problem hatte – vor allem, wenn man auch noch die Menschen mit Depressionen, Burn-out, Zwangserkrankungen etc. dazuzählt. Spätestens dann müssten potenzielle Arbeitgeber zwangsläufig umdenken. Abgesehen davon ist es ja ein Zeichen von Stärke, sich mit seinen Schwächen auseinanderzusetzen. Und der typische Satz beim Vorstellungsgespräch – „Meine größte Schwäche? Ach, ich bin immer so schrecklich perfektionistisch!“ – wird langsam auch echt langweilig.

Wie könnte ein gesellschaftlicher Umgang mit Angststörungen (oder psychischer Erkrankung im Allgemeinen) im Idealfall aussehen?

In der perfekten Welt gibt es keine Kommoden mehr, sondern nur noch offene Regale. Es lässt sich einfach so schlecht atmen, wenn man in eine Schublade gesteckt wird. Und dunkel ist es da drin auch. Statt Stretching im Fitnessstudio empfehle ich Flexibilitätstraining fürs Gehirn, und über den eigenen Tellerrand zu schauen wird olympische Disziplin. Das gilt übrigens in jeder Hinsicht, nicht nur für psychische Erkrankungen.

Gibt es Tipps für Betroffene, von denen du dir wünschst, dass du sie eher bekommen hättest?

Ich hätte gerne früher erkannt, dass die Angst nicht das eigentliche Problem ist, sondern nur ein Symptom. Andererseits glaube ich auch fest daran, dass man seinen Weg selbst gehen muss, mit allen Erfahrungen, Tipps und Sackgassen. Manchmal ist man einfach noch nicht so weit, bestimmte Dinge zu kapieren. Zum Glück kommt mit dem Älterwerden auch mehr Gelassenheit – oder, um es mit dem Satz zu formulieren, den ich meinem Buch vorangestellt habe: Es ist, wie es ist.

Beitragsbild: © Linda Rosa Saal

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