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André Kubiczek – Skizze eines Sommers

Potsdam, 1985. Die Sommerferien stehen bevor und mit ihnen nicht nur eine ungeahnte Freiheit, sondern auch ein Umbruch in Renés Leben. Sein Vater reist für mehrere Wochen in die Schweiz zu einem Friedenskongress und überlässt seinen sechzehnjährigen Sohn mit einem Bündel Geld sich selbst. Am Ende des Sommers wird die Welt anders aussehen. André Kubiczeks DDR-Jugendroman besitzt eine Leichtigkeit, die ihn zu einer ausgesprochen unterhaltsamen Lektüre macht.

René und seine Freunde sind speziell. Im Arbeiter-und-Bauern-Staat lesen sie Baudelaire statt Marx, Huysmans statt “Nackt unter Wölfen”. Sie mögen es dekadent und auffällig, sind stolz auf das Dandy-Vokabular, das sie im Vorübergehen durch ihre Lektüre erwerben; auch wenn die Verfügbarkeit von Literatur dieser Art in der DDR gen Null tendiert. Irgendwie gelingt es ihnen doch. Sie hören subversiv Soft Cell, The Smiths, Cabaret Voltaire, New Order – überhaupt könnte man mühelos mithilfe von Skizze eines Sommers ein Mixtape zusammenstellen, das die Stimmung der Zeit und die Opposition dagegen in ganz verschiedenen Spielarten einfängt. Als Renés Vater überraschend zu einem Kongress in die Schweiz geschickt wird, bleibt René mit einem Bündel Geld, das sich ironischerweise im Zuge seines Geburtstages immer weiter vermehrt, und einigen Flaschen Napoléon-Schnaps aus dem Intershop allein zurück. Seine Mutter ist bereits vor einiger Zeit nach schwerer Krankheit gestorben und ihren Tod hat er noch immer nicht verwunden; auch wenn er männlich über den Verlust hinweglebt. Kubiczek fächert nun im Roman eine Jugend in der DDR mit all ihren Facetten, Beschränkungen und Eigenarten auf, wobei der Fokus trotz allen Zeitkolorits auf ganz konventionellen Erfahrungen des Erwachsenwerdens liegt. Es geht um Mädchen, Liebe, Musik, Literatur und die Suche nach sich selbst.

Es herrschte bei uns ja ständig ein Überschuss an irgendwelchem Mangel, und vielleicht sah es einfach besser aus, wenn man sagte, ey, wir drucken den Nachmittag eines Fauns nicht, weil uns das zu dekadent ist und weil es unsere Jugend verdirbt und vom Klassenkampf ablenkt, was den Kommunismus noch mal um ein paar Jahrzehnte Richtung Sanktnimmerleinstag verschieben würde, wo wir sowieso schon im Verzug sind, als wenn man mit hängenden Schultern und Dackelblick einfach zugab: Tut uns leid, Freunde der obskuren Literatur, wir würden ja gerne, aber uns ist bedauerlicherweise das Papier ausgegangen.

Kubiczek gelingt jedoch trotz des vergleichsweise gewöhnlichen Settings ein ausgesprochen lebendiger und witziger Roman. Das liegt vor allem an den von ihm geschaffenen Charakteren. Seine Figuren sind plastisch, Renés Erzählstimme so locker wie man sie von einem Teenager erwartet, ohne ins Gekünstelte abzudriften, wie es in Winklers Hool geschieht. Es ist nicht das erste Mal, das André Kubiczek sich erzählerisch mit der DDR auseinandersetzt, bereits in Das fabelhafte Jahr der Anarchie nahm der in Potsdam geborene Autor sie in den Fokus; damals allerdings ihren Niedergang und das Leben danach. Davon kann in Skizze eines Sommers noch keine Rede sein, vielmehr steht René kurz davor, am Ende des Sommers Potsdam zu verlassen, um auf einer wichtigen Kaderschmiede seine schulische Karriere fortzusetzen. Der Roman lebt von seinen präzisen Beschreibungen des DDR-Lebens genauso wie von seinen charmanten Einfällen: so ergattert René in einer Buchhandlung nahe seines Wohngebiets die einzige Ausgabe von Baudelaires sämtlichen Werken und Briefen der gesamten Umgebung. Infolgedessen besuchen seine Freunde Dirk und Michael ihn regelmäßig, um akribisch Baudelaires Gedichte abzuschreiben. Eine Anekdote erzählt außerdem von einem LKW, der auf dem Gebiet der DDR mit Werbekarten für Gillette-Rasierer verunglückt ist. In froher Erwartung, etwas aus dem Westen zu Geld machen zu können, sammeln die Jugendlichen geschäftstüchtig die wertlosen Pappkarten auf. Schon kurz darauf sind die Müllcontainer des Wohngebiets zur Hälfte mit dem knallorangen Papier gefüllt.

Sehr deutlich konnte man es leuchten sehen, in einem Orange, das es bei uns so nicht gab, grell, wie von innen glänzend, wie von sich aus Signal. Es war, als hätte man unsere Version dieser Farbe in ein Desinfektionsbad gelegt, als wären unsere Kubaapfelsinen sandgestrahlt worden.

Ist dieser Roman buchpreisverdächtig? Vermutlich nicht, vermutlich ist er zu leichtgängig, vermutlich bietet er zu wenig Widerständigkeit und Reibungsfläche. Aber er ist glänzend erzählt, erzeugt spürbar Atmosphäre und ist von derselben Liebenswürdigkeit wie Thomas Brussigs Am kürzeren Ende der Sonnenallee. Ganz entgegen aller Erwartungen hat es mit André Kubiczeks Roman also ein Titel auf die Shortlist geschafft, von dem kein Buchhändler und keine Buchhändlerin sagen dürfte, er ließe sich, staubtrocken und ausufernd wie er ist, nicht an den Otto-Normal-Kunden bringen.

Nur einer von vielen im Roman zitierten Songs
 

Weitere positive Besprechungen bei Fräulein Julia und Sounds & Books.

André Kubiczek: Skizze eines Sommers. Rowohlt Verlag. 384 Seiten. 19,95 €

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