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John Williams – Butcher’s Crossing

Nach einer eher gemächlichen Lebens – und Leidensgeschichte rund um einen Uniprofessor kann der neue Roman von John Williams – erstmals erschienen übrigens 1960 – mit Fug und Recht als das ganze Gegenteil bezeichnet werden. Es geht um harte Männer, erbarmungslose Naturgewalten und das nahezu manische Abschlachten von Vieh zur eigenen Bereicherung. Ist es trotzdem spannend? Und wie!

William Andrews ist jung und auf der Suche. Als Harvardstudent ist er leidlich vertraut mit den Lebensentwürfen und Ideen der Stadtbevölkerung, ihn zieht es, frei nach Ralph Waldo Emerson, mehr in die Natur, ins weite Land. Dorthin, wo der einzelne Mensch nicht mehr beständig um sich selbst kreist; dorthin, wo er sich entweder völlig verliert, weil er bedeutungslos wird oder endlich findet, weil er nicht mehr ständig abgelenkt ist. Es ist um 1870, als Andrews in Butcher’s Crossing eintrifft. Es ist eine kleine Gemeinde, die vom Fellhandel lebt und davon abgesehen nicht viel mehr als einen spärlich beleuchteten Pub und einige Absteigen zu bieten hat. Seit einigen Jahren schon werden die Büffelherden immer kleiner, die Jagderfolge immer geringer, wenn man nicht meilenweit ins Umland ausschwärmen will. Andrews trifft nun auf einen Mann namens Miller, der es sich seit Jahren in den Kopf gesetzt hat, erneut in ein entferntes Tal zu reiten, wo noch tausende Büffel unberührt von Menschenhand grasen. Miller ist ein wettergegerbter Naturbursche, sein Freund Charlie Hoge ein etwas tattriger Eigenbrötler, der mehr mit dem Whiskey und von Gottes Wort spricht als zu anderen Menschen. Weil Andrews die Natur und das weite Land kennenlernen will, lässt er sich von Miller überreden, die Reise ins Tal zu finanzieren – ohne noch sicher zu sein, dass die Büffelherden nach so vielen Jahren noch immer dort sind, wo Miller sie verlassen hat.

Tag um Tag nahm diese Taubheit zu, bis er schließlich aus nichts anderem zu bestehen schien. Ihm war, als sei er wie das Land ohne jede Gestalt und Identität; gelegentlich schaute ihn einer der Männer an und blickte durch ihn hindurch, als gäbe es ihn gar nicht; und er musste kräftig den Kopf schütteln oder einen Arm, ein Bein bewegen und es dabei anschauen, um sich zu vergewissern, dass er noch sichtbar war.

Gemeinsam mit einem Häuter namens Schneider und einem Ochsenkarren begeben sich Andrews, Miller und Hoge in Richtung Tal. Mal durch ebenes Gelände, mal durch steinige Einöden, sie überstehen lange Durststrecken, weil ihnen das Wasser ausgeht, sie sind in ganz existentiellem Sinne vollkommen auf sich zurückgeworfen. Manches Mal zwischen Wahn und Delirium versuchen sie den richtigen Weg zu finden und als sie das Tal endlich erreichen, bricht das gänzlich Archaische aus den Jägern heraus. Freilich kann man Butcher’s Crossing als klassischen Western lesen, das Setting stimmt. Es gibt brennende Sonne, schwitzendes Vieh, Kautabak und Bohnen am Lagerfeuer. Ebenso ist Williams Roman aber auch eine Auseinandersetzung mit der menschlichen Natur. Oder: dem Menschen in der Natur. William Andrews entscheidet sich bewusst für die Reise, um sich selbst und dem, was der Mensch ist, näherzukommen. Es ist eine philosophische Forschungsreise, die wie im Rausch endet, als die Männer im Tal tatsächlich die tausenden Büffel entdecken.

Und während sie tagsüber in ihrer verzweifelten Anstrengung, mit Miller Schritt halten zu wollen, schwitzten, hackten und zerrten, konnten sie das gleichmäße und monotone Knallen seiner Büchse hören, das nicht nur die Stille, sondern auch ihre Nerven zerfetzte, bis sie ganz wund und aufgerieben waren.

Der Mensch ist maßlos, wenn man ihm die Gelegenheit dazu gibt. In Butcher’s Crossing aber muss er auch für diese Maßlosigkeit büßen. John Williams gelingt 1960 das Kunststück, einen eigentlich rauen und nicht eben leicht verdaulichen “Männerroman” mit einer zutiefst menschlichen Frage zu verbinden. Seine Figuren sind, trotz ihrer Härte, plastisch und authentisch. Sie stoßen nicht ab, sie laden vielmehr ein, sich in sie hineinzuversetzen. Und das wiederum sorgt dafür, dass man auch als Frau an diesem Roman seine Freude haben kann, sofern man nicht einen allzu empfindlichen Magen besitzt. Mit Stoner, dem ersten wiederentdeckten Roman, ist Williams ein galanter Einstieg in die Gegenwartsliteratur gelungen, Butcher’s Crossing aber beweist die Vielseitigkeit des 1994 verstorbenen Autors. Ein unerwartet spannendes und lesenswertes Buch rundum vier Männer, staubige Prärieluft und eine Menge Büffel.

John Williams: Butcher’s Crossing, aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben, dtv Verlag, 368 Seiten, 9783423280495, 21,90 €

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