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Volker Weidermann – Ostende

Volker Weidermann ist ein deutscher Autor und Literaturkritiker. Er arbeitet als Literaturredakteur und Feuilletonchef bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Für ,Das Buch der verbrannten Bücher‘ wurde Weidermann 2009 mit dem Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik ausgezeichnet. ,Ostende – 1936, Sommer der Freundschaft’ erscheint im Kiepenheuer & Witsch Verlag.

Hier, an diesem überbreiten Boulevard mit den prachtvollen weißen Häusern, dem großen Casino, diesem phänomenalen Palast des Glücks. Urlaubsstimmung, Ausgelassenheit, Eiscreme, Sonnenschirme, Trägheit, Wind und bunte Bretterbuden.

Trotzdem man angesichts solch idyllischer Beschreibungen tatsächlich in die Versuchung kommen könnte, den Ausflug ins belgische Ostende für einen erholsamen Ferienausflug zu halten – die Autoren, die dort im Sommer 1936 zusammenkommen, tun das mitnichten aus lauter Freude. Sie sind Exilanten, aus Nazi-Deutschland oder Österreich vertrieben, nicht mehr imstande, dort ihre Bücher an Mann und Frau zu bringen. Der Sommer 1936 birgt die Ruhe vor dem Sturm, auch für die zwei, die als Freunde im Zentrum von Volker Weidermanns kleinem Zeitpanorama stehen – Stefan Zweig und Joseph Roth.

Stefan Zweig flieht durch die Welt. Streift Fessel um Fessel ab,möglichst ohne jemandem wehzutun. Eine Illusion. So ziehen sich die Fesseln nur fester zu.

Stefan Zweig ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein Mann von Welt, ein seriöser, distinguierter und bekannter Autor, der stets noch an das Gute im Menschen zu glauben bereit ist, selbst wenn die politische und gesellschaftliche Lage eine ganz andere Sprache spricht. Er hat gerade Castellio gegen Calvin veröffentlicht, das wegen seiner massiven Kritik an Calvin Proteste in der Schweiz auslöst und aufgrund seiner etwas zu raschen Publikation noch historische Fehler enthält, er flieht auch vor diesem feuilletonistischen Sturm im Wasserglas ins beschauliche Ostende.

Joseph Roth hingegen ist ein großer Bewunderer Zweigs. Bereits lange vor der ersten Begegnung hatte er vor seiner Wiener Haustür gestanden und war dann doch wieder umgekehrt. 1930 erschien Roths Hiob, 1932 sein Radetzkymarsch, an beiden Romanen hatte Stefan Zweig als beratender und kritisierender Freund großen Anteil. Sie treffen sich auf Einladung Zweigs in Ostende wieder, – Roth allerdings ist in einem beklagenswürdigen Zustand. Immer arm an Geld und noch immer der österreichischen Monarchie nachtrauernd, ist er bereits Alkoholiker in fortgeschrittenem Stadium.

Seine Beine und Füße sind stark angeschwollen, er passt kaum noch in irgendwelche Schuhe hinein. Seit Jahren muss er sich jeden Morgen übergeben, manchmal stundenlang. Er isst beinahe nichts. Essen gehen in einem Restaurant hält er für eine exzentrische Geldverschwendung, die nur einem reichen Mann wie Stefan Zweig einfallen kann.

Volker Weidermann zeichnet in bester Tradition des historisch und literarisch inspirierten Romans – man erinnere sich an Florian Illies ‘1913‘ und Michael Kumpfmüllers ,Die Herrlichkeit des Lebens‘ – einen Lebensausschnitt zweier Autoren, die heute zur Weltliteratur gezählt werden. Er lässt sie mit anderen Schreibenden zusammentreffen, die dort am belgischen Strand versuchen, abseits der Heimat Fuß zu fassen. Egon Erwin Kisch, Irmgard Keun – die sich rettungslos in den Trinker Roth verliebt -, Hermann Kesten, Ernst Toller und James Ensor, der, in Ostende geboren und gestorben, nur in einer von morbidem Allerlei geschmückten Kammer sitzt und malt.

,Ostende’ lässt diesen Sommer auferstehen, in dem Joseph Roth sich noch an Stefan Zweig aufrichten konnte – und umgekehrt. Es ist ein kurzer Sommer, danach verstreut es viele Exilanten in alle Winde. Es ist ein Sommer der Hoffnung entgegen aller Tatsachen, dessen Stimmung man sich während der Lektüre lebhaft vorstellen kann. Volker Weidermann analysiert, flechtet immer wieder Briefe der Akteure ein, man merkt ihm an, dass er weniger aus dem Belletristischen, sondern aus der Publizistik über Literatur und ihre Schöpfer kommt. Und so kann man Ostende auch als schmales Sachbuch über eben diese Freundschaft zwischen Roth und Zweig lesen – und darüber hinaus zum Anlass nehmen, die erwähnten Autoren nochmal neu zu lesen.

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Stefan Zweig und Joseph Roth

An dieser Stelle sei auch empfohlen: ,Jede Freundschaft mit mir ist verderblich‘, Briefwechsel 1927-1938,erschienen im Diogenes Verlag.

Volker Weidermann – Ostende, Kiepenheuer&Witsch Verlag, 156 Seiten, 9783462046007, 17,99 €

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