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Jens Steiner – Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit

In Jens Steiners neuem Roman überstürzen sich die Dinge nicht selten in loriot’scher Zimmerverwüstungsdynamik. Eines greift unwillentlich ins nächste, was ursprünglich eine politische Aktion war, wird plötzlich zur unfreiwilligen Familienzusammenführung. Und zwischen allem und jedem: Schopenhauers Pudel und ein descartscher Homunkulus. Dieses Tableau an Skurrilitäten ist zwar genauso absurd wie es klingt, macht deshalb aber mitnichten weniger Spaß.

Eigentlich ist Paul Kübler ein ganz normaler Philosophiestudent. Gemeinsam mit seinem Freund Magnus bildet er gewissermaßen eine eigene Einheit innerhalb der Studentenschaft. Die beiden nehmen ihr Studium und seine Inhalte nicht ganz so verbissen, lesen statt Parmenides auch Perry Rhodan und tun sich gelegentlich mit manch scharfsinniger Betrachtung ihres Umfelds hervor. Ihr größter Coup soll ihnen aber gelingen, als Medienmogul Henri Kudelka sich für einen Vortrag auf dem Universitätsgelände ankündigt. Er, dem nachgesagt wird, dass er mehrere Zeitungen besitzt und kontrolliert, will zur Zukunft der Printmedien im 21.Jahrhundert referieren. Das stachelt die beiden Sonderlinge zu einer politisch-motivierten Aktion an, die beweisen soll, wes Geistes Kind Kudelka tatsächlich ist. Nämlich einer, der Macht hat und Macht nutzt, um öffentliche Meinung zu bilden. Sie treiben einen alten Vortrag von ihm auf und spielen ihn ab, als Kudelka gerade aufs Podium tritt, um zu den Studenten zu sprechen. Wie kalkuliert und erwartet wird Kudelka nicht nur für seine Heuchelei ausgepfiffen, sondern auch entführt. Wie Paul wenig später in der muffigen Wohnung seines Nachbarn feststellt, offensichtlich von ihm selbst.

Es schien mir unmöglich, mich jemals wieder durch die Welt zu bewegen. Immer war da Sinn um mich herum gewesen, und ich selber hatte für den Unsinn gesorgt. Nun war ich mit einem fremden Unsinn konfrontiert, und meine Verachtung hatte kein Ziel mehr.

Ihm immer mal wieder (hilflos) zur Seite steht ein kleines Männchen, der Homunkulus. Er ist so etwas wie der materialisierte Geist in Paul Küblers, in unser aller Kopf, der uns die Welt erklärt. Descartes, so erklärt es auch Magnus seinem Freund Paul zu Beginn, forschte zur Wahrnehmung und kam, wie nicht wenige vor ihm in ähnlicher Weise, zu dem Schluss, dass wir nicht tatsächlich sehen, was ist. Wir machen etwas daraus. Das Bild unserer Augen wird auf die Netzhaut zurückgeworfen, erst dort nehmen wir es wahr. Der Homunkulus ist das kleine Wesen, das uns erklärt, was auf unserer inneren Leinwand abläuft. Und was es bedeutet. Nur dass Küblers Homunkulus ähnlich ahnungslos ist wie er selbst, – was entweder sehr deprimierend oder sehr erleichternd ist, je nach Perspektive. Es verschlägt Paul Kübler mit neuem Pass, schließlich wird er für die Kudelka-Entführung landesweit gesucht, als Pablo Escobar aus Zürich nach Frankreich. Es gehört zu den ironischen Volten, die der Roman schlägt, dass Kübler mit ausgerechnet diesem Decknamen unbehelligt durch die Lande reisen kann.

Schmerz ist etwas Eigenartiges. Immer trägt er auch ein Körnchen Wohlgefühl in sich.

Man merkt Jens Steiner, der 2013 mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurde und mit seinem Roman ,Carambole‘ im selben Jahr auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, nicht nur das Philosophiestudium, sondern auch die ungebremste Lust am Fabulieren an. Der Roman steckt nicht nur voller skuriller Einfälle und Anspielungen auf philosophische Denkansätze, sondern endet schließlich, als er Kudelka tatsächlich entführt und nicht fälschlicherweise beschuldigt wird, mit der Frage: Wie wollen wir leben? In einer Situation, die wohl ihre filmische Entsprechung in ,Die fetten Jahre sind vorbei’ fände, prallen Generationen und Wertvorstellungen aufeinander. Kudelka, der bereit ist, für sein finanziell abgesichertes Leben so einige Kompromisse zu machen. Kübler, der sich in seinem moralisch abgesicherten Leben den Idealismus leistet. Vorerst jedenfalls. Steiners Roman ist mit seinen philosophischen Querverweisen, seinen großen Fragen nach Wahrnehmung und Lebensgestaltung, nicht unbedingt das, was man leicht zugänglich nennt. Aber es gelingt ihm mit seinem eigensinnig-charmanten Humor die klugen Gedanken nahezu anstrengungslos unterzuheben. Man müht sich nicht ab, vielmehr wird man hineingeworfen in diesen Irrsinn wie man ja bekanntermaßen auch ins Leben geworfen wird. Das ist nicht immer schön, aber gelegentlich lernt man etwas dabei. ,Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit’ dürfte eher eine Freude für etwas experimentellere Leser sein, die sich nicht vor grobem Unfug scheuen. Denn wenn man ein bisschen siebt, findet man feine Körnchen Wahrheit darin.

Hast du nur ein einziges Mal in deinem Leben etwas ganz bewusst getan, und zwar nicht nur im Bewusstsein deiner eigenen Freiheit, sondern auch im Bewusstsein all der Unfreiheiten, die du mit jeder deiner Handlungen bei anderen auslöst?

Jens Steiner: Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit, Dörlemann Verlag, 240 Seiten, 9783038200154, 20,00 €

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