Lyrik, Rezensionen
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Renate Aichinger – wundstill

Lyrik ist ein literarisches Nischenprodukt. Man sollte sie nicht unterschätzen, doch ein großes Publikum findet sie in der Regel nicht. Was – nicht nur -, aber auch im Falle von Renate Aichinger sehr schade ist. Denn ihre gekonnte Wortjonglage mit kritischem Unterton ist lesenswert. Sie sensibilisiert für Sprache und Zwischenräume, in Worten wie in Gedanken.

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heißt das zauberwort
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Renate Aichingers Gedichte sind selten ausufernd. Oft erstrecken sich die reimlosen Verse nur über einige wenige Zeilen. Und doch wohnt ihnen manches Mal eine Kraft inne, die man dieser kleinen Gruppe Wörter unmöglich zugetraut hätte. Aichinger spielt mit Worten, ihren einzelnen Teilen, ihren Komposita. Kunstfertig wechselt sie die Kontexte, in denen plötzlich der Bedeutungsgehalt eines Wortes ein ganz anderer ist; zerlegt sie, setzt sie neu zusammen. Durch Auslassungen schafft sie neue Zusammenhänge, Raum für die Projektion des Lesers. Ihre Gedichte befassen sich überwiegend mit einer Gesellschaft am Abgrund, mit den unweigerlich aktuellen Themen und Problemen unserer Zeit. Korruption, Gier, der Angst vor dem Abstieg, Einsamkeit. Man kann von Glück sagen, dass Lyrik so eine verdichtete Form der Sprache ist; manch anderer hätte über diesen vermeintlichen Zeitgeist eine lange und trockene Analyse abgefasst. Aber auch Erfahrungen des persönlichen Verlusts werden verarbeitet –

hier bist du groß
geworden dann ausgezogen
weil du nicht mehr reingepasst hast
in omas wohnung

(…)

ob das leben auch nicht
mehr
reingepasst hat
in deine oma

Überwiegend jedoch kreisen die Gedichte um eine Gesellschaft, die sich mit vielem nicht mehr hinreichend auseinandersetzt. Für die Kriege nur im Fernsehen und hunderte Kilometer weit entfernt sind, immer woanders eben. Um eine erschöpfte, eine leere, eine ausgelaugte Gesellschaft, die genug damit beschäftigt ist, den eigenen Wohlstand aufrechtzuerhalten. Das eigene persönliche Glück, wie auch immer das nun aussehen mag. Ganz genau weiß das niemand. So richtig und wichtig manche Beobachtungen sein mögen, so sehr verlieren sie aber bisweilen in der Geballtheit ihres Auftretens die Wucht. Manchmal ist es zu viel Kulturpessimismus auf engem Raum, den man verdauen, über den man nachdenken muss. Wo stehe ich selbst? Und wie könnte ein Gegenentwurf aussehen? Trotz allem meidet Renate Aichinger aber unangenehme Plattitüden und Gemeinplätze, zu sehr erhobene Zeigefinger. 2014 erhielt sie den Rauriser Förderungspreis (für die Erzählung ,amaurose’), ist außerhalb der Lyrik und Prosa auch als Dramaturgin und Schauspielerin an verschiedenen Theatern unterwegs. ,wundstill’ ist ganz entgegen seines Titels ein lautes und eindringliches Plädoyer für mehr Auseinandersetzung. Mit sich selbst, der Welt, den anderen. Wer einen Einstieg in die Lyrik wagen will, der findet mit Renate Aichingers Gedichtband, eindringlich und wortgewandt wie er ist, sicherlich einen guten Anknüpfungspunkt!

geben alles preis
weil es nichts kostet

kb statt kg
stakeholder statt steakhouse

kreieren crowdclouds
scheinwerfen statt wahren

Homepage von Renate Aichinger.

 Renate Aichinger: wundstill, edition laurin, 148 Seiten, 9783902866202, 17,90 €

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