Graphic Novel
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Paco Roca – Kopf in den Wolken

Paco Roca gilt als einer der erfolgreichsten Comiczeichner Spaniens. Hat er mit ,Der Winter des Zeichners‘ einen Blick auf fünf leidenschaftliche Zeichner und deren Versuch geworfen, ein eigenes Magazin zu veröffentlichen, begleitet ,Kopf in den Wolken’ den alten Emilio auf seinem Weg ins Vergessen. Ein anrührendes und einfühlsames Werk über das das Alter und Demenz.

Emilio war einst Leiter einer Bank. Akkurat, vertrauenswürdig, genau. Im Alter jedoch wird er zusehends schusselig. Er vergisst, dass er längst nicht mehr arbeitet und schlägt seinen Kindern im Gespräch aufgrund ihrer finanziellen Lage ein vermeintlich erbetenes Darlehen aus. Immer wieder kann Emilio Vergangenheit und Gegenwart nicht unterscheiden. Seine Kinder entschließen sich, letztlich mit der Situation überfordert, Emilio in ein Pflegeheim zu bringen, wo er fachkundige Betreuung erfährt. Und sie selbst nicht allzu oft auftreten müssen. Zwar verabschieden sie sich mit der Beteuerung, ihn oft zu besuchen; diese guten Absichten bleiben aber weit mehr Lippenbekenntnis als dass sie in die Tat umgesetzt werden. Schade, im Pflegeheim, das Paco Roca zeichnet, aber nicht ungewöhnlich. Mancher versucht verzweifelt, seinen Optimismus beizubehalten und sich die Einsamkeit in dieser Einrichtung als ein Zurückstecken gegenüber der Kinder zu verkaufen. Man will ihnen nicht zur Last fallen. Andere benennen deutlich zynischer, dass der Aufenthalt in dieser Einrichtung nicht viel mehr als das Warten auf den Tod sei.

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Gleich bei seiner Ankunft trifft Emilio auf Miguel, der nicht nur sein Zimmernachbar, sondern einer der geistig klareren Bewohner ist – und daraus Kapital schlägt. Er führt Emilio durch die Aufenthaltsräume, in denen sich alle hauptsächlich von einer Mahlzeit zur nächsten schlafen. Eine lähmende Ruhe umgibt die untere Etage, nur unterbrochen von einem einstigen Radiomoderator, der nur noch in der Lage ist, alles zu wiederholen, was er hört. Und einer alten Dame, die verzweifelt nach einem Telefon sucht, um ihre Tochter zu benachrichtigen. Sie solle sie abholen. Bevor sie jemals ein Telefon erreicht, hat sie aber schon wieder vergessen, was sie eigentlich tun wollte und so zieht sie ewige Kreise von der Rezeption und wieder zurück. Es sind tragikomische Bilder, die Paco Roca zeichnet. Bilder, die auf den ersten Blick zwar komisch wirken, in sich aber große Verlassenheit spiegeln. Viele haben große Teile ihres einstigen Charakters eingebüßt, in ihren Köpfen aber leben sie noch immer (oder wieder) in der Vergangenheit.

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Eigentlich unnötig zu sagen, dass auch Emilio sich zunächst für gesünder hält als er ist. Seine Krankheit – die Demenz – wird ihm erst bewusst als ein Pfleger ihm versehentlich die Medikamente seines Tischnachbarn Modesto gibt und abwinkt: ,Macht ja nichts, Sie bekommen sowieso dieselben.‘ Bei Modesto ist die Krankheit deutlich weiter fortgeschritten, er erkennt seine Frau nicht, die jeden Tag mit ihm am Tisch sitzt. Als der Arzt Emilio diese schreckliche Diagnose bestätigt, setzt er mit Miguel alles daran, die schleichende Verschlechterung seines Zustands geheimzuhalten. Er will alles tun, um nicht in die zweite Etage verlegt zu werden. Dort betreut man die schweren Fälle, jene, die sich weder allein anziehen noch allein essen können. Und so hilft Miguel Emilio wo er kann, hängt kleine Schildchen an seine Kleidung, damit er sie benennen und in der richtigen Reihenfolge tragen kann. Gemeinsam mit Antonia machen die beiden Alten gar einen Ausflug und flüchten für kurze Zeit vor dem Unabwendbaren.

Paco Roca gelingt mit diesem Comic eine so einfühlsame wie authentische Darstellung des Alterns und Vergessens. Seine Charaktere sind fein gezeichnet – künstlerisch wie psychologisch. Und trotzdem Roca ein so schweres und endgültiges Thema in seinen Zeichnungen umsetzt, verliert er nicht den Humor. Nicht nur einmal ergeben sich ganz typische Situationen des Alters mit den Heimbewohnern – wie das regelmäßige Bingospiel, das gleichermaßen von Schwerhörigkeit wie Vergesslichkeit der Teilnehmer boykottiert wird. Es hat seine komischen Phasen, das Altern. Und doch auch zutiefst existentielle Momente. Diese Mischung zeichnerisch und erzählerisch umzusetzen, ist sicher keine leichte Aufgabe, aber Paco Roca brilliert. Eine sehr lesens – und empfehlenswerte Graphic Novel, die sogar verfilmt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. (offenbar ist sie auf Englisch bisher nur als UK-Import erhältlich)

Paco Roca: Kopf in den Wolken, aus dem Spanischen von André Höchemer, Reprodukt Verlag, 104 Seiten, 9783943143713, 18 €

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