Erzählungen, Rezensionen
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Amy Hempel – Was uns treibt

Hochgelobt von Chuck Palahniuk und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, ist Amy Hempel in den USA tatsächlich eine Hausnummer in Sachen Short Story. Sie ist nicht nur Autorin, sondern auch Journalistin und unterrichtet in Florida Kreatives Schreiben. Mit ,Was uns treibt’ ist nun ihr erster Erzählband, ursprünglich 1985 unter dem Titel ,Reasons To Live’ veröffentlicht, auf Deutsch erschienen. Es sind minimalistische und schmucklose Geschichten von ganz eigener Kraft.

Das Leben spüren wir am stärksten in emotionalen und physischen Grenzsituationen. Dann zeigt sich oft am deutlichsten, dass wir, womöglich trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, daran hängen. In ,Was uns treibt’ sind viele solcher Grenzsituationen vertreten. Eine schwere Krankheit und das Abschiednehmen, der Verlust eines Kindes. Aber auch alltägliche Gefühle von Angst, Einsamkeit und Ziellosigkeit spiegeln sich in den Erzählungen, die kaum verknappter erzählt sein könnten. Zwei Frauen müssen regelmäßig ihre Wohnung verlassen und an einem nahegelegenen Strand leben, weil immer wiederkehrende Erdrutsche immense Schäden an ihrem Haus verursachen. Zwei Freundinnen sitzen sich im Krankenhaus gegenüber, eine von ihnen todkrank und trotzdem in der Lage, in ihrem unabwendbaren Schicksal etwas Humoristisches zu entdecken, die andere bleibt zurück.

“Erzähl mir Dinge, die ich danach ohne Reue wieder vergessen kann”, sagte sie. “Nimm nutzlosen Kram. Überspring den Rest.” Ich fing an – sagte ihr, Insekten flögen Zickzack durch den Regen. Sie wichen jedem Tropfen aus und würden nicht nass. Ich sagte ihr, niemand in ganz Amerika besaß ein eigenes Tonbandgerät – vor Bing Crosby.

Eine Frau verliert ihr Kind und kann mit der Entscheidung kaum leben, die sie getroffen hat. Stattdessen verliert sie sich in Handarbeiten, zieht sich vollkommen zurück. Es geht um verzweifelte bis abstruse Begegnungen bei einer Berufsberatung, einen Grund, am Leben zu bleiben, einen Todesfall und seine Hinterlassenschaften. Amy Hempel gelingt in ihrer enorm entschlackten Weise des Schreibens vielfach das Kunststück, etwas zu erzählen ohne es zu erzählen. Niemals wird ein Ereignis in all seinen Einzelheiten geschildert, oft genug nur vage angedeutet. Häufig haben die Protagonisten selbst keine Namen, sind nur Väter, Mütter, Freunde. Manch eine Erzählung erstreckt sich gerade einmal über etwas mehr als eine Seite. Amy Hempel drückt den literarischen Auslöser und hält einen Gedanken, eine Idee im Gewand einer kurzen Geschichte fest.

Für mich war die Gegenwart die sichere Bank. Wir können nur in der Zukunft sterben, dachte ich – im Jetzt sind wir immer lebendig.

Mit einer soliden Mischung aus Trostlosigkeit, Humor und Präzision sind Amy Hempels Geschichten gerade aufgrund dessen, was sie nicht sagen, auf ganz eigene Art faszinierend. Sie laden durch ihre Offenheit ganz explizit dazu ein, sich in ihnen zu entdecken. Manches jedoch bleibt aber auch durch gerade diese Weitläufigkeit zu vage, hier und da wünscht man sich den einen oder anderen Satz mehr, um zu verstehen und besser in der Geschichte Fuß zu fassen. Wer sich zu den Freunden nahezu ornamentartiger Sprachspiele zählt, der wird bei Amy Hempel nicht gesättigt und enttäuscht zurückgelassen. Nicht umsonst wird sie häufig in einem Atemzug mit Raymond Carver genannt, dessen Texte ebenso auf das Notwendigste reduziert ganz für sich standen. Es sind nüchterne, ernüchterte Texte, die die großen Dinge in der Banalität abbilden, die ihnen oft eigen ist. Das hat seinen eigenen rauen Reiz, ist aber gelegentlich etwas blutleer.

Amy Hempel: Was uns treibt, aus dem Amerikanischen von Stefan Mesch, luxbooks, 120 Seiten, 9783945550069, 14,90 € 

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