Erzählungen, Rezensionen
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Florian Wacker – Albuquerque

Wer bisher der Meinung war, die Literatur beschäftige sich viel zu wenig mit den Rändern der Gesellschaft, der wird von Florian Wackers Erzähldebüt angetan sein! Der Frankfurter Autor präsentiert in ,Albuqurque’ Momentaufnahmen der Veränderung und des Aussteigens aus der Alltäglichkeit. Das Besondere dabei sind fraglos die Protagonisten.

Sie sind die Terpentinen-Task-Force, gewissermaßen das A-Team der Berge und halten die schmalen Straßen frei von Hindernissen, bis einer ihrer Freunde spurlos verschwindet. Sie sind illegale Einwanderer bei der Arbeit, haltlos und aussichtslos in einem Leben, das ihnen mal als das bessere erschienen ist. Sie sind ehemalige Leistungssportler mit kaputter Hüfte, versteckt in den Vereinigten Staaten. Sie sind Transsexuelle, die mal Muffe und mal Petra heißen. Dieser Erzählband vereint in seinen literarischen Miniaturen viele Charaktere, von denen so in der Literatur wahrscheinlich noch nicht allzu viel zu lesen war. Sie sind im besten Sinne gewöhnlich, nicht eine Spur geheimnisvoll oder gar heldenhaft. Die Menschen in ,Albuquerque’ könnten des Lesers Nachbarn und Freunde sein, deren Leben sich aus ganz unterschiedlichen Gründen am Rande eines Umbruchs befinden.

Bunge hörte Musik, wie andere Karpfen an Land zogen oder sich über ihre Beete beugten: absolut konzentriert, mit zusammengepressten Lippen.

Florian Wackers Erzählungen sind vielfältig und variantenreich, oft nur an einem winzigen Detail ausgerichtet und fein komponiert. Wie wenn es um den jungen Maler und Anstreicher geht, der ein außergewöhnliches Gespür für Farben besitzt. Er muss nur seine Kunden oder deren Häuser sehen, um genau zu wissen, welche Farbtöne zu ihnen passen. Selbst sein älterer Kollege sieht sich manches Mal deutlich im Nachteil gegenüber seinem jüngeren Mitarbeiter, wie ein Blinder fühle er sich ab und an. Viel mehr geschieht in der Geschichte tatsächlich nicht, was gleichermaßen Florian Wackers Qualität wie auch das Manko mancher Geschichte aufzeigt: Sie verliert sich zu sehr in Kleinigkeiten, bietet manchmal ein detailliert ausgearbeitetes Gemälde, dem der stabilisierende Rahmen fehlt.

Andys Oberkörper und Beine bildeten nahezu einen rechten Winkel, und als er auf die Wasseroberfläche traf, ging ein Riss durch die Zeit: Alle Geräusche verstummten, und alle Bewegungen hielten inne.

Trotz dieser gelegentlichen Schwächen greift der Erzählband gekonnt Themen unserer Zeit auf und verarbeitet sie mit viel Geschick zu kurzen Sequenzen, in denen alles plötzlich möglich scheint, in denen sich alles ändern kann. Wenn der Zugführer am Bahnübergang plötzlich aussteigt und zu Fuß in ein nahegelegenes Dorf geht, um in einer leeren Kneipe mit der Wirtin zu tanzen, ist man davon seltsam berührt. Und wenn der schwarzgekleidete und schlaksige Andy plötzlich die beste Arschbombe der Freibadsaison vom Stapel lässt und dann einfach vom Erdboden verschwindet, ist man irgendwie fasziniert. Die Kleinen, die scheinbar Unbedeutenden können Helden der Literatur sein. Das beweist Florian Wacker jedenfalls in seinem durchaus gelungenen Debüt!

Florian Wacker: Albuquerque, mairisch Verlag, 160 Seiten, 9783938539323, 16,90 €

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