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Gedanken zur Shortlist

Die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2015 hat das Licht der Öffentlichkeit erblickt – und muss sich jetzt den zahlreichen Kritikern stellen. Denen, die etwas vermissen. Denen, die sich Verkäuflichkeit und Zugänglichkeit erwarten. Denen, die höchste literarische Kunstfertigkeit schätzen und besonders dann für preiswürdig halten, wenn die anvisierte Leserschaft sich auf einen möglichst erlauchten Kreis an Menschen mit profundem Fachwissen beschränkt. Diskussion haben Long – wie Shortlist schon seit jeher ausgelöst und das ist wahrscheinlich einer der positivsten Nebeneffekte dieser Preisverleihung: es entsteht ein Gespräch über Literatur, über Maßstäbe, Erwartungen und Prioritäten. Manch einem mag dabei aufstoßen, dass sich dank sozialer Medien und engmaschiger Vernetzung nun auch Diskutanten einschalten, die Literatur vornehmlich danach beurteilen, wie lesbar sie ist. Insgesamt aber profitieren Diskussionen sicher von der Vielstimmigkeit.

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Diese Shortlist ist sperrig. Sämtliche vergleichsweise leicht lesbare Titel wie „89/90“ (vermutlich wollte man nicht wieder DDR-Thematik auszeichnen), „Bodentiefe Fenster“, „Baba Dunjas letzte Liebe“ oder „Applaus für Bronikowski“ sind aus dem Rennen, genauso wie die hochpoetischen Weltuntergangsszenarien von Valerie Fritsch und Heinz Helle. Clemens Setz, bereits mehrfach für den Buchpreis nominiert und mit seinem Mammutwerk „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“, zu dem aktuell ein großangelegtes Social Reading Projekt stattfindet, von vielen favorisiert, geht auch diesmal leer aus und teilt dieses Schicksal mit Ilja Trojanow. Nischentitel wie „Der Fuchs und Dr. Shimamura“ oder das leichtfüßigere „Lucia Binar und die russische Seele“ waren bereits von Beginn an mehr Leseangebote als ernsthafte Preisanwärter. Übrig geblieben sind nun überwiegend die Schwergewichte, die entweder für besonders zeitgemäß oder artifiziell befunden wurden. Ulrich Peltzers als hochaktuell gelobtes „Das bessere Leben“ spaltet die Gemüter, – mit seiner manierierten und komplexen Sprache wie Stilistik wird dieses Buch eines für wenige bleiben; ebenso wie Frank Witzels 800-seitiges Mammutwerk voll bundesrepublikanischer Wirklichkeit von RAF zur Gegenwart. Allerdings erkennt man bereits in der Wahl Peltzers ein offensichtlich wichtiges Kriterium neben der Literarizität; nämlich Aktualität. Auch Jenny Erpenbecks Geschichte rundum die Flüchtlinge des Berliner Oranienplatzes könnte kaum zu einem besseren Zeitpunkt in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Wer sich vermeintlich literarisch am rasenden Puls der Zeit befindet, hatte dieses Jahr gute Chancen. Fraglos stellt sich bei der Bewertung von Literatur immer die Frage, ob und wie sie zeitaktuelle Fragestellungen gesellschaftlicher Art aufgreift; allein aber dass sie es tut, dürfte nicht preisverdächtig sein. Und literarisch krankt Erpenbecks Roman an einigen Stellen, wenn er es auch zu einer glänzenden Reportage hätte bringen können.

Mit Rolf Lapperts „Über den Winter“ hat es die vergleichweise gemächliche Familiengeschichte des Künstlers Lennart Salm auf die Shortlist geschafft – ein Roman, der zwar mitnichten schlecht geschrieben oder konzipiert, in seiner Gesamtheit aber eigentümlich blutleer und farblos ist. Der beste deutschsprachige Roman des Jahres? Wahrscheinlich nicht. Er sticht im Gegensatz zu den anderen heraus durch seine Behäbigkeit. Inger-Maria Mahlkes Ausflug in die Tudorzeit ist speziell, gewagt, besonders und lesenswert. Vor dem Hintergrund der kleinwüchsigen und unter Hausarrest gestellten Mary Grey entfalten sich royale Heuchelei und Willkür sowie die Frage nach Selbstbestimmung und Teilhabe an einem potentiell destruktiven System. Das gilt für Mary Grey gleichermaßen in ihrer Zeit wie für viele von uns in der heutigen. Monique Schwitter, auch diesjährige Anwärterin für den Ingeborg Bachmann Preis vor einigen Monaten, erzählt von der Liebe und einer ganz persönlichen „Liebesbiographie“ anhand von zwölf Männern, die ihre liebesbedingte Überhöhung auch durch die biblische Namensgebung erfahren. Was Liebe so tut, wenn man sie lässt.

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Es scheint ein bisschen so als müsste man sich nach dem sehr erfolgreichen „Kruso“ nun wieder eines Titels annehmen, der sich dem Leser zunächst – vielleicht auch dauerhaft – verweigert. Fraglos ist Zugänglichkeit kein Kriterium, in der Literatur schon gleich gar nicht, schließlich ist der Autor kein Dienstleister. Aber auch Sperrigkeit ist es nicht. Nicht alles, was die Leser abholt, wo sie sich befinden, ist per se verdächtig genausowenig wie alles, was möglichst verschwurbelt daherkommt, eines Preises würdig ist. Keines Preises jedenfalls, der die Aufmerksamkeit auf die deutsche Literatur richten soll, die mit dieser Shortlist eher unzureichend abgebildet ist. Es soll nicht nur die Aufmerksamkeit derer sein, die sich ohnehin täglich von Berufs wegen mit Literatur beschäftigen, die geübten, routinierten Leser, die spitzzüngigen Intellektuellen, für die Unterhaltungsliteratur geradezu blasphemisch ist. Es soll auch die Aufmerksamkeit des interessierten Lesers erwecken, der abseits der Buchbranche gelegentlich die Blicke schweifen lässt. Das könnte sich angesichts dieser schwierigen, etwas behäbigen und vereinzelt elfenbeinernen Liste als erfolglos erweisen. Diese Shortlist ist eine Abschottungsliste, die sich genau jenen öffnet, denen Literatur dieser Art ohnehin schon immer offen stand. Eine Liste für den kleinen Kreis der Literaturarbeiter, die sich gelegentlich auch abrackern können und wollen für das Gute und Schöne. Das ist legitim, aber eben nicht für jeden gleichermaßen erfreulich.

Am 12. Oktober wird der Deutsche Buchpreis in Frankfurt verliehen.

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