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Pierre Bost – Bankrott

Bankrott gehen kann man auf ganz unterschiedliche Weise – ganz klassisch finanziell, aber auch persönlich, moralisch. In Pierre Bosts ursprünglich 1928 erschienenen Roman gerät Zuckerfabrikant Brugnon in einen Strudel des Scheiterns, der in einer ganz umfassenden Weise sein bisheriges Leben wie ein zerstörerischer Strom mit sich reißt. Am Ende ist er persönlich und finanziell ruiniert.

Das Wort Bankrott geht ursprünglich auf den italienischen Ausdruck “banca rotta” zurück, der soviel wie “zerschlagener Tisch” bedeutet. Dem zahlungsunfähigen Schuldner wurde zur Zeit der Renaissance der Tisch zerstört, an dem Geldwechsler ihre Dienste anboten, wenn er seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte. Um Verpflichtungen geht es auch Bosts Protagonist Brugnon in erster Linie. Er übernimmt als Nachfolger seines Vaters den Familienbetrieb und macht sich schnell als windiger, gelegentlich ungestümer Unternehmer einen Namen, dem in der einschlägigen Boulevardpresse der Ruf vorauseilt, verrückt zu sein. Oder psychisch wenigstens verhaltensauffällig. Schon sein Vater hatte Brugnons Eifer nie dämpfen oder in die Schranken weisen können; er ist das, was wir heute einen Workaholic nennen. Stets auf seinen Erfolg bedacht, diszipliniert, bis zur vollständigen Erschöpfung seinem Beruf ergeben, der ihn ausfüllt und keinen Platz für etwas anderes in ihm lässt. Brugnon verachtet faule Menschen, denen das Nichtstun und die Muße irgendeinen Gewinn bedeuten. Für ihn ist Gewinn in Zahlen und nicht selten etwas waghalsigen Geschäftsabschlüssen messbar, nicht in persönlicher Erfüllung oder Glück. In Brugnons Leben fällt beides auf verhängnisvolle Art zusammen und kündigt den Zusammenbruch schon lange vor den ersten Rissen an, die sich durch seine tatkräftige Fassade ziehen.

Männer, die wie Brugnon waren, machten die gleichen Bewegungen wie er und sprachen in verschiedenen Sprachen, aber sie verstanden sich untereinander über die Sprache des Geldes. Tag für Tag, zur immer gleichen Stunde, sprach Brugnon von denselben Menschen von denselben Dingen, und wenn ihn jemand gefragt hätte, ob er davon nicht genug habe, hätte er geantwortet: Monsieur, haben Sie etwa genug davon zu leben? Und glauben Sie, dass die Erde genug davon hat, rund zu sein?

Brugnon unterhält eine Beziehung zu Buchhändlerin Simone, die allerdings auf ihre eigene Art platonisch und schwärmerisch bleibt. Simone liebt Brugnon zwar bis zur Selbstaufgabe, letztlich bis zur Erniedrigung, aber sexuell bittet sie sich stets einen gewissen Abstand aus. Sie ist sich im Klaren darüber, dass Brugnon seine Bedürfnisse unter diesen Umständen anderweitig befriedigt und arrangiert sich damit, wenn sie ihn nur halten kann. Wenn er nicht vollkommen in seinen leitenden Bürotätigkeiten untergeht, zieht er mit seinem Sekretär Poussain in feuchtfröhlicher Absicht durch die Nacht. Insgesamt ist sein Leben beengt und schmerzhaft einseitig. Als ihm sowohl in der Firma als auch emotional die Dinge zu entgleiten drohen, wird damit eine Lawine in Gang gesetzt, die von niemandem mehr aufgehalten werden kann. Nicht nur, dass Brugnon geschäftlich Fehlentscheidungen trifft, er verliebt sich auch in seine Stenotypistin Florence, die, trotzdem sie ihm offen und freundlich begegnet, seine Liebesbekundungen nicht erwidern kann. Rasend vor lauter Gefühl, das er nicht bändigen kann, verliert er die Kontrolle über sich und sein Leben. Ob er wirklich liebt oder nur einer fixen Idee von Liebe zum Opfer fällt, bleibt strittig. Nichtsdestotrotz steht am Ende ein Bankrott auf allen Ebenen, eine Selbstinszenierung des Leids, die auf Seiten seiner Angestellten ebenso Leid verursacht.

Die folgende Nacht verbrachte Florence damit, die Ereignisse in ihrem Kopf immer wieder durchzuspielen, und sie konnte nicht einschlafen. Alles erschien ihr schwerwiegender, schmerzhafter, wie es geschieht, wenn die Nacht hereinbricht und wir uns allein fühlen, abgeschnitten von allen Zufahrtsstraßen, vor verschlossenen Türen stehend, und denken, dass die Welt um uns herum dem Schlaf hingegeben ist.

Pierre Bost, der sich weit mehr als Drehbuchschreiber und Journalist denn als Romancier einen Namen machte, seziert die Gedanken seiner Figuren äußerst akribisch, u.a. durch innere Monologe und Gedankenrede (eine Menge davon! Wem das zu innerlich ist, dem sei vom Roman abgeraten). In Gedankenschleifen und Selbstverwünschungen martern sie sich, verzweifeln, scheitern an ihren Ansprüchen und Erwartungen, die sich als unvereinbar mit der Wirklichkeit erweisen. Diese unmittelbare Präsenz der Gedanken lässt die Figuren plastisch werden, durchschaubar und verständlich; manches Mal aber auch aufdringlich und in ihren Befindlichkeiten fast unangenehm raumgreifend. Rainer Moritz, der nicht nur den Roman übersetzte, sondern auch ein Nachwort beisteuerte, weist in eben jenem auch auf die zunehmende Technisierung der Gesellschaft hin, die sich innerhalb des Romans an mehreren Stellen bemerkbar macht und die Protagonisten beeinflusst. Heute sind wir ständig gehetzt, beschäftigt, aber äußerst flexibel (idealtypisch gesehen) im Umgang mit den zahllosen Erfordernissen einer modernen Gesellschaft. Bosts Brugnon ist es nicht. Er zerbricht nicht nur an der Ödnis seines früh vorbestimmten Lebens, sondern auch an den Vorboten eines gesellschaftlichen Wandels. “Bankrott” ist ein eindringlicher Roman, intensiv und einnehmend, der mit einer präzisen Figurenzeichnung überzeugen kann.

Er selbst litt so stark, dass er das Recht hatte, nichts mehr auf die Leiden der anderen zu geben.

"buchhandel.de/Pierre Bost: Bankrott
Aus dem Französischen von Rainer Moritz
Dörlemann Verlag,
260 Seiten
20,00 €

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