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Die Zähigkeit von Gummienten

Christopher Brookmyre gilt als origineller und einfallsreicher Autor. Seine Romane strotzen vor kleinen Besonderheiten und Absurditäten abseits des Gewöhnlichen, er probiert Dinge aus. In seinem aktuellen “Kriminalroman” Angriff der unsinkbaren Gummienten‘ aber verzettelt sich Brookmyre in detailversessenen Abhandlungen über paranormale Phänomene und das vermeintlich Übersinnliche.

Als unsinkbare Gummienten werden gemeinhin all jene betitelt, die wider besseren Wissens und gegen alle sichtbaren Beweise selbst dann noch an Wunder glauben, wenn sie längst widerlegt sind. Demnach muss auch ich mich nach dieser Lektüre als unsinkbare Gummiente betrachten – habe ich doch bis zum Schluss gegen alle Beweise geglaubt, Christopher Brookmyres Roman nähme noch die Fahrt auf, die man dem Leser beim Einstieg versprochen hat. Im Mittelpunkt der literarischen Psi-Forschung steht Gabriel Lafayette. Ein charismatischer Mann mit einnehmendem Wesen, der von vielen Medien nach einschlägig bekannten Vorfällen als Medium gehandelt wird. Als ein durch und durch bescheidener Mann kehrt Lafayette seine Erfolge zwar immer wieder unter den Teppich, doch dass er letztlich mit den Toten kommunizieren und paranormale Signale empfangen kann, steht für ihn außer Frage. Er weiß nur selbst nicht, wie er das eigentlich macht. Gemeinsam mit Easy Mather, einem Wissenschaftler, der Lafayette bereits längere Zeit begleitet und einigen anderen Spezialisten soll an der Kelvin University eine Art Lehrstuhl für das Übersinnliche errichtet werden. Das ruft Wissenschaftlicher und politische Interessengruppen auf den Plan. Im Mittelpunkt der Forschung: Lafayette und seine unbestimmbaren Kräfte. Im Weg dabei: Jack Parlabane, der unkonventionelle und rauhbeinige Ermittler Brookmyres, der sich bei seinen Ermittlungen nur außerordentlich lose an gesetzlichen Vorschriften orientiert.

Ich weiß noch, wie ich in dem Moment dachte: Scheiße, ist unsere Popkultur wirklich so tief gesunken, dass es jetzt schon Hommagen an schmierige Fernsehwahrsager gibt? Ich wollte ja schon den Untergang des Abendlandes prophezeien, als ich Plakate für Oasis-Tribute-Bands sah, weil ich immer geglaubt hatte, Oasis wäre selbst eine verdammte Tribute Band.

Zwar geschehen hier und da unangenehme Morde, doch im Grunde geht es einzig und allein darum, Gabriel Lafayette des Betruges zu überführen. Woher weiß er all diese Dinge von anderen? Wie kann er das Bild eines Probanden während einer wissenschaftlichen Versuchsreihe nachzeichnen, obwohl der zwei Stockwerke über ihm sitzt? Und was hat es mit dem mysteriösen Vorfall auf Glassford Hall auf sich, der Gabriels Verbindung zum Jenseits scheinbar bestätigt? Wer tatsächlich einen Kriminalroman erwartet, wird einigermaßen überrascht sein, dass während der ersten hundert Seiten tatsächlich nichts strafrechtlich Relevantes geschieht. Oder sagen wir: Nichts, wovon wir wissen. Wir ahnen nur, dass Gabriel Lafayette wohl betrügen muss. Christopher Brookmyre scheint sich sehr intensiv in die Geschichte des Spiritismus und die Argumentationsmuster zu seiner Bekräftigung oder Widerlegung eingelesen zu haben. So erfahren wir u.a. von Ockhams Rasiermesser und den Schwestern Margaret und Kate Fox, die mit knackenden Zehen den modernen Spiritismus begründeten. Wer also viel von paranormalen Phänomenen wissen will, der könnte mit Brookmyre den Anfang machen.

Das Seltsamste und Beunruhigendste an den Neokonservativen ist, dass sie ihren eigenen Quatsch glauben: Sie lassen sich Lügen einfallen, um ihre politischen Ziele zu rechtfertigen, und vergessen dann, dass sie sie sich selbst ausgedacht haben.

Zwar kommt am Ende ein bisschen Schwung in den Roman, insgesamt bleibt er aber außergewöhnlich zäh und langatmig. Das retten auch die markigen Sprüche Jack Parlabanes nicht, die immer wieder in die Rekonstruktion des Geschehens eingeflochten werden. Die Moral von der Geschicht ist wohl: Was wir glauben wollen, das glauben wir auch. Wir sehen, was wir sehen wollen. Die spiritistischen Geisterseher von gestern sind die Politiker von heute. ,Angriff der unsinkbaren Gummienten’ ist ein Roman, der irgendwie substanzlos eine gewisse Botschaft zu vermitteln versucht, für die es keinen knapp 400 Seiten Roman gebraucht hätte. Von atemberaubender Spannung solle er sein, hieß es. Vielleicht für einen paranormalen Bühnenkünstler, der gespannt darauf wartet, ob seine Tricks entlarvt werden und er sich fortan zur Ruhe setzen kann. Für alle anderen ist dieser Angriff der Gummienten eher einer auf ihr literarisches Durchhaltevermögen.

Christopher Brookmyre: Angriff der unsinkbaren Gummienten, aus dem Englischen von Hannes Meyer, Galiani Berlin, 413 Seiten, 9783869710976, 14,99 €

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