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Dave Eggers – Der Circle

Das Internet ist aus unserem Lebensalltag nicht mehr wegzudenken. Es ist Nachrichtenportal, Multimediachannel und die größte Begegnungsstätte, die es jemals gab. Doch neben den allzu nachvollziehbaren Erleichterungen, die unser Leben durch die globale Vernetzung erfährt, birgt sie in sich die Gefahren eines totalitären Systems. In Dave Eggers neuem Roman ,Der Circle’ betreten wir eine zutiefst beängstigende und nicht allzu ferne Zukunft.

Mae Holland ist eine junge und trendbewusste Frau. Sie arbeitet, völlig unzeitgemäß, wie sie findet, im örtlichen Strom – und Gaswerk, bevor sie durch ihre Freundin Annie das Angebot ihres Lebens erhält. Sie darf beim ,Circle’ anfangen, einem Unternehmen, das in Coolness und Trendbewusstsein in unserer Welt wahrscheinlich ein Firmenkonglomerat aus Google, Facebook und Twitter wäre; bei Dave Eggers jedenfalls hat dieses weltumspannende Unternehmen alle Konkurrenten verschlungen. Jeder, der etwas auf sich hält, der beruflich vorankommen will, strebt zum Circle, in einer einzigen fließenden Vorwärtsbewegung. Maes Freundin Annie arbeitet schon länger beim Circle und hat ein gutes Wort für sie eingelegt. Sie darf anfangen in einem Unternehmen, dem Transparenz und Community über alles gehen.

Die besten Leute hatten die besten Systeme gemacht, und die besten Systeme hatten Geldmittel eingebracht, unbegrenzte Geldmittel, die das hier möglich machten: den allerbesten Arbeitsplatz. Und es war ganz logisch, dass dem so war, dachte Mae. Wer könnte Utopia bauen, wenn nicht die Utopisten?

Mae ist zunächst für die Kundenbetreuung zuständig, steigt aber rasant auf, nachdem sie begriffen hat, worum es dem Unternehmen geht. Ihrem rekordverdächtigen Vormarsch an die Spitze und zum Vorzeigegesicht eines riesigen Netzmonopolisten steht wenig anderes im Wege als ihr Ex-Freund und ein mysteriöser Fremder, der sich hin und wieder auf dem Campus des Circle herumtreibt und wieder untertaucht. Überhaupt: Untertauchen, ungesehen sein, Privatsphäre sind Begriffe, die ihre Gültigkeit verlieren. “TEILEN IST HEILEN” – jede erdenkliche Erfahrung müsse zum Wohle der Allgemeinheit auch allen zugänglich gemacht werden. Wer wisse schon, ob nicht irgendwann jemand davon profitiere? GEHEIMNISSE SIND LÜGEN. Wie schon Aldous Huxley in ,Schöne neue Welt’ entwirft Dave Eggers einfach formulierte Grundsätze, die die Mitarbeiter auf Kurs halten, auf das Ziel des Unternehmens einschwören sollen. Zweifeln ist nicht gestattet.

“Weißt du, was ich denke, Mae? Ich denke, du redest dir ein, wenn du an deinem Schreibtisch sitzt und Smiles und Frowns vergibst, führst du tatsächlich ein faszinierendes Leben. Du kommentierst Sachen, und das ist der Ersatz dafür, sie selbst zu tun. Du siehst dir Fotos von Nepal an, klickst auf einen Smile-Button und glaubst, das ist das Gleiche, wie nach Nepal zu fahren.”

George Orwell und Aldous Huxley verdanken ihren Erfolg nicht primär der Literarizität ihrer Texte, sondern vorallendingen ihrer Fähigkeit, bereits bestehende Tatsachen in ihren zukünftigen Entwicklungen zu sehen, weiter zu denken als die meisten anderen. Dasselbe gelingt auch Dave Eggers in brillianter Weise. Sprachlich und literarisch ist ,Der Circle’ allenfalls Mittelklasse, doch in dem, was er heraufbeschwört und vor den Augen des Lesers entwirft, ist er meisterhaft! Vieles von dem, was Eingang in den Circle fand, gibt es bereits so oder in abgewandelter Form. Seien es die Armbänder, die Puls, Blutdruck und sämtliche Vitalfunktionen anzeigen, seien es unzählige Kameras an öffentlichen Plätzen, sei es die Verlagerung des Lebens in virtuelle Welten, die Verpflichtung gegenüber wildfremden Menschen, ständiger Wettbewerb um Anerkennung. Nichts davon scheint vollkommen fremd oder allzu versponnen. Und es ist dieser Umstand, der Eggers’ Roman so erschreckend, so beängstigend erscheinen lässt.

Vor dem Hintergrund dieser Firma, die sich wie eine Riesenkrake mit unzähligen Tentakeln durch die Gesellschaft und das Privatleben des einzelnen wühlt, stellt Eggers hochaktuelle Fragen: Wie wollen wir im digitalen Zeitalter mit unseren Daten umgehen? Was bedeutet Privatsphäre? Wie viel wollen wir wissen, von uns, der Welt und anderen? Wie viel wollen wir preisgeben? Dürfen wir alles verwirklichen, nur, weil es möglich ist? Wo setzen wir, in jeder Hinsicht, Grenzen? Am Ende des Romans jedenfalls ist man sicher, dass eine solche Zukunftsvision nicht Realität werden darf, egal, welch positive Intentionen sie auch begleiten mögen. Ein Höllenritt von einem Roman, so spannend wie ein Krimi und so visionär wie die Klassiker!

Dave Eggers: Der Circle, aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Kiepenheuer & Witsch Verlag, 560 Seiten, 9783462046755, 22,99 €

Eine Rezension gibt es auch bei Pop-Polit, masuko13 und Die Liebe zu den Büchern.

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