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Lukas Bärfuss – Koala

Lukas Bärfuss ist ein Schweizer Autor und Dramaturg. Bevor er sich dem Schreiben widmete, war Bärfuss in vielen anderen Berufen tätig, so auch als Buchhändler, Tabakbauer und Gärtner. Er war Lehrbeauftragter am Schweizer Literaturinstitut und Dramaturg am Schauspielhaus Zürich. Seine Stücke werden weltweit an Theatern aufgeführt, sein Debütroman ,Hundert Tage‘ wurde für den Deutschen und den Schweizer Buchpreis nominiert. Just erhielt Bärfuss den Solothurner Literaturpreis. ,Koala‘, sein jüngster Roman, widmet sich dem Selbstmord seines Bruders. Er erscheint, wie auch viele andere Werke Lukas Bärfuss’, im Wallstein Verlag.

Man hatte mich in meine Heimatstadt geladen, damit ich einen Vortrag über einen deutschen Dichter halte, der zweihundert Jahre früher, an einem Tag im November, am Wannsee in Berlin eine Mulde gesucht und danach seiner Freundin Henriette Vogel ins Herz und schließlich sich selbst eine Kugel in den Rachen geschossen hatte.

Für die meisten Menschen ist ein Selbstmord, trotzdem er konstant in der Mitte unserer Gesellschaft anzutreffen ist, ein Thema, über das man lieber schweigt. Ganz gleich, ob man selbst einen Angehörigen durch Suizid verloren hat oder sich selbst mit Gedanken an die Beendigung des eigenen Lebens plagt, darüber gesprochen wird ungern. Allenfalls romantisiert wird in gewissen Kreisen, mindestens ebenso leidenschaftlich wie an anderer Stelle verteufelt wird. Was für den einen ein unschätzbares Geschenk ist, scheint dem anderen nur mehr ein evolutionärer Zufall, den weiterzuführen oder zu beenden jedem selbst überlassen sein müsste. Auch Lukas Bärfuss’ Bruder entschied sich letztlich für den Freitod. In der Badewanne liegend tötet er sich mit einer Überdosis Heroin.

Es schien, als habe mein Bruder Rücksicht bewiesen, indem er den Aufwand zur Entsorgung seiner Leiche auf die Reinigung einer Badewanne beschränkte, aber ich sah darin einen sarkastischen Kommentar zu den Ansichten der Reinlichkeit, die in jener Gegend vertreten wurden, dass die größte Zumutung eines Selbstmörders nicht sein Tod, sondern der Schmutz sei, den er hinterlässt.

Trotzdem das Verhältnis zu seinem Bruder kein inniges war, plagen den Zurückbleibenden die Fragen, zermartert er sich das Hirn nicht nur über das Warum, sondern über den Selbstmord an sich. Versuche, mit anderen Betroffenen darüber zu sprechen, schlagen fehl. Literarische Recherche vermag keine Antworten zu liefern, unterschieden sich doch die Biographien und Beweggründe anderer Selbstmörder der Geschichte scheinbar so eklatant von denen seines Bruders. Der lebte zurückgezogen, allein, war niemals aus seiner Heimatstadt herausgekommen, war nicht ehrgeizig oder besonders verbissen. Er nahm, was ihm zufiel und gab sich, ganz gleich, wie viel es auch sein mochte, damit zufrieden. Durch einen schweren Unfall einige Zeit in den Rollstuhl gezwungen, konsumierte er Schmerzmittel und Drogen – und lebte gewissermaßen existenzgenügsam, scheinbar im Reinen mit seinem bloßen Dasein. Vielleicht ein Grund dafür, weshalb er schon damals als Junge bei den Pfadfindern ,Koala‘ genannt wurde.

Es waren drei Silben.
Er kannte den Namen, er kannte das Tier.
Das Tier war nicht schwarz. Es war nicht stark. Es war faul und hatte pelzige Ohren, ein Viech, über das man lachte. Das Beste, was man über das Tier sagen konnte, war, dass es niedlich war.

Lukas Bärfuss’ gelingt ab diesem Punkt ein beeindruckender Sprung, eine erzählerische Glanzleistung, die den Leser von der Gegenwart, in der der Tote sich immer wieder in Gestalt von Koalas ins Bewusstsein drängt, in die Vergangenheit führt, in die Ursprünge Australiens als britische Strafkolonie und das Leben des Koalas, der tatsächlich erst 1817 entdeckt wurde. Der Leser wird Zeuge der Ankunft eines Sträflingsschiffes an der Küste, erlebt den Aufbau einer Kolonie, die Annäherung der Eingeborenen an die Weißen, die Grausamkeit, mit der vielfach verfahren wurde. Die meisten der verbannten ,Verdorbenen’ hatten sich nicht mehr als einige Diebstähle zuschulden kommen lassen und wurden als Aussatz nun in die Neue Welt verbracht, die bei weitem nicht den Erwartungen der Ankommenden entsprach. Der Koala indessen, als Schatten am Rande der Erzählung präsent, war zuvor durch intensive Jagd bereits in andere Regionen des Landes zurückgedrängt worden, in die man erst bedeutend später vorstieß.

George Perry, der englische Schneckenforscher, schrieb, unter allen seltsamen Tieren, die aus der Neuen Welt bekannt seien, gebühre dem Koala bestimmt ein besonderer Platz, und wenn man seinen ungeschickten  und unbeholfenen Körper betrachte, ganz abgesehen von seiner seltsamen Physiognomie und seinem bizarren Lebenswandel, dann fehle einem jede Erklärung, zu welchem Zwecke der große Autor der Natur ein solches Wesen erschaffen haben mochte. Und kein Naturforscher, einerlei von welchem Gemüt, hätte sich eine solche Kreatur erträumen mögen.

Von der individuellen autobiographischen Erfahrung ausgehend gelingt Lukas Bärfuss eine nahezu halsbrecherische Abstraktionsleistung. Vor dem geschichtlichen Hintergrund dieser entstehenden Strafkolonie, den dort herrschenden (menschlichen) Zuständen und der anachronistischen Lebensweise des Koalas – die der seines Bruders in vielerlei Hinsicht erschreckend ähnelt – entwirft er, neben individuellem Schmerz, noch ein ganz anderes Erklärungsmuster für unseren gesellschaftlichen Umgang mit Selbstmord. So stellt Lukas Bärfuss unser ständiges, ameisenhaftes Geschäftigsein der Faulheit und Genügsamkeit eines Wesens gegenüber, das nicht nach Höherem strebt, das nicht, wie wir, von Angst vor dem Morgen beherrscht wird, das Innehalten und Stillstehen fürchtet. Der Selbstmord, der Stillstand, ist letztlich auch eine Form der “Leistungsverweigerung”, manches Mal ein ganz bewusster Abschluss des Lebens,. Wer führt sich gern seine eigene Endlichkeit vor Augen? Ganz zu schweigen davon, sie in vollem Bewusstsein zu suchen.

,Koala‘ wirft ein ungewöhnliches Licht auf den Selbstmord, die Menschen und die Triebfedern unserer Gesellschaft. Das Hinübergleiten von einer Erzählebene in die andere verläuft mühelos und wo man sich gerade noch mit diesem, meint man, so sinn – und grundlosen Selbstmord eines Menschen beschäftigte, endet man schließlich nachdenklich über die Existenz eines Tieres, das rein evolutionär gesehen angesichts seiner horriblen Ernährung und einseitigen Lebensweise, ein kleines Wunderwerk der Natur ist. ,Koala’ ist kein gefälliger Roman, er stellt Fragen, von denen wir manchmal annehmen, dass ihre Antworten eine Selbstverständlichkeit sind. ,Koala’ zeigt, – sie sind es nicht, es gibt immer mehrere.

Es war eine Lüge, zu behaupten, dass man die Selbstmörder nicht verstand. Im Gegenteil. Jeder verstand sie nur zu gut. Denn die Frage lautete nicht, warum hat er sich umgebracht? Die Frage lautete: Warum seid ihr noch am Leben?

Eine kritische Stimme gibts bei buchpost.

Lukas Bärfuss – Koala, Wallstein Verlag, 182 Seiten, 9783835306530, 19,90 €

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