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Manuel Möglich – Deutschland überall

Wie es zugeht an den Rändern und in den Nischen Deutschlands, hat Manuel Möglich mit seiner Reportagereihe ,Wild Germany‘ bereits ausgelotet. Wie aber wird Deutschland an anderen Orten der Welt wahrgenommen? Vor allem dort, wo sich noch deutsche Geschichte verbirgt? In ,Deutschland überall’ spürt er in Brasilien, Namibia, den USA, Tschechien, Rumänien, China und auf Samoa einem Deutschland nach, das mit der Wirklichkeit oft nicht mehr viel zu tun hat.

Wer hätte gedacht, dass es unter der heißen Sonne Namibias, zu Kolonialzeiten auch Deutsch-Südwestafrika, noch immer Menschen gibt, die den Geburtstag Kaiser Wilhelms II feiern? Initialzündung für die Reisen Manuel Möglichs war das Gerücht, man feiere in Namibia noch immer den Geburtstag Adolf Hitlers. Dort angekommen, bestätigt sich das zwar nicht sofort, einige Einheimische entgegnen ihm jedoch, sie könnten sich das gut vorstellen. In Lüderitz und Windhoek gibt es noch deutsche Buchhandlungen, Kneipen, in denen die Reichskriegsflagge hängt; es gibt ein Schützenhaus und seit 1907 einen Knobelklub. Viele Einwohner sind Nachkommen der Kolonialisten, in zweiter oder dritter Generation. Manche trieb es sogar auch nach Deutschland, manchen in die DDR, viele aber wissen gar nicht, wie es mittlerweile in diesem Land aussieht, dessen Traditionen und Brauchtümer sie auf dem afrikanischen Kontinent am Leben zu erhalten versuchen. Und so überrascht es nicht, dass das Deutschlandbild einiger längst eines aus der Vergangenheit ist.

Es gibt die bekanntesten Nachrichtenmagazine und Revolverblätter aus Deutschland, Verkaufshits sind “Der Spiegel” und die “Allgemeine Zeitung”, mit fast hundert Jahren die älteste Tageszeitung Namibias und die einzige deutschsprachige Tageszeitung in ganz Afrika. In der Bücherauslage vor der Kasse stapelt sich “Shades of Grey” neben Titeln von Richard David Precht.

Dass in der Ferne vielfach ein etwas verzerrtes und vorallendingen idealisiertes Deutschlandbild vorherrscht, muss Manuel Möglich auf seinen Reisen noch desöfteren feststellen. Beim brasilianischen Oktoberfest in Blumenau, gegründet von einem deutschen Apotheker, hört er immer wieder ,Ein Prosit der Gemütlichkeit’, die deutsche Tüchtigkeit wird gelobt, die Pünktlichkeit, die Qualität deutscher Produkte und die Kraft deutscher Sprache. Es gab sogar Zeiten in Brasilien, in denen das Deutschsprechen in der Öffentlichkeit nicht nur verpönt, sondern sogar gesetzlich verboten war. Etwas weiter entfernt von Blumenau gibt es in Londrina im Bundesstaat Paraná gar den ,Club Germânico’. Ein Club, in dem regelmäßig Deutschsprachige und von deutscher Kultur Begeisterte zusammentreffen. Für besonders deutsch wird dort die ,Gemütlichkeit’ befunden, die direkt mit Kaffee, Apfelstrudel und Volksmusik zelebriert wird. In manchen Ländern sind deutsche Gemeinden noch immer lebendig – wenn auch klein und vom Aussterben bedroht -, in anderen wiederum scheint Deutschland nur noch ein Schatten früherer Tage, den man wirtschaftlich für sich nutzen kann. Wer hätte vermutet, dass es in Tsingtao, der ehemals einzigen asiatischen Kolonie, silberne Alphörner, “Deutsche Produkte” und europäische Architektur zu finden gibt?

Ich muss mir das kurz klarmachen: Rund zehntausend Kilometer von Deutschland entfernt spielt eine brasilianische Blaskapelle in Fake-Lederhosen, neben ihr steht eine hundert Jahre alte deutsche Lokomotive, und im Hintergrund erhebt sich dieses mächtige Fachwerkhaus. Und überall Palmen.

Manuel Möglichs Reportagen sind direkt und authentisch. Ganz im Sinne des Thompson’schen Gonzojournalismus nimmt er sich niemals aus seinen Beobachtungen aus. Wie auch in ,Wild Germany’ (das sein Vorbild im Übrigen in der amerikanischen Reportagereihe Louis Theroux’s Weird Weekends hat, empfehlenswert!) ist er stetig präsent, beschreibt eigene Gefühle und Gedanken in Zusammenhang mit dem Erlebten und vermittelt so einen bedeutend direkteren Zugang. Was mancherorts als unsauber gilt, ist für Manuel Möglich bedeutsamer Wesenszug seiner journalistischen Arbeit. Er sucht die Kommunikation auf Augenhöhe, nicht den moralischen Zeigefinger. Obwohl er ihn auch in ,Deutschland überall’ durchaus hier und dort mahnend hätte heben können, wenn Inge vor ihrem Apfelstrudel in Brasilien gegen Ausländer wettert. Stattdessen sind seine Reiseberichte, für die er zusammen genommen rund zwei Monate unterwegs war, in gleichem Maße unterhaltsam wie informativ. Nicht nur geschichtlich sind die Reminiszenzen Deutschlands am anderen Ende der Welt hochinteressant, auch kulturell und menschlich sind die Gespräche und Entdeckungen, an denen Manuel Möglich uns teilhaben lässt, eine große Bereicherung. Trotz volkstümelnder Kuckucksuhr auf dem Cover sei hiermit eine uneingeschränkte Empfehlung für dieses Buch ausgesprochen, das sich Deutschland außerhalb des Landes annähert und weit mehr liefert als eine Sammlung Klischees.

Manuel Möglich: Deutschland überall, Rowohlt Verlag, 288 Seiten, 9783871342004, 19,95 €

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