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David Wonschewski im Interview

Er schreibt von Düsternis und Leid, von Wahnsinn und Geisteskrankheit. Und er nennt das lebensbejahend. Klingt absurd? Vielleicht. Ist aber auf eine sehr tiefsinnige Art wahr. Ich habe mit David Wonschewski ein sehr ausführliches Interview geführt. Für alle, denen es schon lange in den Fingern juckt, ein Buch von Wonschewski zu lesen, habe ich überdies noch eine sehr gute Nachricht: Er spendiert zwei signierte (!) Exemplare von seinem neuen Erzählband ,Geliebter Schmerz’. (Periplaneta Verlag)

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“Geliebter Schmerz” ist für viele ein Widerspruch in sich. Für dich nicht. Warum? Was macht den Schmerz so liebenswert?

Liebenswert ist ein Adjektiv, das ich nun nicht unbedingt für den Schmerz verwenden würde – auch wenn es von der direkten Wortbedeutung schon passt. Alles was uns schützt und am Leben erhält, was uns fördert und trägt und uns die Möglichkeit gibt uns weiterzuentwickeln, doch, ich denke das hat sich durchaus unsere Zuneigung verdient. Und diverse übel beleumundete menschliche Gefühle oder Reaktionsschemata fallen in genau diese Kategorie. Der Schmerz, die Angst, die Starre, die Panik, die Flucht – alles das ist dem Menschen ja nun nicht eingepflanzt worden, um ihn zu zerstören. Immer wenn wir derartigen Symptomen begegnen, dann wissen wir: Änderung tut Not! Ich persönlich bin der Meinung, dass ein Paradigmenwechsel nötig ist, sind doch jene Gefühle, die wir als positiv erachten, oftmals gar nicht so positiv wie ihr Ruf. Die Liebe beispielsweise. Himmel, was verehren wir die Liebe, aber mal ehrlich – wenn ich darüber nachdenke zu wie vielen Leuten ich schon „Ich liebe dich“ gesagt habe und wie viele Leute es zu mir sagten und was aus all diesen schönen Gedanken und Momenten und Beziehungen geworden ist, dann wird meine Stimmung gleich mal düster. Die Liebe ist eine abstrakte Sehnsucht, eine Fata Morgana, der wir beständig hinterherstolpern, wie Ertrinkende in der Wüste. Da ist der Schmerz doch wesentlich konkreter, er kommt zu mir und ist immer ehrlich. So wie es einer der Hauptsätze in dem Buch sagt: In deiner Liebe kannst du dich täuschen. In deinem Schmerz nicht. Geliebter Schmerz.

Hast du diese Einstellung schon immer vertreten oder hat dich etwas Konkretes umdenken lassen?

In meinem ersten Roman „Schwarzer Frost“ habe ich das Thema Entfremdung und Depression behandelt. Ich habe viel mit Psychoanalytikern sprechen dürfen über dieses Thema und einer sagte mir, dass diese ganze Verdüsterung krankhafter Symptome doch eh eine rein subjektive Kiste ist. Klar, bei Depressionen kann ich mich hinstellen und es pathologisieren, herumjammern, dass ich gescheitert und verkorkst und ein Freak bin. Ich kann es aber auch als simplen Fingerzeig sehen, als Erkenntnis, dass an meiner derzeitigen Lebensführung irgendetwas nicht ganz stimmig ist. Als Warnzeichen meines Körpers. Viele Menschen erhalten ein solch kostbares Warnzeichen zeitlebens ja gar nicht. Die dürfen sich zwar in dem heuchlerischen Gefühl sonnen „nicht krank“ zu sein, fristen dafür aber eine Existenz, die sie nicht im Ansatz befriedigt. Viele Menschen sprechen von diesem Traum, noch einmal ganz neu anzufangen. Gerade  Leute, die eine Depression durchgestanden haben, setzen es dann aber in der Regel in die Tat um.
Mir persönlich hat diese Sichtweise sehr geholfen. Ja, gerade in diesen vermeintlich negativen Gefühlen stecken die größten Chancen. Ich habe nun nichts gegen positive Gefühle, natürlich nicht, sie sind für mich aber gleichbedeutend mit Stillstand, ganz zu schweigen davon, dass positive Gefühle schnell an Wert verlieren, wenn sie zu oft in Anspruch genommen werden. Das kennen wir alle, nach „oh wie toll“ kommt stets “ganz nett“, gefolgt vom ganz großen „egal“. Viele Ehen gehen bekanntlich kaputt daran.
Mein eigenes Leben ist definitiv erfüllter geworden, seitdem ich die negativen Gefühle wichtig nehme und die positiven Gefühle als nette Randerscheinung am Wegesrand betrachte. Schokolade ist super – neun Tage den Mond anheulen, dass man schon wieder vergessen hat, welche aus dem Supermarkt mitzubringen und an Tag zehn dann anderthalb Tafeln verputzen, so läuft es am besten! Ein Fest der Sinne, das beste Lebenskonzept, das mir bisher bekannt ist.
Mich selbst hat dieses Lebenskonzept definitiv sympathischer, ausgeglichener und tatkräftiger werden lassen. Als ich noch auf der beständigen Jagd nach den schönen Gefühlen war, da war ich ein nicht sonderlich angenehmer Zeitgenosse. Manchmal wundern sich Leute, die mich kennenlernen, dass ich gar nicht so bedrückt und verhangen wirke wie meine Bücher vermuten lassen. Ob das nicht seltsam und ein Widerspruch sei, wird dann gefragt. Nein, ist es nicht. Es hängt zusammen, ist die logische Folge.

Du forderst einen Paradigmenwechsel in Bezug auf einen offeneren Umgang mit Schmerz und Ängsten. Was machen wir falsch im Moment?

Zunächst einmal maße ich mir nicht an zu sagen, ob andere etwas falsch machen oder nicht. Dass muss dann doch noch jeder für sich selbst entscheiden. Mir persönlich kommt schlichtweg dieses Wort „krank“ inzwischen zu oft vor in unserer Gesellschaft, in körperlicher, aber auch in psychologischer Hinsicht. Wir optimieren uns zu Tode und alles was durchs Raster fällt ist neuerdings „krank“. Dass gewisse Branchen auch noch Profit daraus schlagen, indem sie beispielsweise ihre Tabellen oder Forschungserkenntnisse immer wieder updaten, flankiert das Ganze noch auf eine ziemlich perfide Weise.
Ich glaube „krank“ war mal ein guter und klar definierter Begriff. Aber inzwischen ist er nur noch lachhaft. Ich meine, die faszinierendsten Frauen, die mir in meinem Leben begegnet sind, das waren die, die Tabletten nahmen, Stimmen hörten, zerschnittene Unterarme hatten, nachts nicht schlafen konnten. Ich will nicht das Leid anderer glorifizieren, natürlich nicht, aber bin ich nun ein Freak, weil ich gerade diesen Frauen gerne zuhöre, weil diese Frauen den feinsinnigsten Humor besitzen, beneidenswert sensibel sind und mir ziemlich oft Dinge erzählen, die ich noch nicht weiß? Die Geschichte „Sommerromanze“ widmet sich in meinem Buch genau diesen Erfahrungen. Natürlich treffe ich auch andere Frauen, aber ehrlich gesagt vergesse ich die immer sofort. Das ist wie in der Schule damals, die Leute mit dem Einser-Abitur waren mit Abstand die ödesten, wussten viel, hatten aber so seltsam wenig zu erzählen. Mit den Jungs, die in die Nachprüfung mussten, konnte ich dafür nächtelang durchquatschen.
Was wir falsch machen? Das möchte ich gerne mit dem recht erfolgreichen Buchtitel von Manfred Lütz beantworten: „Irre! Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen“.
Genau das ist es. Männer und Frauen ohne Therapieerfahrung machen mich inzwischen argwöhnisch. Jemand, der lautstark über Alkoholkranke oder Tablettensüchtige lamentiert, erscheint mir sehr verdächtig. Menschen, die vorgeben zu funktionieren, mal echt: die ticken doch nicht ganz richtig.

Welche Alternativen siehst du?

Die Herausforderung besteht wohl darin, den Menschen die Angst vor dem vermeintlichen Versagen zu nehmen. Immer wieder darzulegen, dass es kein „krank“ gibt. Auch wenn das eine nicht immer schöne Erkenntnis ist.
„Wir sind Menschen, keine Maschinen“. Ein absoluter Plappersatz – aber richtig. In fast allen Geschichten in „Geliebter Schmerz“ unternehme ich den Versuch, diesen schönen Satz wieder mit Inhalt zu füllen, endlich wieder zu unserem Menschsein zu stehen. In einigen Aspekten werde ich vermutlich einen schnellen Applaus einfahren, wie zum Beispiel, wenn ich depressiven Menschen ihre Würde zurückgeben möchte.  In abseitigeren Gefilden hingegen wird das manche Leser ein wenig schockieren, möchte doch nicht jeder beispielsweise in den Schädel eines Vergewaltigers hineinschauen. Ist ja auch angenehmer, weiterhin „krank“ zu sagen, was ein durchaus verständlicher Selbstschutz ist, eine Abgrenzung, die hilft. Die aus meiner Sicht aber nicht weiterbringt und auch Teil des Problems ist, denn wenn wir uns ansehen, wie weit verbreitet Vergewaltigung ist, dann wird „krank“ doch zu purem Euphemismus und verhindert eine Lösung dieses Problems, schiebt man damit doch auch immer die Verantwortung ein Stück weit von sich.

So als wären es Außerirdische, die sowas machen. Leider sind es aber Menschen. Und oftmals sogar solche, die als „gesund“ gelten, Familienväter, Onkel, der beste Freund der Familie. Vergewaltigungen geschehen so unfassbar oft und zumeist im persönlichen Umfeld – wir müssen leider die bittere Pille schlucken und es „menschlich“ nennen. Solange wir uns nicht dazu bekennen, dass Vergewaltigung ein im Menschen angelegtes Verhalten ist, brauchen wir uns an einer Lösung dieses Problems doch gar nicht erst zu verheben. Ich war dieser Tage auf einem Konzert des Klavierchansonniers Sebastian Krämer. Dort spielte er auch mein Lieblingsstück von ihm: „Manchmal höre ich die Stimmen noch“, ein Lied aus der Sicht eines Stalkers, der sein weibliches Opfer ins Koma gebracht hat. Wer das Lied nicht kennt, wird sich wundern, aber: Die Leute haben sich gebogen vor Lachen. Sicherlich, Krämer hat diese wunderschönen Melodien, den hinterhältig-humoristischen und bei dem Song fast schon romantischen Ansatz, den habe ich nicht. Am Ende geht es aber auch bei mir darum, den Wahnsinn bei den Ohren zu fassen und ins Licht zu zerren.

davidwonschewski2In deinen Erzählungen steckt, insbesondere den an Krebs erkrankten Vater betreffend, sehr viel Persönliches. Wie fühlst du dich damit, diese persönlichen Erfahrungen – wenn auch zum Teil fiktionalisiert – öffentlich zu machen?

Gut. Gerade die Krebstexte finden in meinen Lesungen den größten Anklang, da sie – obschon in der Tat sehr persönlich – eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzen. Mir war vorher nicht klar, dass scheinbar jeder einen Menschen hat, den er auf diese Art in den Tod begleitet hat. Inzwischen aber lerne ich es immer wieder neu, dass gerade die persönlichsten Texte die unpersönlichsten sind, weil es wahrhaftig ein Band gibt, das alle Menschen eint. Ich schreibe über meinen Vater, schreibe aber genaugenommen über die Menschen und das Loslassen. Hätte ich offen gesagt zuvor nicht in dieser Form erwartet, da dachte ich eher, dass sich doch kein Mensch für meine Privaterfahrungen interessieren wird.

Während dein erster Roman ,Schwarzer Frost’ durchweg aus einer männlichen Perspektive erzählt war, begegnen wir mit ,Alison’ in ,Geliebter Schmerz” nun erstmals einer weiblichen Perspektive. War es schwierig für dich, diese Stimme zu finden?

Ob ich diese Stimme gefunden habe weiß ich gar nicht einmal, aber schön, dass du es mir in gewisser Weise bescheinigst. Zunächst denke ich, dass Männer und Frauen zum größten Teil über deckungsgleiche Gefühlswelten verfügen, Einsamkeit und Ausweglosigkeit sind universell, da musste ich nicht lange suchen. Die zeitgemäße Herausforderung besteht für mich eher in der Rollendefinition, denn beide Geschlechter leiden definitiv daran, dass wir uns gerade in einer gewissen Übergangsphase befinden. Männer stellen fest, dass sie nicht das Leben ihrer Väter erreichen können (eine per se fragile Angelegenheit, die nun nicht mehr nur Söhne von weltberühmten Rockstars zerbrechen lässt) und Frauen müssen sich gerade mit der Erkenntnis abplagen, dass mehr Rechte und Möglichkeiten nicht automatisch in einem geileren Leben münden. Die Geschichte von Alison und Pawel ist eine Geschichte, die im Grunde exakt darauf beruht, sind beide doch moderne Vertreter ihres Geschlechts – und beide heftig desorientiert und ausgelaugt.

Pawel kriegt nichts auf die Reihe, hat kein Gefühl für Zugehörigkeit mehr, zieht von Stadt zu Stadt und Land zu Land und findet keinen Hafen mehr, woran er schließlich depressiv wird. Alison hingegen steht mit beiden Beinen fest im Leben, macht richtig Karriere – muss aber einsehen, dass sie immer wieder neidisch in das Leben ihrer Schwestern lugt, die nie Karriere gemacht haben, aber früh Mütter wurden. Beide sind rastlos und beide haben somit nichts anderes als diese verwegene Hoffnung, dass ein Mensch sie retten könnte, die große Liebe. Leider sind beide keine 20 mehr, was die Sache bekanntlich nicht einfacher macht. Ich denke, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass es sich bei diesen Erzählungen um Romanfragmente handelt. Ich werde ja so gerne gefragt, wann ich mal einen Liebesroman schreibe. Die Leute, die das fragen, sind in der Regel – was Wunder – Frauen und auch ganz erpicht darauf noch mehr über Alison und Pawel zu erfahren. Ich verspreche ungern Dinge, aber da auch ich mich als großer New York-Enthusiast und bekennender Woody Allen-Neurotiker in die beiden verliebt habe, werde ich das Paar mit Sicherheit wieder aufgreifen.

Liest man die Erzählungen, könnte man Sorge haben, du seist ein äußerst düsterer und depressiver Zeitgenosse. Ist diese Sorge berechtigt?

Da wir uns bereits persönlich begegnet sind, müsstest du das im Grunde am besten beantworten können. Es lässt sich ja so schwierig urteilen über sich selbst. Ich würde aber eher sagen, dass ich ein innerlich etwas zerrissener Zeitgenosse bin, der sich fantastisch unterhalten fühlt von düsteren und depressiven Dingen. Auch ästhetisch im Übrigen, sei es ein Videoclip von Anton Corbijn oder ein Besuch beim Wave Gotik Treffen in Leipzig – nirgends kann ich meinen ganz eigenen Voyeurismus so elegant und formvollendet befriedigen wie in den düsteren Bereichen der Kunst. Was das Auge da zu sehen bekommt ist beeindruckend, faszinierend, aufregend, ergo: lebensbejahend! Wenn ich mir hingegen eine dieser Heidi Klum-Shows betrachte oder jene sexualisierten Clips, die inzwischen die Musikwelt bestimmen, da überfällt mich das Grausen. Ich will jetzt nicht die Gesellschaftskeule herausholen und darüber reden, was diese angeblich so positiven Bilder für eine verdammte Auswirkung auf junge Mädchen haben. Aber aus der Sicht eines erwachsenen Mannes – und eine andere habe ich ja nun nicht – sind dort nirgends attraktive Menschen zu finden. Für mich sind diese Sendungen sogar ziemlich lebensverneinend, womit wir wieder beim Paradigmenwechsel sind, denn das angeblich Lebensverneinende ist in Wahrheit das Lebensbejahende – und andersherum. Im Übrigen ist die Szene der vermeintlich düsteren, depressiven und lebensverneinenden Menschen auch die gewaltloseste und friedlichste. Aber das nur am Rande.
Nein, Sorgen muss man sich nicht machen um mich. Sollte ich irgendwann Comedy schreiben  und Chartmusik hören, dann bitte umgehend meine Mutter anrufen.

In ,Der Tag, an dem ich mir selbst den Garaus machen wollte’ erzählst du von einem suizidalen Gewaltverbrecher. Du nimmst seine Perspektive ein, während er im Park eine junge Frau überfällt. Wie kam es zu dieser Geschichte, bzw. dieser Perspektive?

Ein wenig habe ich ja bereits erzählt dazu. Mir reicht es einfach nicht zu sagen „solche Leute sind krank“, ich möchte genau hinsehen, will genau wissen, was da vorgeht in deren Kopf. Um das zu erreichen, muss ich vorgehen wie ein Profiler in einem Krimi, mich mit einem Täter gemein machen. So ging meine erste Überlegung dahin, mir zu überlegen, wie sich ein mehrfacher Vergewaltiger wohl fühlt. Mir fiel eine Reportage ein, die ich in der Süddeutschen Zeitung einmal gelesen hatte. Inhalt war ein Gespräch mit einem pädophil veranlagten Mann, der die deutsche Justiz beklagte, die eine Mitschuld daran trägt, dass Leute wie er so viel Unheil anrichten können. Er berichtete davon, wie dieses seltsame Verlangen als Teenager über ihn gekommen sei und dann einfach nicht mehr verschwand. Wie es ihn sofort belastete, er sofort wusste, dass das schlimm ist – aber keine Ansprechpartner fand dafür. Er fühlte sich selbst als tickende Zeitbombe, hatte Angst davor, vielleicht doch irgendwann die Kontrolle zu verlieren. Er ging zur Polizei, er wollte weggesperrt werden, doch die schickte ihn umgehend heim, er hatte ja nichts gemacht. Er ging in Therapie, doch Therapien dauern und kosten und bis man mal den richtigen Therapeuten hat, können Jahre vergehen. Und irgendwann kam dann der Wunsch nach Selbstmord in ihm auf, denn wie er es drehte und wendete, alles endete in Abartigkeit und Qual. Diese Reportage bildet den Hintergrund, nur dass es kein pädophiler Mann ist in diesem Fall. Sondern ein Vergewaltiger, der angewidert von dieser eigenen Veranlagung ist und sich daher erhängen will.

Man fragt das einen Autor ja selten, aber: Welche Erzählung aus ,Geliebter Schmerz’ ist dein Favorit und warum?

Seltsam, mich hat das bisher noch jeder gefragt. Meine Lieblingsgeschichten sind die bereits erwähnten „Sommerromanze“ und „Der Tag, an dem ich mir selbst den Garaus machen wollte”. Das Leid der Männer, das habe ich in „Schwarzer Frost“ thematisiert, das Leid der Frauen beginnt nun zunehmend mich zu interessieren. Was vermutlich auch daran liegt, dass ich mich selbst dadurch ganz zwangsläufig in die Täterrolle bugsiere. Und genau an diesem Punkt wird es wichtig, ist doch genau das eines der Hauptprobleme, dass jeder immer nur auf andere zeigt, wenn es um Schuldfragen geht. Und dann schlimmstenfalls noch den Kopf schüttelt und sagt „krank, so krank!“. Unser Land besteht zu 100 Prozent aus Opfern, aber wer ist denn dann der Täter? Ich bin da auch nicht besser, natürlich nicht, am Ende ist „Schwarzer Frost“ auch ein Opferroman gewesen. Die beiden benannten Geschichten sind nun eindeutige Tätergeschichten und von daher die aus meiner Sicht wichtigsten, weil Rumjammern uns alle eben nur bedingt weiterbringt. Das Opfer in uns kennt jeder, es ist an der Zeit auch den Täter ins uns zu erkennen. Die Anlagen zu Mord und Gewalt und Belästigung tragen wir schließlich alle in uns.

Wie darf man sich deinen Autorenalltag vorstellen? Wann und wie schreibst du?

Von Januar bis Ende Juni sitze ich in einem Landhaus in der Bretagne. Dort gibt es eine Veranda und man kann ganz herrlich den Blick schweifen lassen. Kennst du die Bäume in der Bretagne? Wunderbar, ganz wunderbar. Morgen um 7 Uhr fange ich an, atme diesen einzigartigen Wind ein und schreibe und schreibe und schreibe. Mittags gibt es dann eine Partie Federball mit dem Personal und dann schreibe ich weiter bis mir der Wein die Augen schließt. Ab Juli bin ich dann in Manhattan. Das laute, tosende Treiben der Stadt ist mir eine ständige Inspiration. Ich treffe Musiker und Maler und wir flanieren in Hosenträgerhosen und mit Strohhüten auf dem Kopf durch die Künstlerviertel….
Okay, das war nun geschwindelt. In Wahrheit hocke ich in meinem Wohnzimmer in Berlin und glotze gegen eine Wand. Unten von der Hauptstraße aus dringt ein Wahnsinnslärm nach oben. Das nervt vielleicht. Genug Zeit ist auch nie, immer ist irgendwas anderes zu tun. Die Umstände machen mich so verdammt wütend und zornig – dass ich immer genug Inspiration für neue Geschichten habe. Darum bleibe ich auch hier hocken, in meinem geliebten Loch.

Und zuletzt: Warum schreibst du?

Die einfachsten Fragen sind immer die schwierigsten. Natürlich könnte ich nun sagen, dass da soviel in mir drin ist, was alles raus muss. Das stimmt vermutlich auch, ist aber auch nur eine ausweichende Antwort. Ich denke alle Künstler haben einen Grund, der sich nach innen richtet und einen weiteren Grund, der sich nach außen richtet. Der Grund nach innen ist vermutlich der, dass ich die Menschen nicht verstehe und noch viel weniger mich selbst. Das geht auch vielen anderen Menschen so, nur mich nervt es einfach, ich habe keine Lust auf Entfremdung und Abstraktion. Also schreibe ich, um mein Leben zu Konkretheit zu bringen. Dadurch beruhigt es mich. Der Grund nach außen ist ebenfalls ein recht gängiger. Reinhard Mey hat mir gesagt, schlussendlich schreiben wir alle, um geliebt zu werden. Dem ist nichts hinzuzufügen, auch als vermeintlich düsterer und misanthropischer Schriftsteller geht es wahrhaftig nur darum. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass jeder mich gut oder toll finden muss, keineswegs, dafür sind mir Gegenmeinungen viel zu wichtig. Es geht vielmehr darum, sich zu öffnen, sein Inneres nach außen zu kehren, seinen vielen Komplexe und Unsicherheiten für jedermann ersichtlich aufzubereiten, sich ganz herzugeben. Ich schreibe also auch, damit ein paar Menschen, die vor langer Zeit beschlossen, mich nicht zu mögen, es sich vielleicht doch noch anders überlegen, eines Tages.

geliebterschmerz

Wenn dieses Interview nicht neugierig macht, weiß ich auch nicht mehr. Unter allen Kommentatoren werden bis zum 10.03. zwei signierte Exemplare von ,Geliebter Schmerz’ verlost. Schicksal und Losglück entscheiden!

Fotos von David Wonschewski: Masha Potempa

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