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Anna Weidenholzer – Weshalb die Herren Seesterne tragen

Glück ist messbar. Jedenfalls, wenn man in Bhutan lebt und einen ausufernd umfangreichen Fragebogen zur eigenen Lebenssituation ausgefüllt hat. Aus dessen Antworten errechnet sich das sogenannte Bruttonationalglück. Wie gerecht erleben Menschen ihren Zugang zu Bildung, Kultur oder Gesundheit? Was steht ihnen dabei im Weg? Und woher kommt die Angst, die das gesellschaftliche Fundament unterhöhlt? Der pensionierte Lehrer Karl Hellmann macht sich in einem zufällig ausgewählten Ort auf die Suche nach Antworten.

Karl hat Margit nicht gesagt, dass er, bewaffnet mit den bhutanischen Fragen zum Lebensglück, das Haus verlässt, um in einer zufällig ausgewählten Kleinstadt zu forschen. Karl ist ein einfacher und unauffälliger Charakter, angesiedelt irgendwo zwischen Loriot und Herrn Janosch. Etwas linkisch zwar, aber ungemein liebenswürdig dabei. Und er will wissen, was die Menschen glücklich macht; oder viel mehr: was sie daran hindert. Seine erste Gesprächspartnerin wird die Wirtin der Pension, in die er sich einmietet. Es ist leer dort und zu warm für die Jahreszeit, längst hätte es schneien müssen, um Wintersportler anzulocken. Die Wirtin und ihre Hündin Annemarie sind genügsam, nur beim Tarot blüht die Frau etwas auf, deren Namen Karl aus Respekt vor der Wissenschaft nicht zu Papier bringen will. Seine ebenso zufällig wie der Ort ausgewählten Gesprächspartner heißen F1 oder M3, Frau oder Mann, alles andere wird durchnummeriert. Mit der sich daraus ergebenden Distanz scheint er akademischen Standards Genüge zu tun, viel mehr aber braucht er selbst das Bedeckte und Unverbindliche.

Wenn nichts gelingt, ist es besser, man lässt den Tag gewesen sein.

Die Menschen im Ort sind traurig lächelnde Fatalisten, die das Leben bislang nicht nur gelehrt hat, dass man immer allenfalls zwei Möglichkeiten hat, von denen eine zum Himmel stinkt, sondern auch, dass sie kein gigantisch großes Glück erwarten können. Aus Tagen, die Karl für den Aufenthalt veranschlagt hat, werden Wochen. Er lässt sich hineinfallen in das Leben der Bewohner, zuerst noch streng an seinem Fragebogen orientiert, für dessen Beantwortung er mindestens drei Stunden veranschlagt; dann zunehmend offener in den Formen des Miteinanders, trotz aller Unbeholfenheit. Anna Weidenholzer erzählt behutsam und mit einem geschulten Auge für Details, für das Absonderliche im Gewöhnlichen. Ihre Sätze sind verschlungen, würdigen Kleinigkeiten, schweifen ab. Perspektivisch changiert der Text zwischen personaler Erzählstimme und erlebter Gedankenrede, immer wieder sickern Karls eigene Wahrnehmungen gleich tastenden Ausläufern in den Text und färben ihn ein. Seine Fragen, seine Bedenken, seine Unsicherheiten; sie sind zu jedem Zeitpunkt präsent und bieten Anlass zum Schmunzeln. So fleht er seine daheimgebliebene Margit an:

Ja, ich weiß. Ja, die Kommunikation ist die Basis einer Beziehung, so wie die Wurzeln beim Baum, kappt man sie, fällt er um. Das weiß ich doch alles, Margit, aber die Liebe ist auch wie der Giersch im Blumenbeet, den bekommst du nicht einfach so weg, indem du ihn ausreißt.

Weshalb die Herren Seesterne tragen ist ein leises, ein zurückhaltendes Buch nicht nur über das Glück und widrige Umstände, sondern über die Bedeutung von Zusammenhalt und Mitmenschlichkeit. Die Kapitel sind überschrieben mit der Entfernung, die Karl von seiner Heimat trennt. Sehr lange bewegt er sich gar nicht, jedes Kapitel trägt den Titel Dreihundertvierundsiebzig Kilometer. Karl Hellmann, auf dessen Pyjama der Aufdruck eines gähnenden Löwen prangt und der bei Missstimmungen ein kochend heißes Bad bevorzugt, ist ein einsamer Suchender. Vorgeblich im Sinne der Wissenschaft, tatsächlich aber vor allem, um selbst einen Ausweg aus seinem eigenen Dilemma zu finden. Erst in der Begegnung, wenn auch vor dem Hintergrund eines strengen Korsetts von Fragen, löst er sich langsam aus der Starre, die ihn befallen hat. Hat Anna Weidenholzer mit diesem melancholisch-skurrilen Roman ein buchpreisverdächtiges Werk geschrieben? Vielleicht nicht, dafür ist es zu zaghaft, zu versponnen. Aber in genau dieser Versponnenheit, dem gelungenen Miteinander von Tragik und Komik, liegt seine große Qualität. Weshalb die Herren (auf einem Foto) Seesterne tragen, ist übrigens umstritten. Ebenso vielleicht wie die Frage nach etwas so Flüchtigem wie Glück.

Anna Weidenholzer: Weshalb die Herren Seesterne tragen. Matthes & Seitz Berlin. 192 Seiten. 20,00 €.

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