Kultur
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Kurz und knapp rezensiert im November!

Länger hat das k & k-Format pausiert, es wird Zeit, es aus der Mottenkiste zu holen!

Margriet de Moor – Schlaflose Nacht

Eine Frau wandert nachts in ihrer Wohnung umher, schlaflos, ruhelos. Es ist der Normalzustand seit Jahren. Um sich zur Ruhe zu bringen, tut sie Bodenständiges: sie bäckt. In Rückblenden legt Margriet de Moor die größte Verletzung dieser Frau offen, deren Nachbeben noch immer jede Nacht zu spüren sind: der Selbstmord ihres Mannes. Scheinbar grundlos kam er über sie wie eine Naturgewalt und wirkt in seiner Unbegreiflichkeit lange nach. Sinnlich und einfühlsam rollt de Moor die Geschichte dieser kurzen Ehe und ihrer Nachwrkungen in einer einzigen Nacht auf, am Himmel schließlich doch ein Hoffnungsschimmer. Vielleicht kann es trotz dieses allumfassenden Endes einen neuen Anfang geben, nach der Einsamkeit wieder Gemeinsamkeit. Das Ganze kommt sehr zart daher und melancholisch, gedämpft wie die Nacht eben so ist, weshalb es einen Satz gibt, der besonders hervorsticht: Ton bumste wirklich nicht wie ein Stoffel. Davon abgesehen: ein lesenswertes Buch über eine menschliche Tragödie, Verlust und Morgengrauen in metaphorischer wie auch wortwörtlicher Hinsicht.

Margriet de Moor: Schlaflose Nacht. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Hanser Verlag. 128 Seiten. 16 €.

Kai Gutacker – Nacht auf die Handfläche

Während die einen des Nachts die Urkatastrophe ihres Lebens verarbeiten, entdecken andere in der Dunkelheit einen bislang unbekannten Teil ihrer selbst. Ob es der erfolreiche und überraschend geschasste Talkmaster ist, der sich unter Drogeneinfluss auf der Tanzfläche zu Falcos Vienna Calling wiegt, Jugendliche als vermummte Adrenalinjunkies auf hohe Gebäude und Denkmäler kraxeln, ein Witwer die Geister seiner Familie vertreibt und es bereut und ein Spielsüchtiger wider Erwarten den Jackpot knackt – oder doch nicht?; der Schutz der Nacht bringt etwas in ihnen hervor. Aber nicht nur in der Nacht erblühen ganz eigene Lebensentwürfe. Der Mann, der seinen Kick aus dem Diebstahl von Büchern gewinnt, die er ahnungslosen Passanten gekonnt aus den Händen windet, agiert in der Dämmerung – und profitiert von Überraschung. Seine größte literarische Entdeckung hat er diesem Zufallsprinzip zu verdanken und er hofft voller Sehnsucht auf einen ähnlichen Erfolg. Kai Gutackers Erzähldebüt ist gelungen, variiert es doch in Tonalität und Sujet und überrascht mit originellen Ideen (wie z.B. einem eher märchenhaften, gastronomischen Wettstreit zweier Eltern). Wie in jedem Erzählband stehen auch hier stärkere und schwächere Erzählungen nebeneinander, nicht alles kann überzeugen und entwickelt Strahlkraft. Aber Gutackers Stimme ist fraglos eine, die man sich merken sollte!

Kai Gutacker: Nacht auf die Handfläche. Wunderhorn Verlag. 144 Seiten. 13,99 €

Philip Krömer – Ymir

Der Erzähler ist zurück und er zieht mit Lampe, Grammophon und Wagnerarien durch den Volkskörper! Es ist nicht irgendein Erzähler, sondern einer, den die zeitgenössische Literatur eigentlich längst ad acta gelegt hat. Einer, der seine ZuhörerInnen führt, der zu jedem Zeitpunkt präsent ist und Mittelpunkt des Geschehens, einer mit Eigensinn und Etikette. Ymir, Riese aus der nordischen Mythologie, gilt dort gemeinhin als das erste Lebewesen. Erschlagen und gemeuchelt erwächst aus seinen Überresten die Welt: aus seinem Fleisch die Erde, aus seinem Blut das Meer, aus seinem Schädel das Himmelszelt. Es sind die 30er Jahre und eine kleine Gruppe mehr oder weniger treuer Nationalsozialisten begeben sich am Vorabend des Zweiten Weltkrieges auf eine Expedition nach Island. Sie sollen ein tiefes, schwarzes Loch untersuchen, dessen Umfang und Provenienz unbekannt ist. Am Ende ist es eine herrlich absurde, witzige und spitzzüngige Studie des braven und folgsamen Bürgers, der in den Untiefen seiner Ideologie verlorengeht. Ymir gehört zu den originellsten Debüts dieses Jahres, Abenteuerroman trifft Groteske, niemals war Kotzen im Flugzeug stilvoller!

Philip Krömer: Ymir. homunculus Verlag. 216 Seiten. 19,90 €

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