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Zygmunt Bauman – Das Vertraute unvertraut machen

Im Januar dieses Jahres starb der Soziologe Zygmunt Bauman im Alter von 91 Jahren. Er hinterließ Konzepte wie das der “flüchtigen Moderne”, schrieb über Flüchtlinge und die Angst vor dem Fremden, von Konsum und dem “Ende der Eindeutigkeit”, wie er es nannte, dem viele mit einer besorgniserregenden und verklärenden Rückwärtsgewandtheit begegnen. Bei Hoffmann & Campe erscheinen seit 2014 Gespräche mit einflussreichen Denkern und Denkerinnen. Nach Susan Sontag und Georg Steiner ist nun Zygmunt Bauman an der Reihe.

Bis zuletzt war Zygmunt Bauman jemand, der rege an den Diskussionen seiner Zeit teilnahm. In welchen Zeiten leben wir? Unter welchen Umständen? Welche Prämissen leiten uns und welchen Aufgaben sehen wir uns gegenüber? Das Nachdenken über diese grundsätzlichen Fragen hat Bauman nie in der Überzeugung aufgegeben, längst die richtigen Antworten zu haben. Er ist neugierig geblieben bis zum Schluss, offen, vielseitig. Wir verlernen, so Bauman gleich zu Beginn, die Fähigkeit, zu lieben. Man mag, selbst wenn man diese Aussage in ihrer Absolutheit für falsch hält, mindestens einige Minuten darüber nachdenken, was die Versachlichung unserer Beziehungen mit der steigenden Zahl Alleinlebender zu tun haben könnte. Von der “Generation Beziehungsunfähig” ist da gern die Rede, weil wir für alles schmissige Begriffe in Marketingsprech brauchen. Bauman ist nicht der erste, der im Zuge der Moderne die Versachlichung von Beziehungen und des gesellschaftlichen Lebens feststellt, auch Georg Simmel und Max Weber haben das getan. Zu deren Zeit allerdings war die Vorstellung von Partnerbörsen im Netz, von Tinder und jederzeit erreichbarer Pornographie noch weit entfernt. Die Struktur des Warenverkehrs aber durchdringt schleichend auch die Beziehungsebene. Als Menschen sind wir Ware auf dem Markt; auf dem Arbeitsmarkt wie auf dem Singlemarkt gleichermaßen. Wie wir uns verkaufen (schon die Durchsetzungskraft dieses Ausdrucks spricht für sich) bestimmt unseren Erfolg, was oder wer uns nicht passt, klicken wir leichtfertig weg. Mittels immer präziserer Angaben auf Datingplattformen können wir den Partner suchen, der vermeintlich am besten zu uns passt, wie aus dem Katalog. Oder aber wir urteilen in Sekundenbruchteilen auf Tinder.

Man gewinnt etwas, verliert aber auch etwas. Man ist freier, leidet jedoch darunter, dass der Partner das auch ist. Es führt zu einem Leben, in dem Beziehungen und Partnerschaften nach dem Muster des Mietkaufs geformt werden. Wer sich aus Bindungen lösen kann, muss sich nicht anstrengen, sie zu erhalten. Menschen sind nur so lange wertvoll, wie sie Befriedigung verschaffen.

Bauman sieht in dieser Entwicklung Vor- und Nachteile, er ist kein regloser Kulturpessimist, auch wenn er durch eine andere Zeit geprägt wurde (“Ich versuche, eine Generation zu verstehen und zu erforschen, zu der ich nicht gehöre.“). Haffner spricht mit ihm über seine Mitgliedschaft in und schließlich seinen Austritt aus der Kommunistischen Partei, seine militärische Ausbildung, seine Flucht aus Polen, Judentum und Zionismus, die prägenden Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend. Zentrale Themen für ihn sind aber, auch in den Gesprächen Haffners, die rationalistisch-bürokratische Struktur modernen Lebens und seine Folgen. Die sieht Bauman in einer spezifischen Betrachtung von Identität, die nun mehr als etwas Flüchtiges und fortwährend Optimierbares gilt, ähnlich wie ein Kleidungsstück vielleicht, das man der Mode gemäß wechseln kann. Aber auch in einem Konsumismus, der Selbstzweck geworden ist und sich zu einer autonomen Kraft entwickelt hat. Die Ambition der Moderne ist, sagt Bauman, die Welt unter eigenes Management zu nehmen. Da ist kein Gott mehr, dem das Schicksal zur Lenkung anvertraut werden und auf dessen halbwegs weisen Ratschluss man  setzen könnte. Damit fängt alles an.

Im Unterschied zum früheren Konsum verbindet der Konsumismus das Glück weniger mit der Befriedigung von Bedürfnissen als mit der Zunahme von Wünschen. Das verlangt die rasche Ersetzung der Objekte, von denen man sich deren Erfüllung erwartet hat. Für die Konsumgesellschaft, welche Zufriedenheit des Kunden zu ihrem Ziel erklärt, ist ein zufriedener Kunde die größte Bedrohung.

Das Vertraue unvertraut machen liefert einen erhellenden Querschnitt nicht nur durch Baumans Theorien und Analysen, sondern auch durch sein Leben und seine soziologischen und literarischen Einflüsse. Es ist als Einstieg in Baumans Denken hervorragend geeignet und bietet Ansatzpunkte, sich auch auf andere soziologische Spuren zu begeben. Baumans Zeitdiagnose ist eine kritische, ohne Zweifel, aber keine fatalistische. Sie ist ein Aufruf zum Umdenken, zur Entwicklung neuer Strukturen in einer globalisierten Welt, deren Problemkomplexe aufs Engste miteinander verflochten sind. Wir können, so Bauman, nicht mehr versuchen, global verursachte Probleme lokal- oder nationalpolitisch zu lösen, wir brauchen neue Ansatzpunkte. Die zu entwickeln, müssen fortan andere übernehmen.

Von Bauman auch empfehlenswert:

Die Angst vor den anderen, Moderne und Ambivalenz, Leben in der flüchtigen Moderne

Zygmunt Bauman: Das Vertraute unvertraut machen. Ein Gespräch mit Peter Haffner. Hoffmann & Campe. 192 Seiten. 20,00 €

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