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Doris Dörrie – Diebe und Vampire

Alice ist jung und in einer nicht näher definierten Beziehung zu einem arrivierten Dermatologen. Was sie mit ihm will und er mit ihr, ist unklar; auch für die beiden. Vielleicht sucht sie etwas zum Festhalten und er etwas zum Repräsentieren. Als das ungleiche Paar in Mexiko Urlaub macht, lernt Alice eine Frau kennen, die sie seitdem nur ,Die Meisterin’ nennt. Eine Frau, die genau das ist, was Alice gern wäre.

Unter der drückenden Hitze Mexikos urlauben Alice und ihr väterlicher Doktorenliebhaber, den sie dem Leser nur als Pe vorstellt, zwar gemeinsam; aber nicht etwa in leidenschaftlicher Umschlingung, sondern eher in fast zufälliger Beiläufigkeit. Die beiden passen nicht zusammen. Äußerlich nicht und in ihren Lebensentwürfen schon gar nicht. Pe ist erfolgreicher Dermatologe, war bereits verheiratet und hat Kinder, Alice ist jung und studiert sich etwas orientierungslos durch den linguistischen Fachbereich ihrer Universität. Irgendetwas aber hat sie zusammentreffen lassen und der ältere Liebhaber gibt nicht nur gern Kostproben seines Luxuslebens, Alice nimmt sie, wenn auch mit schlechtem Gewissen, ebenso gern an. Ihr geheimer Traum: Schriftstellerin zu werden.

Ich hatte tatsächlich die nebulöse Vorstellung, ich müsse nur genug vor mich hin träumen, dann würden irgendwann die Gedankenfetzen, Bilder, Töne und Geschichten schon ihren Weg aufs Papier finden.

In ,Der Meisterin’, einer eleganten und älteren Frau, die sie am Strand trifft, entdeckt Alice ihr Vorbild. Die Amerikanerin ist eine bekannte und erfolgreiche Autorin. Sie strukturiert ihren Schreiballtag nach strengen Zeitvorgaben, schreibt jeden Tag. Sie ist von einer kühlen Strenge und Beherrschtheit, zielstrebig und klar. All das imponiert Alice so sehr, dass sie verzweifelt versucht, mit der Frau in Kontakt zu kommen. Was ungelenk mit offensichtlichen Schreibritualen auf der Liege nebenan beginnt, wird eine Geschichte, die die Meisterin zum Schreiben inspirieren soll. Ein Junge ist im städtischen Gefängnis unter erbärmlichen Bedingungen inhaftiert worden, nachdem er versucht hatte, den Großgrundbesitzer zu töten, der seinen Vater auf dem Gewissen hat. Die beiden Frauen fahren gemeinsam zum Gefängnis und setzen sich für eine Verlegung des Jungen in ein Jugendgefängnis ein – vollkommen übereilt und in blindem Aktionismus.

Pa sah ein, dass der gefangene Junge betreut werden musste. Ein tägliches mehrstündiges Treffen mit der Meisterin zum Kaffeetrinken hätte er kaum akzeptiert. Gleichzeitig machte er sich über uns lustig und nannte uns jail hummingbirds, Gefängniskolibris, die die jail birds, die Knastvögel, besuchten.

Die Begegnung mit der Meisterin hat für Alice auch über den Urlaub hinaus weitreichende Folgen. Sie beginnt sogar zu schreiben; jedoch bleibt ihr größter Erfolg bis zuletzt nur ein Schreibratgeber, der ihr selbst zwar nichts nützt, aber genug Geld in die Kasse spült, um als erfolgreiche Autorin zu gelten. Autoren sind Diebe und Vampire, sagt die Meisterin. Sie saugen anderen die Geschichten aus, stehlen Gefühle, Charaktere, Ideen. Aber selbst das gelingt Alice nicht. Doris Dörries Roman ist herrlich unterhaltsam und doppelbödig, nicht zuletzt deswegen, weil auch er zu großen Teilen vom Schreiben und dem Kampf damit handelt. Aber er ist nicht nur eine ironische Betrachtung und Spiegelung des Schriftstellerberufs, sondern auch ein Roman vom Suchen und Älterwerden, von Idolen und Träumen, aus denen oft genug nichts und manchmal etwas ganz Anderes wird als man ursprünglich gehofft hat. Hier und da blitzen kleine Seitenhiebe auf gehypte Jungautoren durch, die mit unzugänglicher Experimentalprosa vermeintlich jeden Kritiker des Feuilletons zu Freudentaumeln veranlassen. Darüber hinaus aber niemanden mit nur einem Wort erreichen. Manchmal sind es auch diese Menschen, denen die Selbstinszenierung mehr liegt als das Selbstsein, denen Fiktion in jedem Bereich ihres Lebens kraftvoller erscheint als die manchmal so ernüchternde Wahrheit und Banalität. Ein Roman, der zu fesseln weiß durch kluge Charaktergestaltung und so klare wie schnörkellose Sprache.

Doris Dörrie: Diebe und Vampire, Diogenes Verlag, 224 Seiten, 9783257069181, 21,90 €

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