Lyrik, Rezensionen
Kommentare 3

Jan Wagner – Regentonnenvariationen

Es war so etwas wie eine kleine Sensation, als bekanntgegeben wurde, dass der Lyriker Jan Wagner mit seinem Gedichtband für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist. Niemals zuvor war ein Gedichtband gemeinsam mit anderen Belletristiktiteln – oder überhaupt – nominiert und vielleicht ist es auch schwierig, beides gegenüberzustellen. Gewiss ist aber: Die Regentonnenvariationen sind jeden Blick wert!

Vielleicht ist es ein Überbleibsel aus der Schulzeit, der Gedichtform grundsätzlich erstmal kritisch gegenüberzustehen. Gequält wurde man mit dem auswendigen Repetieren verstaubter Balladen – jedenfalls empfand man es so. Gedichte eignen sich interessanterweise bedeutend häufiger dazu, pubertären Schmerz auszudrücken als sie nach der Überwindung desselben tatsächlich zu lesen. Unzählige Teenager versifizieren ihre Gefühle, mal mehr und mal weniger stilsicher, danach aber wollen die wenigsten noch etwas mit Lyrik zu tun haben. Sie hat ihre Schuldigkeit getan, sie kann gehen. Dabei eröffnet die gebundene Sprache Möglichkeiten des Ausdrucks, die ein Prosatext niemals haben wird. Nicht jedenfalls, ohne gestelzt und schwerfällig zu klingen. Lyrik ist ein Spiel mit Sprache, mit ganz verschiedenen Bedeutungsnuancen und Klangformen, Lyrik ist die freigelassene Sprache. Das wird auch in Wagners ,Regentonnenvariationen’ deutlich erkennbar. Es geht um Veränderungen, Metamorphosen, um eine Art mikroskopischen Blick auf die Welt. Jan Wagner entwirft einen lyrischen Mikrokosmos, in dem selbst das Falten eines Lakens oder das Waschen der Hände ganz andere Dimensionen annimmt als wir ihnen gewöhnlich zugestehen.

so faltete man laken: die arme
weit ausgebreitet, daß man sich zu spiegeln
begann über die straffgespannte fläche
hinweg; der wäschefoxtrott dann, bis schritt
um schritt ein rechteck im nächstkleineren
verschwand, bis sich die nasen fast berührten.

Es gehört zu Qualität und Aufgabe der Lyrik, neuartige Bilder in den bekannten zu erblicken, die Perspektive auf Altbekanntes zu verändern. Das ist ihr Trumpf, uns die Welt anders erscheinen zu lassen als wir sie kennen. Und spielerische Kombinationen in unserer Sprache auszumachen, die uns selbst gar nicht bewusst geworden wären. Jan Wagner wirft nicht nur diesen mikroskopischen, sondern gleichermaßen auch einen wehmütigen Blick in die Weite, entdeckt in den Augen zweier sizilianischer Esel die Stärke von Espresso, in den Dingen selbst etwas Namenloses, das sie zusammenhält.

wir haben helden vergiftet, prinzen gelehrt
haben helden vergiftet, faß um faß geleert
und doch war alles irgendwie verkehrt.

Nicht immer nutzt Jan Wagner diese offensichtlichen und gefälligen Reime, viel häufiger zieht es ihn zum unreinen Reim, wie er auch im Interview mit Tobias Nazemi von Buchrevier zu Protokoll gibt. Viel mehr ergeben sie sich oft über Versgrenzen hinweg, in ähnlichen, aber nicht identischen Lauten. Manchmal ist es auch nur das Spiel mit gleichlautenden Worten unterschiedlicher Bedeutung, so besonders in dem Gedicht “anna”, das mit den verschiedenen Bedeutungen von ,scharte‘ eindrücklich zu spielen versteht. Wer darüber hinaus immer glaubte, Gedichte könnten höchstens Momente, keine Geschichten erzählen, der wird auch hier von den Regentonnenvariationen eines Besseren belehrt. In manch einem Gedicht, wie bereits im oben erwähnten “anna” steckt eine winzige Geschichte, die durch die gebundene Sprache nichts an Kraft verliert, sondern ihren ganz eigenen Rhythmus entwickelt. Im Grunde ist es also schwierig, Prosa und Lyrik gegenüberzustellen und nach den gleichen Kriterien bewerten zu wollen. Nichtsdestotrotz kann man dankbar dafür sein, dass ein Werk wie dieses durch die Nominierung einen berechtigten Aufmerksamkeitszuschuss erhält. Freilich naiv zu glauben, daraus würde grundsätzlich mehr Interesse und Aufgeschlossenheit der Lyrik gegenüber erwachsen, – aber wenn es nur ein paar wenige Leser zur Auseinandersetzung mit Gedichten anstiftet, ist etwas gewonnen. Lest mehr Lyrik, sage ich. Lest Jan Wagner. Ein vielversprechender Kandidat!

einmal verlegte ich mein pausenbrot
in einer südhalbkugel, die noch einzeln
und offen war. nun träumt ein junge, bohrt
sich in der nase, sucht die sandwich-inseln.

Jan Wagner: Regentonnenvariationen, Hanser Berlin, 112 Seiten, 9783446246461, 15,90 €

Hier auch die Rezensionen des Bloggerpaten von Jan Wagner, Tobias von Buchrevier. Für ihn ist die Lektüre von Wagners Gedichten viel mehr der Beginn einer Reise.

Weitersagen

3 Kommentare

  1. Pingback: [Literaturen] Jan Wagner – Regentonnenvariationen - #Bücher | netzlesen.de

  2. Pingback: Der Preis der Leipziger Buchmesse 2015

Schreibe einen Kommentar zu jancak Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert