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Adelle Waldman – Das Liebesleben des Nathaniel P.

Nathaniel Piven ist ein relativ großer Hecht im hart umkämpften Teich der New Yorker Kultur – und Literaturszene. Nach entbehrungsreichen Jahren als freier Kritiker hat er sich nun einen Platz und eine Reputation erstritten, die ihm ein finanziell stabileres Leben ermöglicht. Einzig seine Beziehungen zu Frauen sind geprägt von ständigen Missverständnissen, Trennungen und Verlusten. Und das hängt viel mehr mit seiner Art zusammen, Frauen zu betrachten, als mit den Frauen selbst.

Bereits die erste Szene in Adelle Waldmans Roman illustriert eine unangenehme Kollision zwischen Nathanael “Nate” Piven und einer verflossenen Liebe. Von denen hat er eine ganze Menge. So wie manch anderer Sammeltassen auf dem Kamin arrangiert oder Briefmarken in ein Album steckt, sammelt Nate Misserfolge mit Frauen. Er fühlt sich schnell von ihnen angezogen, dafür reicht ein lasziver Blick, eine wohlgeformte Figur oder eine halbwegs intelligente Bemerkung. Aber ebenso schnell wie er für eine Frau entflammt, kühlt er auch wieder ab, wenn es um ihre weniger vorteilhaften Seiten geht. Mal sind die Frauen ihm zu moralisierend, zu schrill, zu bedürftig, zu eigenständig, zu vereinnahmend. Dann ihre Oberarme einen Hauch zu dick oder ihre Fertigkeiten beim Oralverkehr unzureichend. Es gibt kaum etwas, das er an einer Frau nicht kritisieren kann. Und wenn gerade keine Dame zur Prüfung bereitsteht, kritisiert er Bücher oder die Gesellschaft, beides mindestens ebenso inbrünstig wie das weibliche Geschlecht.

Nathaniel Piven war ein Produkt des Postfeminismus, Kindheit in den 1980ern, politisch korrekt erzogen, Studium in den 1990ern. Er wusste alles über männliche Privilegien. Außerdem besaß er ein funktionsfähiges und ziemlich lautstarkes Gewissen.

Das lautstarke Gewissen allerdings meldet sich vornehmlich im Hinblick auf die Verfehlungen anderer. So bricht er bei der Cocktailparty seiner Ex-Freundin Elisa eine Grundsatzdiskussion über das Outsourcen von Ausbeutung und die Käuflichkeit eines guten Gewissens vom Zaun, der nur wenige teilnehmend folgen. Stattdessen wird weiter der Wein entkorkt. Zwar spricht Nate immer wieder von einem “Wir”, einem großen Gesellschaftsganzen, ein Mann der Selbstkritik aber ist er nicht. Höchstwahrscheinlich ist er nicht in diesem “Wir” enthalten, vielmehr wahrt er als Beobachter den Überblick. Als er auf besagter Cocktailparty Hannah kennenlernt, eine intelligente und schlagfertige Frau, entwickelt sich dieses Zusammentreffen zu einer ernstzunehmenden Beziehung, die über den gewöhnlich stichprobenartigen One-Night-Stand hinausgeht. Aber auch hier nach einigen Monaten der bekannte Ablauf: Nate fürchtet um seine Unabhängigkeit, er ist lustlos, zieht sich zurück, ist angewidert von Hannahs Rettungsversuchen dieser zum Scheitern verurteilten Beziehung.

Gegen Ende des zweiten Studienjahrs aber begann er aus einer fieberhaften Einsamkeit heraus zu lesen, einer Einsamkeit, von der er irgendwann fürchtete, sie könnte von Dauer sein. Wenn er, wenn jemand wie er im College nicht glücklich war, wo und wann sollte er dann je glücklich werden? Diese Enttäuschung und seine Situation verbitterten ihn, und er fällte mit den zu pauschalen Einschätzungen eines Frustrierten harte Urteile über seine Umwelt.

Adelle Waldman präsentiert uns das Psychogramm eines selbstgerechten Intellektuellen, dessen geistige und journalistische Errungenschaften nicht darüber hinwegzutäuschen vermögen, dass er sozial und partnerschaftlich eher unerentwickelt ist. In seiner kleinen Apartmentwohnung regiert das Chaos, kurze Anflüge von Missfallen und Übellaunigkeit bekämpft er mit einem Glas Whisky. Die Erzählperspektive ist deutlich personal eingefärbt, Nate dominiert, was der Leser denkt und fühlt. Inhaltlich setzt Adelle Waldman in ihrem Setting auf die Wiederholung des ewig Gleichen. In mehr oder weniger gehaltvollen Gesprächen in hippen Straßencafés und Bars werden Beziehungs – und Lebensprobleme mit wechselnden Freunden Nates erörtert. Mal ist es seine Freundin Aurit, mal sein gut gebauter Freund Jason. Diese repetitive Machart kann ermüdend sein, zumal die Gespräche und Treffen selbst die Handlung wenig voranbringen. Hier und dort werden gesellschaftlich relevante Themen zwar angeschnitten, allerdings, so mutmaßt man, mehr zur Hebung des Gesprächsniveaus als aus dem Grunde, dass die Gesprächspartner aufrichtiges Interesse dafür haben. Das spiegelt freilich die Welt, in der Nate sich bewegt und die, entgegen aller Hoffnungen, mancherorts mindestens ebenso stereotypüberladen, reaktionär und voller -ismen ist wie alle anderen auch. Auch wenn man der Literaturbranche Besseres zutraut – oder zutrauen möchte. Adelle Waldman schreibt witzig, charmant, pointiert und bösartig. Dieser Schreibstil ist es auch, der über Durststrecken des Romans rettet, in denen man ernsthaft darüber nachdenkt, ob man seine Zeit gerade sinnvoller vertun könnte. ,Das Liebesleben des Nathaniel P.‘ ist keine Sensation, kein Must-read oder -have, aber ein amüsantes Sittenbild derer, die sich gern in der Oberfläche anderer spiegeln.

War dieser … Café-Latte-Liberalismus sein unausweichliches Schicksal? Wahrscheinlich. Es war reine Eitelkeit, etwas anderes vorzugeben.

Adelle Waldman: Das Liebesleben des Nathaniel P., aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, liebeskind Verlag, 304 Seiten, 9783954380480, 19,90 €

Zwei ganz verschiedene Betrachtungen dieses Romans gibt es bei der Klappentexterin und buchrevier.

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