Graphic Novel
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Lukas Jüliger – Vakuum

Die Jugend ist gemeinhin ein Zustand, den man oft verflucht, wenn man sich mitten in ihm befindet, aber nostalgisch verklärt, wenn der Abstand groß genug ist. In Lukas Jüligers ,Vakuum’ wird es langsam Sommer, etwas liegt in der Luft, blüht und knospt. Es ist nicht nur der Sommer oder der Schulabschluss, es ist mehr. Eine brodelnde Bewegung unter der Oberfläche, die kaum jemand wahrzunehmen scheint. Außer vielleicht der Junge, dessen Freund all seine Pflanzen verschenkt und Elektrogeräte verbrennt.

Er, dessen Name nicht genannt wird, ist etwas einsam und melancholisch. Sein japanischer Freund Sho ist bereits seit Monaten nicht mehr derselbe, mutmaßlich seit sie gemeinsam die Blüten einer besonderen Pflanze zu Tee verarbeitet haben. Sho verschwindet immer wieder, ist geistesabwesend, beinahe leblos, sieht man von den notwendigsten Verrichtungen ab. Sho verschenkt seine gesamte Habe. Was dem einen wie ein Neuanfang erscheinen will nach dem Zusammenbruch, erscheint manch anderem wie ein letztes Abschiednehmen. Zur gleichen Zeit lernt der Junge ein Mädchen kennen. Sie ist ebenso einsam wie er, beobachtet menschliches Miteinander mehr als dass sie selbst Teil davon ist. Die beiden verabreden sich, trinken Wein, schweigen gemeinsam, ohne, dass es unangenehm wird. Nur ihre plötzlichen Aufbrüche beginnen mysteriös zu werden.

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jüliger2Die großen Veränderungen brechen herein, als der unauffällige Ben Fimming sich an einer Mitschülerin vergeht und danach das Leben nimmt. Es wirbelt Staub auf und öffnet die Tür einen Spalt breit für das alltägliche und unberechenbare Böse. Die Jugendlichen versuchen zu begreifen, treffen sich sogar nachts, um Bens Leiche zu betrachten und damit einen ersten Blick auf ihre eigene Endlichkeit zu erhaschen. Näher bringt es ihnen weder den Tod noch das Nichts; nichts von beiden wird durch seinen bloßen Anblick begreiflicher. In einzelnen Wochentagen entfaltet Lukas Jüliger, der im Augenblick Gast im Literarischen Colloqium Berlin ist, ein Panorama sinnlich-poetischer Bilder und Anspielungen. Es geht um die erste Liebe, um Selbstzweifel, das Erwachsenwerden. Um die Endlichkeit und eine wohlige Form des Nichtseins – in Form eines wärmenden Vakuums. Was zunächst wie eine ganz gewöhnliche Geschichte beginnt, steigert sich zu einer märchenhaften Erzählung, die am Ende – da schließt sich der Kreis – wieder von profaner Realität in brutalster Form gebrochen wird.

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Lukas Jüligers Stil ist detailreich, seine Farbgebung fast monochrom und nahezu durchgehend in rot-bräunlichen Tönen gehalten. Das schafft Intimität und ein eigentümliches Gefühl von Zwischenweltlichkeit. (und darin erinnert es ein wenig an Tirabosco & Wazems ,Das Ende der Welt‘) Das, was in dieser Graphic Novel passiert, nimmt uns zwar völlig in Beschlag, spielt aber nur in Teilen in der Wirklichkeit, die wir kennen. ,Vakuum‘ ist beiläufig, intensiv, zauberhaft und ein bisschen bizarr. Und, auch das muss man erwähnen: Lukas Jüligers Debüt. Man kann nur hoffen, dass noch weitere Arbeiten auf diesem Niveau folgen werden, mit dieser Graphic Novel jedenfalls ist eine Geschichte gelungen, die in ihrer Gesamtheit zu überzeugen weiß. Künstlerisch, stilistisch, inhaltlich.

Wer mehr von Lukas Jüliger sehen will, besuche seinen Tumblr-Account oder seine Homepage.

Lukas Jüliger: Vakuum, Reprodukt Verlag, 128 Seiten, 9783943143157, 20,00 €

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