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Graham Greene – Reise ohne Landkarten

Graham Greene, britischer Autor und heute bekannt für Romane wie ,Das Ende einer Affäre‘ sowie die Vorlage zu Carol Reeds’ Filmklassiker ,Der dritte Mann‘ entschloss sich 1935 mit seiner Cousine nach Westafrika zu reisen. Zu Fuß wollte er in südöstlicher Richtung Liberia durchqueren, bei ihm einige Träger, die er im Land selbst anheuerte. Das Problem dabei: Liberia ist zu diesem Zeitpunkt kaum kartographiert.

Joseph Conrads ,Herz der Finsternis’ beeinflusste noch lange nach seinem Erscheinen 1899 die Gemüter der westlichen Welt. Afrika als geheimnisvoller und archaischer Kontinent, in dem der Mensch noch in seinem Urzustand zu finden sei, im Guten wie im Schlechten. So unschuldig und naturverbunden wie man in hochentwickelten Ländern längst nicht mehr sein könne, aber auch so abgründig wie man es sich in der Zivilisation allenfalls noch im Verborgenen erlauben kann. Aus diesen und ähnlichen Gründen verschlug es im Jahr 1935 auch Graham Greene, der neben seiner schriftstellerischen Arbeit auch journalistisch tätig war, mit seiner Cousine Barbara Greene nach Westafrika. In Freetown, Sierra Leone, beginnt ein vierwöchiger Marsch durch den Urwald und einsame, abgeschnittene Dörfer. Die Greenes und ihre rund dreißig Träger legen in einem Monat etwa 350 Meilen zurück, das entspricht einer Strecke von rund 563 Kilometern.

Unsere heutige Welt ist offenbar ganz empfänglich für Brutalität. Es liegt ein Hauch Nostalgie in dem Vergnügen, das uns Gangsterromane und Gestalten bereiten, die all ihre Gefühle aufs Angenehmste vereinfacht haben und sich nun wieder auf einem Niveau unterhalb der Benutzung des Großhirns befinden.

So dachte man bereits 1935. Jedenfalls Graham Greene dachte so und auch diese Gedanken mögen ihn bewogen haben, zur Wiege der Menschheit zurückzukehren. Aus Faszination und Resignation gleichermaßen. Was er auf seiner Reise durch Liberia erblickt, ist bittere Armut. Das dürfte sich bis zum heutigen Tag nur marginal verändert haben. Greene kämpft sich von Dorf zu Dorf, von Häuptling zu Häuptling. Auf den Karten des Landes, die er ausfindig machen kann, sind nur vage Angaben zu finden, u.a. das Wort ,Kannibalen’ auf einer amerikanischen Karte. Er versucht, die Bräuche, Traditionen und Lebenswirklichkeiten der Liberianer und ihrer weißen Kolonialherren – einmal führt es ihn auch durch Französisch-Guinea – in ihrer Wirkung so genau wie möglich abzubilden. Vieles erscheint ihm fremd, ist es doch das erste Mal, dass Greene Europa verlässt. In manchem Ritus allerdings entdeckt er Ähnlichkeiten zu europäischen Gepflogenheiten, die ihm den Kontinent plötzlich wie eine erstrebenswerte Vorstufe dessen erscheinen lassen, was er bereits kennt. Und freilich ergibt sich daraus die Frage: Muss es irgendwann so enden, wie wir es kennen?

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Hier bedeutete Zivilisation noch immer Ausbeutung, wir hatten, so wollte es mir vorkommen, das Los der Einheimischen kaum verbessert, sie waren ebenso vom Fieber ausgezehrt wie zu den Zeiten, bevor der weiße Mann auftauchte.

Krankheiten gab und gibt es in Liberia zuhauf. Gelbfieber, Malaria und Lepra. Geschwüre und Geschlechtskrankheiten, übertragen von den zahlreichen Moskitos oder Ratten, mit denen sich auch Graham Greene immer wieder konfrontiert sieht. Die ärztliche Versorgung ist desolat und als auch Greene selbst an Fieber erkrankt, hat er es vermutlich zu großen Teilen seiner Cousine zu verdanken, dass er überlebte. Auch wenn das in seinem Reisebericht so tatsächlich nicht überliefert wird. Allerdings hat auch Barbara Greene über die Reise nach Liberia geschrieben – ,Too Late To Turn Back‘ (deutsch: “Im Hinterland”) heißen ihre Reisebeschreibungen, die sich wohl in manchem Punkt eklatant von denen ihres Cousins unterscheiden.

Wem von beiden man auch mehr Glauben schenken mag: Graham Greene hat mit ,Reise ohne Landkarten’ ein facettenreiches Porträt Westafrikas geschaffen. Als Herr der Reise nimmt er sich freilich in seinen Beschreibungen nie zurück, er ist immer als Handelnder und Reflektierender anwesend. Ja, er entdeckt sogar, während er im Fieber liegt, eine Liebe zum Leben, die ihm vorher gänzlich unbekannt war. Und im Laufe der Reise eine Dankbarkeit, die man nur kennenlernt, wenn man sich in Verzicht des vermeintlich Selbstverständlichen übt. Dass Graham Greene immer in seinen Beschreibungen anwesend ist, gehört sicherlich zu den Qualitäten dieses Buches, ganz gleich, ob er über rituelle Tänze eines Stammes berichtet oder die große Politik.

Denn das Kuriose an einer liberianischen Wahlkampagne, die über zwei Monate dauern kann, sofern genügend Geld zur Verfügung steht, ist, dass, obwohl der Ausgang immer schon von vornherein feststeht alle so tun, als ob die Stimmen und die Reden und die Pamphlete irgendeine entscheidende Bedeutung hätten. (…) Selbst die ausländischen Repräsentanten erhalten die Fiktion aufrecht. (…) Einem Amerikaner, der an die Wahlen in seinem Bundesstaat gewöhnt ist, mögen diese Praktiken weniger exotisch erscheinen.

Traurig an diesem Bericht ist allenfalls, dass sich in Liberia seit 1935 vermutlich wenig Grundlegendes für die Menschen verändert hat. Achtzig Jahre ist es her, dass Graham Greene eine Reise unternommen hat, die ihn wesentlich in seinem weiteren Schaffen prägen sollte. Tim Butcher, Journalist beim Daily Telegraph, hat fünfundsiebzig Jahre nach Graham Greene auf derselben Route die Reise durch Liberia angetreten – mithilfe seiner Schilderungen in ,Auf der Fährte des Teufels‘ kann man womöglich einen direkten Vergleich anstellen. Zwischen Graham Greenes Eindrücken – die er im Übrigen später noch einmal in Teilen revidierte, als er in den Vierziegern in einer Sondermission für das Außenministerium Westafrikas arbeitete – und denen, die man heute in diesem Land gewinnen kann. ,Reise ohne Landkarten’ ist ein lesenswertes, ein ehrliches und fesselndes Buch, dessen Wiederauflage zweifellos ein Gewinn ist!

Graham Greene: Reise ohne Landkarten, aus dem Englischen von Michael Kleeberg, liebeskind Verlag, 378 Seiten, 97833954380411, 22,00 €

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