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Frédéric Beigbeder – Oona & Salinger

Viele Biographen haben bereits versucht, J.D. Salinger auf die Spur zu kommen. Viele sind gescheitert. Nach dem Erfolg von ,Der Fänger im Roggen’ lebte Salinger sehr zurückgezogen und so ist wenig über den Mann bekannt, dessen Romanheld Holden Caulfield für viele Jugendliche ein trotziges Ebenbild ihrer selbst war. Frédéric Beigbeder begibt sich in seinem neuen Roman auf Salingers Spuren, indem er dessen kurze Beziehung zu Oona O’Neill als Ausgangspunkt wählt.

Frédéric Beigbeders Buch polarisiert. Während die einen es für eine missglückte und anbiedernde Heldenverehrung halten und seinen Umgang mit den realen Personen – von Salinger und O’Neill über Hemingway, Capote und Charlie Chaplin – als zweifelhaft empfinden, entdecken die anderen darin einen unterhaltsam geschriebenen und liebevoll gestalteten Roman, der die Lücken des öffentlichen Wissens auf ganz eigene Art ausfüllt. Frédéric Beigbeder macht keinen Hehl aus seiner Salinger-Verehrung, für ihn war die Lektüre von ,Der Fänger im Roggen’ ein literarisches Erweckungserlebnis. So will er eigentlich zunächst eine Dokumentation über den scheuen Autor drehen und ihn zuhause besuchen, bevor er sich kurzerhand und in letzter Minute umentscheidet. Weil er höflich ist und guterzogen. Weil das selbstgewählte Exil dieses Mannes respektiert werden muss.

Eremit sein ist eine achtenswerte Tradition, die sich seit der ,weißen Dame’ in dieser Region der Vereinigten Staaten erhalten hat: seit Emily Dickinson, der Dichterin, die ihr ganzes Leben, von 1830 bis 1886, zurückgezogen in Amherst lebte, eine Autostunde südlich von Salingers Haus in Massachusetts. Von der Dichterin, deren Werke erst nach ihrem Tod veröffentlicht wurden, stammt der Satz: “Abwesenheit ist verdichtete Anwesenheit.”

Und so beginnt Beigbeder seine Erzählung in den 1940ern, im angesagten New Yorker ,Stork Club’, indem sich so namhafte Größen wie Truman Capote, Gloria Vanderbilt, Carol Matthau und Orson Welles trafen. Und eben auch: der etwas schlaksige J.D. Salinger und Oona O’Neill, Tochter des bekannten und verehrten Eugene O’Neill. (der neben dem Literaturnobelpreis gleich viermal mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde) Die beiden sind sich auf Anhieb sympathisch, verlieben sich, werden ein schüchternes und zurückhaltendes Paar. Oonas Familiengeschichte ist tragisch; trotzdem sie der Name ihres Vaters noch immer mit ihm verbindet, haben sich die beiden seit Jahren nicht gesehen. Bis zu seinem Tod wird sich das nicht ändern. Als Salinger in die Armee eintritt, driften die beiden endgültig auseinander. Seine traumatischen Kriegserfahrungen werden Salinger von grundauf verändern. 1943 heiratet Oona O’Neill Charlie Chaplin, mit dem sie bis zu dessen Tod zusammenleben wird. Darunter soll Salinger, gerüchteweise, sehr gelitten haben. In Beigbeders Roman äußert sich das in Briefen, die er Oona schreibt, mal boshaft, mal demütig und tief verletzt durch die Ablehnung.

Offizielles Lebewohl an die Elends-Irin von Beverly Hills. Mein Laudanum warst Du. Dieser Entzug ist wie eine Amputation.

Man kann Beigbeder freilich vorwerfen, dass er seinen realen Protagonisten eine Menge Worte in den Mund legt, die die vermutlich nie gesprochen, womöglich auch nie gedacht haben. Man kann ihm vorhalten, dass er aus einer kurzen Liebesaffäre eine verkitschte Romanze macht, eine Geschichte, wie sie hätte sein sollen, um romantauglich zu sein. Man kann ihm seine Einmischungen vorhalten, seine ständige Präsenz im Text. Er schreibt aber auf eine so charmante und mitreißende Weise, dass man sich davon nicht stören lassen muss, wenn man sich von Anfang an darüber im Klaren ist, dass Beigbeder hier lediglich mit Versatzstücken der Realität einen Rahmen baut, den er mit seinen eigenen Bildern und Mutmaßungen füllt. Es gibt keinen Anspruch auf historische Korrektheit oder nachprüfbare Fakten, von Anfang an ist ,Oona & Salinger’ ein Roman, ein fiktives Werk, das sich mal mehr und mal weniger an die Realität anlehnt. So, wie das in ähnlicher und vielleicht literarischerer Art schon Volker Weidermann in ,Ostende‘ und Michael Köhlmeier in ,Zwei Herren am Strand‘ getan haben.

In der Rezeption der zahlreichen Salinger-Biographien fällt auf, dass sie nahezu alle schlecht bis allenfalls mittelmäßig bewertet wurden. Vermutlich stecken viele von ihnen voller Mutmaßungen und Kämpfe um eine Person, die sich der Öffentlichkeit weitgehend entzog. Was also ist an Beigbeders herrlich geschriebener Herangehensweise zu beanstanden? Wenig, wenn man einen guten Roman lesen will, sicherlich eine Menge, wenn man den Maßstab einer biographischen korrekten Betrachtung anlegt. Und deshalb sei der Roman denen empfohlen, die sich von der Idee Beigbeders mitnehmen lassen können und wollen, eben ganz unter der Prämisse: “Es könnte so gewesen sein oder ganz anders”. Wir wissen es nicht genau. Das macht den Reiz aus.

Es gibt immer einen Moment, in dem ein verliebter Mann sich wie ein Arbeitsloser fühlt, der gerade ein Einstellungsgespräch absolviert. Jerry versuchte, mit jedem Satz zu punkten. Wenn Oona lächelte, war das für ihn wie ein Gewinn im Lotto.

Frédéric Beigbeder: Oona & Salinger, aus dem Französischen von Tobias Scheffel, Piper Verlag, 304 Seiten, 9783492054157, 19,99 €

Bücher über Salinger:

David Shields und Shane Salerno – Salinger: Ein Leben, Droemer Knaur, 2015

Kenneth Slawenski – Das verborgene Leben des J.D. Salinger, Rogner & Bernhard, 2012

Ian Hamilton – Auf der Suche nach J.D. Salinger, 1989, nur noch antiquarisch

Margaret Salinger – Dream Catcher, 2001

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