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Annika Reich über piqd-Literatenfunk

Diskussionen über den Journalismus der Zukunft gibt es immer wieder. Nicht nur über das Printsterben, sondern auch über sein Fortbestehen im digitalen Zeitalter und eine adäquate Übersetzung von Qualitätsjournalismus ins Netz. Dem einzelnen Menschen steht eine unüberschaubare Fülle an Informationen zu jedem erdenklichen Thema auf einen Klick zur Verfügung. Es wird immer schwieriger, den Überblick zu behalten. In Reaktion darauf entstehen Alternativprojekte wie z.B Perspective Daily oder eben piqd.

Man könnte meinen, dass es einfacher wäre, sich eine Meinung zu bilden, wenn viele Informationen zu einem Sachverhalt vorliegen. Das mag nicht grundfalsch sein, häufig genug sorgt es aber viel eher für gefährliches Halbwissen denn für Durchblick. Wir wissen von allem ein bisschen, kennen viele Einzelmeldungen, aber keine Zusammenhänge. Nie war es einfacher, an Informationen zu gelangen und selten war es komfortabler, die eigene Filterblase für den Nabel der Welt zu halten. Wer seine Meinung bestätigt finden möchte, der braucht in aller Regel nur wenige Minuten, um im Netz irgendwo für jede kruse These eine vermeintliche Bestätigung zu finden. Wie aber gelingt der Schritt aus der Filterblase? (oder das, was man früher “Der Blick über den Tellerrand” nannte) Auf piqd kuratieren Experten für verschiedene Themenbereiche aktuelle Nachrichten, nehmen dazu Stellung und bringen neue Perspektiven ein. Statt Informationsflut stellen die jeweiligen Expertengruppen eine überschaubare Anzahl von Artikeln bereit, oft auch aus ausländischen Medien. Ob das “den Journalismus” revolutioniert, ist fraglich, aber es wagt, ihn anders zu denken.

Mit dabei sind auch Kanäle zu Literarischem Journalismus und der sogenannte Literatenfunk. Dort schreiben Autoren und Autorinnen über ihre aktuelle Lektüre und literarische Themen. Ungezwungen, gehaltvoll, ohne strenge Formvorgaben oder Aktualitätsgebote. Man könnte den Kanal als gelungenen Hybrid zwischen Blog und Feuilleton bezeichnen – inhaltlich substantiell und formal ungebunden kann man hier die Entdeckungen machen, die manche Kritiker in Blogs vermissen. Ich habe die Initiatorin dieses Kanals, die Autorin Annika Reich, über den Kanal befragt.

Liebe Annika, kannst du kurz erklären, worum es bei piqd eigentlich geht?

ExpertInnen kämmen das Internet nach Inhalten durch und erklären mir, warum ich was lesen will. Es gibt unterschiedliche Themenkanäle, die ich mir selbst zusammenstellen kann: Klima und Wandel, Literarischer Journalismus, Feminismus, Flucht und Vertreibung z.B.

Piqd bedeutet für mich mediale Maßschneiderei. Es passt mir wie angegossen, auch wenn noch Platz für unerfüllte Sehnsüchte bleibt. Ich hätte gerne einen Kanal über Kunst und Film. Und einen über Philosophie. Ich hätte auch sehr gerne einen Kanal mit Rassismus-Kritik. Aber die Macher von piqd fragen ihre Community, was sie haben wollen. Es besteht also Hoffnung, dass auch das noch passiert.

Für mich funktioniert piqd auch deswegen so gut, weil ich den Leuten, die mir was empfehlen, glaube und ich hier auf Artikel stoße, die ich sonst nie gefunden hätte. Artikel aus der englischsprachigen Presse habe ich bisher aus Überforderung zum Beispiel überhaupt nicht gelesen, jetzt aber mit großem Vergnügen.

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Annika Reich, © Peter Hassiepen

Piqd versteht sich, so die Selbstaussage, auch als Gegenentwurf zu algorithmisch bestimmten Newsfeeds in sozialen Netzwerken, bei denen die Sichtbarkeit oft von den jeweiligen Likes abhängt. Was ist konkret die Gefahr solcher Newsfeeds?

Ich würde nicht Gefahr in den Vordergrund stellen, sondern Ödness und Passungenauigkeit. Ich will so vieles, was mir angeboten wird, überhaupt nicht lesen. Und vieles, was ich lesen will, finde ich in den algorithmisch bestimmten Newsfeeds nicht, weil es zu abseitig ist.

Du zeichnest für den dortigen Literatenfunk-Kanal verantwortlich und hast auch die AutorInnen ausgewählt. Wie ist es dazu gekommen?

Die Macher von piqd haben mich als Expertin für den Kanal „Feminismen“ angefragt. Da ich aber mit 10nach8 auf Zeit-Online schon eine kollektive Frauen-Kolumne mitherausgebe, dachte ich mir: Ein feministisches Format ist genug. Ich wollte aber immer schon mal eine Plattform schaffen, auf der sich AutorInnen über die Bücher, die sie lesen, austauschen. Denn die besten und verführerischsten Lesetipps habe ich immer schon von schreibenden KollegInnen bekommen.

In anderen Ressorts wie z.B. „Medien und Gesellschaft“ nehmen bei piqd Experten u.a. Stellung zu Netzfundstücken und Artikeln. Das ist im Literatenfunk anders, bis auf wenige Ausnahmen. Was gibt es dort zu lesen?

Im Literatenfunk schreiben AutorInnen wie Monika Rinck, Ulla Lenze, Jan Brandt, Saša Stanišić, Jochen Schmidt, Nora Gomringer, Annett Gröschner, Ulrike Draesner, Teresa Präauer, Antje Strubel, Knud von Harbou und ich über die Bücher, die wir lesen. Und über die Bücherstapel, die neben unseren Betten, Schreibtischen und sonstwo in unseren Leben herumstehen.

Worin unterscheidet sich der Literatenfunk vom klassischen Feuilleton?

Wir haben den Luxus über alles zu schreiben, das uns interessiert. Wir müssen also weder auf Aktualität noch auf irgendeine vermeintliche Relevanz bzw. Debatten achten. Wir können aus purer Liebhaberei Inhalte produzieren, die im Feuilleton nicht erscheinen würden. Außerdem unterscheidet sich die Sprache, in denen die AutorInnen über Bücher schreiben, stark von der Sprache des Feuilletons. Sie ist literarischer und – bisher jedenfalls – humorvoller, kantiger, persönlicher.

Beim Literatenfunk schreiben im Augenblick 12 Autoren und Autorinnen. Soll das Team noch wachsen oder der Übersichtlichkeit halber eher klein bleiben?

Wir probieren gerade aus, wie viele Texte jede/r von uns so neben dem Romane – und Artikelschreiben und den Lesereisen schafft. Ich denke, wir werden demnächst noch mehr AutorInnen einladen. Ich darf das als Herausgeberin des Literatenfunks herrlich diktatorisch entscheiden und habe schon eine ganze Liste von WunschkandidatInnen.

Bei piqd muss man zahlendes Mitglied werden (3 €/monatlich), um die Artikel kommentieren zu können. Besteht dadurch nicht die Gefahr, dass Interaktion nur zwischen den AutorInnen selbst stattfindet?

Die Interaktion steht nicht im Vordergrund, auch bei uns AutorInnen nicht. Wir freuen uns über die Texte des Anderen und häufen noch mehr Bücher an, die uns vom Schreiben abhalten bzw. unsere Bücherstapel wachsen lassen.

Für wen soll der piqd-Literatenfunk künftig eine Anlaufstelle sein?

Einmal kann man dort über den Lauf der Zeit verfolgen, was AutorInnen lesen, die man selbst liest. Man kann also den Lektüre-Kosmos von bekannten AutorInnen mitverfolgen. Ein großer Spaß, wie ich finde. Zum anderen ist der Literatenfunk eine Fundgrube für Bücher, auf die man sonst nicht gekommen wäre.

Annika Reich wurde 1973 in München geboren und lebt in Berlin. Sie arbeitet als Dozentin an der Kunstakademie Düsseldorf und ist Mitarbeiterin der Malerin Katharina Grosse. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung betreibt sie gemeinsam mit anderen Autorinnen den Blog Ich. Heute. 10 vor 8. Zuletzt erschien ihr Roman ,Die Nächte auf ihrer Seite‘. Im Augenblick engagiert sie sich mit anderen Kulturschaffenden im Aktionsbündnis wirmachendas für Integration.

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