Rezensionen, Romane
Kommentare 13

Ronja von Rönne – Wir kommen

Ronja von Rönne genießt, aufgrund ihrer kontrovers diskutierten Artikel, mit ihrem Debüt einen Aufmerksamkeitsvorschuss. Joachim Lottmann spricht laut Buchrücken sogar von einer Erzählstimme, die nicht nur “schnoddrig”, sondern auch “überlegen” sei, –  was immer das bedeutet. Wem überlegen? Und ist literarisch zelebrierte Überlegenheit wirklich so lobenswert, so lesenswert? Abzüglich des ganzen Brimboriums ist Ronja von Rönne ein durchschnittlicher Debütroman geglückt, dessen Lektüre bei weitem weniger sensationell ist als mancher vielleicht gehofft hat.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Im Mittelpunkt stehen Ich-Erzählerin Nora, Karl, Jonas, Leonie und ihre schweigende Tochter Emma-Lou. Die vier leben partnerschaftlich zusammen und verweigern sich mit dieser offenen Viererbeziehung plus Kind nicht nur der Eifersucht, sondern auch koventionellen Beziehungskonzepten. Jeder darf mit jedem von ihnen, vier gegen den Rest der Welt. Es ist eine Idee, die nicht ausschließlich jugendlicher Experimentierfreude entspringt, sondern auch minutiöser Vorsorge für den Fall, dass einer von ihnen ausschert. Selbst wenn das passiert, bleiben noch immer zwei, die entstandene Lücken schließen könnten. Nora weiß um den Schmerz, der durch Lücken und Abschiede entsteht. Als sie vom Tod ihrer aufmüpfigen und vom Leben wenig verwöhnten Jugendfreundin Maja hört, will sie es gar nicht glauben. Sie hält es für eine schlechte Pointe. “Solche Dinge haben wir immer abgesprochen”, scheibt sie in ein Notizbuch, das ihr Therapeut ihr aushändigt. Es sieht genauso aus wie das Buchcover. Maja ist eine, über deren Beerdigung man im Ort nicht ganz so traurig ist. Vor allem aber ist Maja eine, deren große Klappe und Furchtlosigkeit ihr die Hilfe vom Hals geschafft haben, die sie gebraucht hätte. Bei Nora zuhause wird bloß geschwiegen, mal freundlich und mal vorwurfsvoll.

Es muss die beste Feier aller Zeiten werden. Sie muss uns heilen.

Nora nimmt sich also für die “Pointe” ihrer Freundin Urlaub von den zweifelhaften TV-Formaten, an denen sie beruflich beteiligt ist. Sie will – oder soll vielmehr – durch das Beschreiben ihrer Erlebnisse begreifen und loslassen. Weil urbanes Leben generell “over” ist, wie Karl sagt, zieht die Vierertruppe mit Emma-Lou auf unbestimmte Zeit in ein Strandhaus, das schon Nora und Karl in ihrer vorangegangenen Zweierbeziehung gute Dienste geleistet hat. Dort leben sie, auf eine Wende in ihrem Leben wartend, von deren Gestalt sie keine Vorstellung haben. Sie zerstören ihre Handys und einen Laptop, um “frei” zu sein, weil es das ist, was man sich heute unter Freiheit vorstellt. Umgehen können und wollen sie mit dieser Freiheit nicht, stattdessen trudeln sie ziellos durch die Tage. Schließlich entscheiden sie sich für eine große Party, weil Partys “immer gehen”, zu jeder Zeit. Irgendwas muss man ja tun. Die Party endet, wie so oft, mit einem großen Eklat, der die Scheinheiligkeit und das Provisorische und Verzweifelte ihrer Beziehung bloßlegt. Da sind nicht vier zusammen, die sich lieben, sondern vier, die vor den Alternativen Angst haben und sich für das geringste Übel in einer üblen Welt entschieden haben.

Ich wusste bei Leonie nie, ob sie darüber nachdachte, sich die Wimpern zu tuschen oder sich das Leben zu nehmen.

Von Rönne schreibt so abgeklärt über Gefühle als ob man sie durch eine Milchglasscheibe oder ein umgedrehtes Fernglas betrachtete. Kaum ein Gefühl, das ohne popkulturelle Referenz auskäme, kaum eine Betrachtung, die von Nora nicht so gönnerhaft beschrieben würde als ginge es sie nichts an. Unentwegt muss sie nicht nur ihre Gefühle in einen größeren Referenzrahmen einpassen, von Rönne lässt ihre Protagonistin auch überproportional viel erklären. Warum sie eine Feier brauchen (um ihnen die Gleichgültigkeit zu nehmen), wie sie sich danach fühlen werden, wie sie sich vorher gefühlt haben. Der ganze Roman ist durchzogen von einer ständig mittels Ironie gebrochenen Zivilisationsmüdigkeit. Alles ist so gleichgültig, so gewöhnlich, alles ist so anders als in all den Filmen, die wir benutzen, um unser Leben zu beschreiben. Und diese Zivilisationsmüdigkeit wird ausschließlich durch Posen erträglich, an einer Stelle heißt es gar: “Wir brauchen mehr Künstlichkeit”. Das scheint der Roman unentwegt zu brüllen: seht her, was uns all diese Forderungen nach Authentizität gebracht haben, so geht es nicht! Nun, ist man nach diesem Roman zu antworten versucht, auch durch Langeweile kaschierte Orientierungslosigkeit macht es nicht besser, nicht einfacher. Die Figuren bleiben leblos. Dazu hätte allein die kokette Ironie, mit der jede tiefere Aussage umkränzt ist, schon ausgereicht. Dass jedes Gefühl entweder erst durch eine Bedeutungsmaschine gewalzt werden muss oder im Vagen verbleibt, trägt sein Übriges dazu bei. Ronja von Rönne kann schreiben und verfügt über einen spitzen Humor. Mancher Seitenhieb auf die zeitweise verzärtelte, digitalisierte und moderne Selbstverwirklichungsgesellschaft trifft ins Schwarze, das allein aber trägt keinen Roman. Oder wenigstens diesen nicht. Verstünde man den Titel “Wir kommen” als Drohung, müsste man sich bei diesen vier jungen Menschen wirklich keine Sorgen machen. Eine Bedrohung sind sie allenfalls für sich selbst – und selbst das könnte eine Pose sein.

"buchhandel.de/Ronja von Rönne: Wir kommen
Aufbau Verlag,
208 Seiten
18,95 €

Bestellen bei:
Buchhandel.de

Weitersagen

13 Kommentare

  1. Pingback: [Literaturen] Ronja von Rönne – Wir kommen – #Bücher

  2. Pingback: Ronja von Rönne und die neurotische Adoleszenz

  3. Pingback: El Tragalibros - der Bücherwurm: Blog über Literatur

  4. Pingback: Ronja von Rönne: Wir kommen -

Schreibe einen Kommentar zu Chris Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert