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Andrew Sean Greer – Ein unmögliches Leben

Zeitreisen sind aller Orten in der Kunst ein beliebtes Thema. Was wäre, wenn wir Geschehenes ungeschehen machen könnten? Wenn wir bereits heute wüssten, was morgen passiert, weil wir einen Sprung in die Zukunft gewagt haben? Und wie vorteilhaft wäre dieses Wissen für uns? Andrew Sean Greer geht in seinem neuen Roman ,Ein unmögliches Leben’, der unlängst im Fischer Verlag erschien, noch einen Schritt weiter. Was, wenn es parallele Realitäten gäbe, in denen die Toten wieder leben und unsere Lieben uns noch nicht verlassen haben?

Das Unmögliche passiert uns allen ein Mal. Bei mir war es 1985 kurz vor Halloween zuhause am Patchin Place. Selbst für New Yorker ist die Häuserzeile schwer zu finden: Eine schmale Gasse westlich der Sixth Avenue, wo die Stadt trunken ins Gefüge des achtzehnten Jahrhunderts kippt und Kuriosa hervorbringt, wie dass die West Fourth die West Eighth kreuzt und Waverly Place sich selbst.

So beginnt die eigentlich höchst romantische Geschichte um Greta Wells, die, so unwissentlich wie unbeabsichtigt, die Grenzen von Zeit und Raum überwindet. Als ihr geliebter Bruder Felix stirbt und ihr Mann Nathan sie für eine andere verlässt, ist sie am Boden zerstört. Sie findet keinen Halt mehr in ihrem Leben. Einzig vielleicht ihre etwas extravagante Tante Ruth, die ihr rät, einen Arzt aufzusuchen, um die Geschehnisse zu verarbeiten. Jeder hat gute Ratschläge parat, wie nun in dieser Situation zu verfahren und welche Medikamente einzunehmen seien, um das so schmerzlich vermisste Gleichgewicht wieder herzustellen. Letztlich landet Greta Wells bei einem Mediziner, der Elektrokonvulsionstherapie anbietet – und damit etwas in Gang setzt, das man nur als ,unmögliches Leben‘ bezeichnen kann.

Greta Wells erwacht plötzlich im Jahr 1918. Nicht in einer fremden Umgebung, sondern im Schoß ihrer Familie. Mit ihrem Bewusstsein steckt sie im Körper ihrer Alternativ-Greta, in der Frau, die sie vielleicht zu einer anderen Zeit gewesen sein könnte. In dieser Welt haben Nathan und sie geheiratet, ihr Mann ist noch immer im Krieg. Einzig Tante Ruth sorgt für Beständigkeit, sind ihre gelegentlichen Extravaganzen im Jahr 1918 denen des Jahres 1985 doch ganz ähnlich. Und das Wichtigste: Ihr Bruder Felix ist am Leben.

Wenn andere Welten uns umgeben, kaum mehr einen Blitzschlag entfernt, was sollte uns daran hindern, dahin zu entwischen? Wenn Liebe verlorenging, nun, dann gibt es eine Welt, wo sie blieb. Wenn der Tod angeklopft hat, gab es eine Welt, in der ihm der Einlass verwehrt blieb.

Glücklich jedoch lebt ihr Bruder nicht. Er ist homosexuell und das in einer Zeit, in der über solcherlei nicht öffentlich gesprochen wurde. Als Greta dort ankommt, plant er gerade eine Hochzeit, mit Ingrid. Es stellt sich heraus, dass jede Greta in ihrer Zeit aus unterschiedlichen Gründen einer Therapie mit Elektroschocks unterzogen wird und so beginnt ein wahrer Ringelreihen durch die Zeiten. Die Greta, die ihre Geschichte erzählt, landet bei der nächsten Anwendung im Jahr 1941. Auch hier haben sich Dinge verändert, sind Leben anders verlaufen, haben ihre Protagonisten andere Wege eingeschlagen. Mit jeder Elektroschockbehandlung, die Cerletti an ihr vornimmt, reist sie weiter, in einem stetigen Kreis von 1985 nach 1918 nach 1941 und zurück. Bald entwickelt jede Greta in ihrer Zeit ihre Begehrlichkeiten, versucht jede, in der Zeit, in die es sie katapultiert hat, etwas von dem zu retten, was sie in ihrer Zeit verloren haben. Wenn man Zeitreisenden schon dazu rät, in fremden Zeiten um Himmels willen nichts zu verändern, sollte das für Weltenreisende erst recht gelten. Aber, wie es auch oft bei Zeitreisen so ist, – niemand hält sich daran.

Ich konnte meinem Alter Ego keinen warmen Empfang bereiten und behutsam die schlimme Nachricht beibringen. Ihr sagen, dass ihr Liebster tot sei. Ich konnte nur ihre Welt vorbereiten, wie man Hinterbliebenen das Bett bereitet.

Andrew Sean Greer hat einen soliden Roman geschrieben, sprachlich beeindruckend, der jedoch, blickt man auf das große Ganze, etwas an seiner Handlung krankt. Unklar, worauf sie eigentlich hinauswill, manchmal nebulös, was damit auszudrücken beabsichtigt war. Zweifellos ist dieser Roman ein hübscher Schmöker, angereichert mit Liebe und Leidenschaft, doch hinter eben dieser hübschen Fassade ist erstaunlich wenig zu finden. Sagt es uns nun, dass unsere Leben jederzeit anders verlaufen könnten, dass nichts festgeschrieben ist? Dass wir deshalb nicht etwa an Dingen verzweifeln sollten, die wir für unabänderlich halten? Die Protagonisten bleiben, trotzdem man nicht behaupten kann, es sei an ihrer Charakterisierung gespart worden, eigentümlich blass und schablonenhaft. Insbesondere das Ende des Romans wirft Fragen auf, die zu beantworten an dieser Stelle nicht mein Anliegen ist. ,Ein unmögliches Leben‘ ist eine ganz schöne und fantasievolle Geschichte für Zwischendurch, mehr leider nicht.

Andrew Sean Greer: Ein unmögliches Leben, Fischer Verlag, aus dem Amerikanischen von Uda Strätling, 333 Seiten, 9783100278272, 19,99 €

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