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Warum weniger Bücher manchmal mehr sind

© Danielle McInnes, Stocksnap

Ich sammle Bücher wie andere vielleicht Briefmarken oder Stofftiere. Mit Begeisterung. Eigentlich, seit ich denken kann. Dabei war es immer von nachgeordneter Priorität, wann ich die Bücher, die ich aus Vorfreude oder im Affekt erstehe, tatsächlich lese. Ich zog von zuhause aus, schleppte selbst viele Bücherkisten und quälte im vollen Bewusstsein meiner Schuld die duldsamen Umzugshelfer. Auf knapp 32 m² stapeln sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt schätzungsweise zwischen 900 und 1000 Bücher von ganz unterschiedlicher Provenienz. Es sind Leseexemplare aus dem Buchhandel, Rezensionsexemplare, Flohmarktfunde, Impulskäufe oder von langer Hand geplante Erwerbe. Es sind Romane, Sachbücher und literaturwissenschaftliche Fachbücher. Wie viele davon tatsächlich gelesen sind? Für mich kaum zu beantworten. Ich gehöre nicht zu denen, die Bücher aus Dekorations – oder Prestigezwecken kaufen, ich will niemanden damit beeindrucken (für eine solche Absicht empfange ich auch deutlich zu wenig Besuch), ich beabsichtige schon, sie auch zu lesen. Bloß wann?

Ich möchte nicht zur allseits bekannten Klage über die waghalsige Geschwindigkeit des Buchmarktes ansetzen. Sie ist allen geläufig und – wie es bisher scheint – auch ernüchternd alternativlos. Kaum ist etwas in, ist es schon wieder out. Kaum mischt man sich ins Gespräch, ist ein aktuelles Buch mutmaßlich schon durch dutzende andere Gesprächsrunden und Blogs geschleift worden wie ein willenloses Kind an der Hand unliebsamer Verwandter. In meinem Postfach stranden jetzt schon wieder die Herbstvorschauen 2016, obwohl gerade erst der Sommer beginnt. Bisher habe ich nicht einmal das Frühjahr literarisch bewältigt. Um mich herum stapelt es sich. Was ich lange als irgendwie urig und gemütlich wahrgenommen habe, erscheint mir zusehends als Belastung. Ich bin umgeben von Geschichten und Gedanken, die durch ihre visuelle Omnipräsenz auch zu keinem Zeitpunkt vergessen sind. Ich kann nicht abschalten und fühle mich tatsächlich eingeengt von etwas, das ich liebe. Permanent abgelenkt, auf dem Sprung. Ich muss dringend aussortieren, weggeben, Raum schaffen. Einerseits ganz profan Wohnraum; andererseits aber auch Raum für Gedanken und Beschäftigung mit all dem, was da seit Jahren auf mich wartet und immer wieder von Aktuellerem verdrängt wird.

Jedes Bücherregal braucht seine ungelesenen Bücher

Ich bin, das steht völlig außer Frage, der Ansicht, dass jedes Bücherregal seine ungelesenen Bücher braucht. Für mich sind ungelesene Bücher, insbesondere, wenn sie Impulskäufe waren, immer auch Erinnerungen an Stationen meiner gedanklichen Auseinandersetzung. So kaufte ich vor einigen Jahren z.B. John Lancasters “Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt” oder gleichsam als Nachwirkung einer guten Lektüre António Damásios “Descartes’ Irrtum“. (auch wenn ich mich selbst nach einem zielstrebigen Gang in mich nicht mehr entsinnen kann, welches Buch den Anstoß dazu gab) Überwiegend interessiert mich auch heute noch, was mich damals zum Kauf verleitet hat. Oft genug gibt es aber auch die Fälle – insbesondere bei Leseexemplaren und Sonderangeboten -, die vergleichsweise unüberlegt und bis zu einem gewissen Grad beinahe wahllos ins Regal gelangt sind. Irgendwann einmal, sagt man sich. Und vergisst es dann. Es sind kurze Anfälle von Habgier, die vermeintlich durch aufrichtiges literarisches Interesse geadelt werden.

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Sich von Büchern zu befreien, kann auch eine große Erleichterung sein

Wer, wie ich, als Blogger und Buchhändler unkompliziert und kostengünstig an neue Bücher kommt, sieht sich desöfteren mit der Tatsache konfrontiert, dass die Augen größer sind als das Gehirn. Das produziert Ballast und Unwohlsein, insbesondere, wenn der stete Fluss von Büchern niemals abreißt. Wie bei einer Hydra wachsen mit einigen veräußerten und verschenkten Büchern aus Altbeständen wieder mindestens gleich viele neu nach. Als ich vor einigen Tagen zum ersten Mal in diesem Jahr eine kleine Kiste in den hiesigen Stadtpark stellte, befüllt mit Büchern, von denen ich mir nichts mehr versprach, fühlte ich mich zu meiner großen Überraschung unglaublich erleichtert. So erleichtert, dass ich das Prozedere zwei Tage später wiederholte und schon wieder eine Kiste gepackt habe. Es nützt niemandem – weder den Büchern noch einem selbst – wie entfesselt bedruckte Seiten in Regale zu stapeln, die man mutmaßlich erst in einigen Jahren, wenn überhaupt, lesen will und wird. Bewusster lesen könnte helfen. Nicht immer dem ersten Impuls nachgeben, sich einmal öfter fragen: Interessiert mich das wirklich? Weniger ist mehr, das gilt für viele Bereiche des Lebens; auch für den Buchbesitz. Lieber weniger Bücher besitzen und sie auch gelesen haben als Turm um Turm stapeln und nichts dazu sagen können als “Irgendwann lese ich das vielleicht mal”. Ich beabsichtige, die Schlankheitskur für meine Regale noch eine Weile fortzuführen, um auch mich von dem zu befreien, was ich “vielleicht irgendwann einmal lesen könnte“.

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