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Sandra Gugic – Astronauten

Es ist ein drückend heißer Sommer, in dem sich ihre Wege kreuzen. Sie alle, ob jung oder alt, haben die ausgetretenen Lebenspfade der Allgemeinheit verlassen. Sie alle schweben etwas ziellos im Orbit, außerhalb der Umlaufbahn. Sandra Gugics Debütroman erzählt von einsamen Existenzen. Von der Suche nach sich selbst in einem Raum ohne Halt.

Sie heißen Zeno, Mara und Darko. Niko, Alen und Alex. Zeno, einmal Wortführer und guter Freund von Darko, ist nun allein unterwegs, ohne familiären Rückhalt. Seit er sich zurückerinnern kann, steht zuhause im Zimmer des Vaters ein fast vollständig gepackter Koffer als kompromisslose Drohgebärde. Wenn du Mist baust, fliegst du raus, ohne Wenn, Aber und Ausnahme. Zeno hält große Stücke auf Darko, der mit ihm nach seiner Ankunft im Land die Sprache gelernt hat. Der Geduld mit ihm hatte. Der ihm zugehört hat, wo andere das längst schon nicht mehr taten. Denn Zeno ist kompliziert, eigensinnig, schwer zu kontrollieren. Das ist auch in diesem Sommer nicht anders.

Wann war ich das letzte Mal spazieren? Früher habe ich das gern gemacht, kreuz und quer durch die Stadt. Früher gab es Orte, an die ich gehen wollte. Mein Vater sagt, mir sei alles zu leicht gefallen. Letztlich habe ich alle Dinge aufgegeben, die mir leichtgefallen sind. Nur das Schreiben nicht.

Darkos Vater Alen ist Taxifahrer und schreibt an einem Roman. Über hundertdreißig Seiten hat er schon. Aber statt ihn zu beenden, übersetzt er ihn immer wieder in seine Muttersprache und wieder zurück ins Deutsche. Eine zirkuläre Tätigkeit, die kein Ende nimmt, so wie er selbst in seinem Leben nicht voranzukommen scheint. Und plötzlich ist auch noch sein Sohn wieder bei ihm, der zuvor bei seinen Großeltern lebte. Die beiden verbindet wenig mehr als die reine Blutsverwandtschaft, Alen weiß gar nicht, was er mit seinem Sohn anfangen soll, in der engen Wohnung. Statt sich damit zu befassen, fährt er eben Taxi. Oft mit Mara, deren Mutter sich regelmäßig in die träge Besinnungslosigkeit des Rausches trinkt und dabei Fernsehpredigten ansieht. Der Vater ist weg.

Zeno, kennst du das Gefühl, wenn du weißt, dass du kurz davor bist, etwas zu tun, das nicht umkehrbar, das unverzeihlich ist. Kennst du die Schönheit der Stille vor dem Moment, in dem die Ordnung auseinanderbricht, und die Stille danach?

Sandra Gugic, die 2012 den Open Mike gewann, nähert sich den Abgründen ihrer Protagonisten auf sehr einfühlsame Weise. Jeder von ihnen hat seine eigene Stimme, seinen eigenen Schwebezustand, aus dem herauszukommen ihm aus vielerlei Gründen nicht gelingt. Kapitelweise wechseln die Perspektiven, überkreuzen und überlappen sich manchmal. Denn manche der sechs kennen sich, flüchtig, manchmal auch näher. Alen und Niko, Taxifahrer und Polizist, gehen hin und wieder einen trinken. Geschickt verwebt Sandra Gugic die verschiedenen Erlebniswelten miteinander, erzählt auf sehr mitfühlende Weise von Verlusten und Verletzung. Und dabei ist es schön, dass es sich bei den Figuren nicht ausschließlich um verirrte Jugendliche handelt – denn verirren können wir uns schließlich alle, in jedem Alter. Durch die sehr poetisierte Sprache erschließt sich nicht alles im ersten Anlauf, manches bleibt schwammig, wie durch Milchglas betrachtet. Als läse man gerade das Tagebuch eines Menschen, den man nicht gut genug kennt, um jede metaphorische Andeutung restlos zu entschlüsseln. Um sich an diesem Debüt zu erfreuen, ist das aber vielleicht gar nicht so vordergründig vonnöten. Durch die Atmosphäre dieses Romans ziehen schließlich Fragen nach Herkunft, Freundschaft und Identität, die so universell sind, dass jeder etwas für sich darin entdecken kann. Sandra Gugic jedenfalls ist ein sprachmächtiger Erstling gelungen, dessen Potpourri menschlicher Empfindungen und Erfahrungen berührt.

Dass die Dinge anders liegen und die Guten, die Normalen, nur eine Wunschvorstellung sind, dass in jeder Biographie ein Knick ist, ein Bruch, eine Leerstelle, weil das Herausfallen aus der Ordnung das einzig Normale ist, hat Alen zu mir gesagt.

Sandra Gugic – Astronauten, C.H. Beck Verlag, 199 Seiten, 9783406673702, 18,95 €

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