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Warum ich lese

© Taylor Leopold, Stocksnap

Sandro vom Blog ,Novelero’ fragte u.a. mich auf Facebook, warum ich lese. Er selbst stammt, wie er in einem Blogbeitrag beschreibt,  aus einer Familie, in der das Lesen und die Verfügbarkeit von Büchern keine Selbstverständlichkeiten waren.  Und er erzählt, was seine Großmutter mit seiner Liebe zur Literatur zu tun hat. Jetzt bin ich dran. Was ist meine Ausrede für die stundenlange Versenkung in fremde Worte?

Eine unglaublich einfache Frage, denkt man. Könnte man ganz schnell beantworten: macht halt Spaß. Sollen mir doch lieber die Nichtleser erklären, weshalb sie sich für’s geschriebene Wort nicht erwärmen können. Bei einer feuchtfröhlichen Zusammenkunft in der Wohnung meiner Nachbarin fiel einmal der Satz: “Ich würde lieber puzzlen als zu lesen.” Warum sage ich das nicht auch? Es hat für mich niemals eine Initialzündung gegeben, den einen Moment, der mich infiziert hat auf immerdar. Auch ich stamme nicht aus einer Intellektuellenfamilie; allenfalls war mein Vater einer dieser etwas vergeistigten Gestalten, aber ich habe ihn nie kennengelernt. Ich denke es mir bloß, man macht sich seine Bilder. Meine Oma las Groschenhefte, als ich noch nicht geboren war. Mein Opa war leidenschaftlicher Abonnent von Reader’s Digest und hortete dicke Wälzer zu diversen Themen in einem vorsintflutlichen Massivholzschrank. Belletristik habe ich ihn in all den Jahren nie lesen sehen. Meine Mutter besaß zwar immer Bücher, aber mit ihnen selten auch gleich die Zeit, sie zu lesen. Wenigstens hat sie es nicht versäumt, mich in jungen Jahren mit Büchern zu füttern und offensichtlich trug dieses Engagement zügig Früchte. Ich besaß ein Buch, das ich auswendig rezitieren konnte, obwohl ich das Lesen noch nicht gelernt hatte.

“Ich würde lieber puzzlen als zu lesen.” Warum sage ich das nicht auch?

Warum bloß? Ich kann nur mutmaßen. Vielleicht, weil ich schon immer ein übergroßes Interesse an Geschichten und Menschen hatte. An Welten, die anders als meine sind. Weil ich Literatur auch immer als eine Chance begriffen habe, Dinge zu “erleben”, die mir in der Realität vielleicht nie passieren. Ich habe mich nie als bloßen Konsumenten betrachtet, sondern mit dem Eintauchen in jede Geschichte auch eine Erfahrung gemacht, etwas Neues kennengelernt. Ich glaube fest daran, dass Lesen empathischer macht – sofern man sich auch auf unbequeme Geschichten einlässt, die in die eigene Komfortzone eindringen. Und ich bin überzeugt, dass die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, in ihren Schuhen zu gehen und mit ihnen zu fühlen, eine unschätzbar wertvolle ist. Freilich schadet es nicht, wenn man ohnehin empathisch veranlagt ist. Aber ich glaube, dass Bücher und Lesen diese Fähigkeit noch viel stärker ausprägen können. Nichts vermittelt, je nach Erzählperspektive natürlich unterschiedlich intensiv, so unverblümt die Gedanken und Gefühle völlig fremder (und: fiktiver, aber das blendet man ja manchmal aus) Menschen. Literatur öffnet uns die Schädel der anderen, auf dass wir einen Blick riskieren und Grenzen überwinden. Diese Einladung schätze ich sehr, weil ich immer äußerst interessiert daran war, wie Menschen funktionieren. Womöglich auch, weil ich mir am wenigsten darüber klar war, wie ich funktioniere. Daran hat sich nicht viel geändert.

Literatur öffnet uns die Schädel der anderen, auf dass wir einen Blick riskieren und Grenzen überwinden.

Und ja: Lesen bedeutet auch Wissenserwerb, inklusive der Möglichkeit, mit diesem Wissen mehr von der Welt zu verstehen. (oder weniger, je nachdem, manchmal habe ich auch den Eindruck, dass ich immer weniger verstehe, je mehr ich weiß) Aber all das zusammengenommen, könnte meine Antwort so erschreckend einfach ausfallen wie die Frage ist: Ich lese, weil ich verstehen will. Mich, andere, die Welt, Zusammenhänge, Kulturen, Sitten, Ideen. Und es gibt etwas daran, an diesem Hunger nach Verständnis (der womöglich irgendwann in der schnöden Erkenntnis gipfelt, dass es gar nichts zu verstehen gibt), was mich gleichermaßen in Hochstimmung und Fatalismus versetzt: ich weiß, dass er nie endet, dass ich nie satt werde.

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