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Meg Wolitzer – Die Interessanten

Sie lernen sich in einem Feriencamp kennen, das die Talente junger Menschen fördern soll. Und obwohl ihre Leben sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln, erhalten sie dennoch Kontakt und Freundschaft aufrecht. Meg Wolitzer schreibt einen fast filmischen Roman über Freundschaft, Verlust und über die Bürde, etwas Besonderes sein zu müssen.

Spirit-in-the-Woods, Anfang der 70er Jahre. Sechs Jugendliche sitzen zusammengepfercht in einem Tipi und diskutieren über Gott und die Welt. Für eine von ihnen, Julie Jacobson, wird dieser Sommer eine Kehrtwende bringen. Ihr Vater ist gerade gestorben, sie ist fünfzehn und fühlt sich im Kreis irgendwie fehl am Platz. Ist sie doch unscheinbar, ungeschickt, – weshalb sie förmlich zu diesem fast komspirativen Treffen eingeladen worden ist, weiß sie nicht. Doch im Laufe des vorbeiziehenden Sommers wird sie nicht mehr Julie, sondern Jules und die Gruppe fortan scherzhaft von sich selbst die Interessanten getauft werden. Zu ihnen gehören außer Jules der ästhetisch eher benachteiligte, aber zeichnerisch geniale Ethan Figman, der bereits zu dieser Zeit in einem Schuppen des Camps Trickfilme zeichnet. Ash und Goodman Wolf, die Gutaussehenden und Bewundernswerten, Jonah Bay, Sohn einer berühmten Folk-Sängerin und Catherine Kiplinger, leidenschaftliche Tänzerin mit einer viel zu weiblichen Figur für ihr Alter. Dieser Sommer wird die sechs allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Leben lang zusammenzuschweißen.

Aber das Leben nahm die Menschen und schüttelte sie durch, bis sie am Ende selbst für ihre ehemaligen Freunde kaum mehr zu erkennen waren.

Genau dieses Schütteln, all diese Unwägbarkeiten versucht Meg Wolitzer in ihrem knapp über sechshundert Seiten starken Roman abzubilden. Während Jules an sich selbst kein besonderes Talent entdeckt und deshalb stets eher in der Mittelklasse zuhause ist, immer wieder von Geldsorgen geplagt, gelingt es Ethan Figman mit einem Trickfilmimperium rund um seine erfundene Welt namens Figland internationale Berühmtheit zu erlangen. Er lebt ein Leben, wie es sich viele wünschen, an seiner Seite die wunderschöne Ash von früher. Meg Wolitzer zeigt das Leben der Freunde in all seinen Facetten; die dunklen Ecken, Todesfälle, Trennungen und Verluste, aber auch die hellen Momente, Hochzeiten, Urlaube, Kinder. Mit jeder Seite kommt man jenen näher, die man zum ersten Mal in einem stickigen Tipi zu Gesicht bekam, in dem sie über Günter Grass und Anaïs Nin sprachen. Es ist, als würde man selbst Teil jener Gruppe, deren Leben gerade erst beginnt, als werde man zum stillen Teilhaber ausnahmslos aller Erfahrungen, die die sechs auseinanderreißen und wieder vereinen. Nebenbei erlebt man auch Veränderungen der Stadt New York selbst – die Kulisse verändert sich. Im individuellen Erleben der Freunde steckt auch ein kleines Gesellschaftspanorama, stecken vierzig Jahre amerikanische Geschichte.

Die Neureichen überschütteten die Neuberühmten mit ihrem Wohlstand, und alle, ob Geschäftsleute oder Künstler, schienen sich ähnlich, austauschbar, überzogen mit dem identischen Geldglanz, als wären sie alle vom selben magischen Hund von Kopf bis Fuß abgeschleckt worden.

Manchmal liest man ein Buch und denkt unweigerlich, es müsse in seiner Fülle verfilmt werden, weil es so voller Bilder und Geschichten in der Geschichte ist, dass es zu platzen droht. Und so ist es auch mit Meg Wolitzers Interessanten. Man fühlt sich wohl mit ihnen, man leidet und hofft mit ihnen, man entwickelt sein eigenes kleines Kopfkino. ,Die Interessanten‘ ist ein Freundschaftsroman, ein Schmöker für lange Abende, der den Leser ganz beiläufig gefangen nimmt als hätte er nie etwas Anderes getan. Ein unterhaltsames Buch über das Leben von sechs Menschen, die sich einst für privilegiert hielten und erkennen mussten, dass das nicht das Wichtigste sein kann. Und wenn man ihn zuklappt, diesen Roman, ist man wieder ein bisschen dankbarer, dass es die Literatur gibt. Als einen kleinen Reisebegleiter in andere Wirklichkeiten.

Meg Wolitzer: Die Interessanten, aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence, Dumont Buchverlag, 606 Seiten, 9783832197452, 22,99 €

Weitere Rezensionen findet ihr bei der Klappentexterin und im Bücherwurmloch.

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