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Daniel Anselme – Adieu Paris

Daniel Anselmes Roman ,Adieu Paris’, der im Original schlicht ,Der Fronturlaub’ (franz. ‘La Permission”) hieß, erschien ursprünglich bereits 1957 und brachte es niemals zuvor zu einer Übersetzung. Er verschwand überhaupt erstaunlich schnell aus dem Fokus der Öffentlichkeit und hinterließ im literarischen Diskurs überraschend wenig Spuren. Der Grund dafür ist sicherlich u.a. in der für französische Augen und Ohren unbequemen Thematik des Romans zu suchen: der Algerienkrieg, der zur Zeit der Veröffentlichung noch andauerte.

Drei junge Soldaten haben zehn Tage Fronturlaub und reisen von Algerien in ihre Heimatstadt Paris. Sie sind abgekämpft und erschöpft, freuen sich auf das Wiedersehen mit ihren Familien und etwas Ausschweifung und Ablenkung von ihren Erlebnissen. Sie sind unterschiedlicher Herkunft, ein Intellektueller, ein Frauenheld und ein Kommunist, aber untrennbar verbunden durch ihr gemeinsames Schicksal. Bereits im Zug treffen sie auf einen französischen Patrioten, der bereits in anderen Kriegen gedient hat als sie. Er überhäuft sie mit Kriegsanekdoten und Felderlebnissen, politischen Plattitüden und Stammtischparolen. So habe der Franzose fraglos das Herz am rechten Fleck, würde übrhaupt von aller Welt geliebt und dürfe Einmischungen etwa in seine Kolonialpolitik von “Russkis” oder “Yankees” unter keinen Umständen dulden. Die Fronturlauber weisen ihn barsch zurück. Sie sind nicht aus Vaterlandsliebe in Algerien. Sie suchen Abstand, nicht Verklärung.

“Nur weil wir Uniform tragen, müssen Sie uns nicht endlos ihre Landsergeschichten auftischen”, sagte Lachaume in demselben Ton. “Wenn Sie einen Kloakenputzer in seinem Ölzeug treffen, liegen Sie dem doch auch nicht mit Ihren Scheißanekdoten in den Ohren.”

In Paris angekommen, sehen sich Lachaume, Valette und Lasteyrie einer Fremdheit gegenüber, die fast mit Händen zu greifen ist. Während sie, aus ihren Leben gerissen Schreckliches erleben, spielt sich das Leben in Paris wie gewohnt ab. Es ist das Erlebnis der Zwischenweltlichkeit, das die drei jungen Männer mit unbarmherziger Faust trifft. Sie fühlen sich fraglos nicht etwa in Algerien oder im Krieg zuhause, bemerken aber bei ihrer Rückkehr, dass sie auch in Paris nicht mehr zuhause sind. Lachaume hat seine Frau, mit der es immer schon Konflikte gab, verloren. Als er die gemeinsame Wohnung betritt, ist sie nicht da. Nachdem er Stunden auf die gewartet und umsonst gekocht hat, quartiert er sich in einer billigen Absteige ein. Für den Algerienkrieg gibt es seinerzeit kaum eine Öffentlichkeit. Über den Verlauf und die Opfer wird nicht gesprochen, ja, gemäß offizieller Verlautbarungen gibt es keinen Krieg. Lachaume trifft auf einen guten Bekannten, der ihm erklärt, dass diese Auseinandersetzung in Algerien doch kaum Todesopfer fordere. Dass er, Thévenin, am Steuer seines Wagens wohl demselben Risiko ausgesetzt sei zu Tode zu kommen, wie Lachaume in Algerien.

“Was erzählen?”, brummte Lachaume. Panik erfasste ihn beim Gedanken daran, über den Algerienkrieg berichten zu müssen, hier, inmitten all dieser Leute, die in der Hoffnung, das Gespräch am Nachbartisch sei interessanter als ihr eigenes, so gut wie schweigend aßen. Nein, er hatte ihnen nichts zu sagen, diesen Leuten, für die er weder Sympathie noch Verachtung empfand.

In allen Begegnungen Lachaumes mit verschiedenen Vertretern der französischen Gesellschaft – dem Patrioten, dem gebildeten Normalbürger, dem Kommunisten – spiegeln sich falsche Rechtfertigungen, Desinteresse, Schönfärberei und Ohnmacht. Bei einem Essen mit der Familie seines Kameraden Valette ist auch ein Vertreter der Kommunisten anwesend, der ihm nichts anderes als Petitionen und Bürokratie anbietet, um ihn zurückzuholen. In den vorübergehend Heimgekehrten keimt eine unbändige Wut und Hilflosigkeit angesichts eines Krieges, der offiziell weder existiert noch für die meisten Menschen von Interesse oder Grund für offen artikulierten Widerstand ist. Daniel Anselme (eigentlich: Rabinovitch) zeigte sich seinerzeit insbesondere als Mitglied einer Widerstandsorganisation aus Partisanen, die zur Kommunistischen Partei gehörte, von den Kommunisten enttäuscht. Diese Enttäuschung ist dem Roman anzumerken. Literarisch hat sich der Algerienkrieg kaum niedergeschlagen – Beispiele von Anselmes Roman abgesehen sind u.a. Alexis Jennis “Die französische Kunst des Krieges” und Laurent Mauvigniers “Die Wunde”. Umso wichtiger und erfreulicher ist es, dass mit “Adieu Paris” nun ein weiterer eindringlicher Roman von den Erlebnissen der Soldaten berichtet. Erlebnissen, die nicht im Krieg selbst stattfinden, sondern außerhalb, in der Konfrontation mit der Heimat und ihrem Umgang mit den weit entfernten Schrecken.

Auf je eigene Weise verstand ein jeder am Tisch, dass das Gespenst des Krieges das Zimmer betreten hatte und in seiner Gegenwart jede Geste ungehörig war, sei sie auch noch so banal und berechtigt, wie etwa der Griff nach dem Brot.

,Adieu Paris’ ist ein eindrucksvoller, lohnenswerter und schmerzhafter Roman über ein Kapitel französischer Geschichte, das viele Jahrzehnte weder abgeschlossen noch bearbeitet wurde – aus der Sicht derer, die es am unmittelbarsten betroffen hat. In ihrem fachkundigen Nachwort schreibt Julia Schoch: “Erst 1999 wurde der Begriff Algerienkrieg überhaupt offiziell erlaubt.” und “Erst vierzig Jahre nach Kriegsende, im Dezember 2002, an einem bewusst unhistorischen Tag, weihte der damalige Präsident Jacques Chirac am Quai Branly in Paris das ,Mémorial de la guerre d’Algérie’, ein zentrales nationales Denkmal, ein.”

"buchhandel.de/Daniel Anselme: Adieu Paris
Aus dem Französischen von Julia Schoch
Arche Verlag,
208 Seiten
18,00 €

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