Erzählungen, Rezensionen
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Frédéric Valin – In kleinen Städten

Frédéric Valin ist ein deutscher Autor. Im Allgäu geboren, studierte er in Berlin Deutsche Literatur und Romanistik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Neben seiner Autorentätigkeit organisiert Valin Kulturveranstaltungen. Nach ,Randgruppenmitglied‘ ist ,In kleinen Städten‘ die zweite Sammlung von Erzählungen, die im Verbrecher Verlag erscheint.

Dörfliche Kulissen sind nicht selten nur zum Schein beschaulich. Oft genug ballt sich in kleinen Städten die ganze Niedertracht, die sich auf größerem Raum einfach besser verteilt. Frédéric Valin erzählt mit einem bewundernswert feinen Gespür für Sprache von Menschen, die im Abgelegenen ihr Dasein fristen, erzählt von Menschen, die durch gesellschaftliche Raster fallen, von lokalpolitischen Gemeinheiten und familiären Brüchen.

Als ich das erste Mal hier herausfuhr, zu meinem Bewerbungsgespräch, dachte ich noch, was es für eine mittelalterliche Idee ist, tausend Alten und geistig Behinderten ein Dorf mitten im Nirgendwo zu bauen als könne man sie der normalen Welt nicht zumuten. Heute weiß ich, dass es andersrum ist: Die normale Welt ist unzumutbar.

Der Protagonist der ersten Erzählung arbeitet als Pfleger in einer Behinderteneinrichtung. Er muss Sylvia wecken, Sylvia, mit dem Down-Syndrom und Epilepsie. Sylvia, die in diesem Heim abseits des alltäglichen Lebens vor sich hin existiert, zwar gut versorgt, aber doch weit entfernt davon, ein akzeptierter Teil der Gesellschaft zu sein. Harte Arbeit am Rande von Nirgendwo. Ein (ehemaliges) Paar fährt in den Urlaub an die Algarve, hat sich nichts zu sagen, sitzt täglich auf sonnenbeschienenen Terrassen und trinkt Sangria, trinkt Sekt, Bier und Wein.

Lea ist begabt darin, sich zu irren. Sie entscheidet sich schnell dazu, begeistert zu sein, sie macht aus jeder Laune ein Gefühl.

Er darf Europa nicht verlassen. Nach einem Zwischenfall in Amerika wird er dort in einer öffentlich einsehbaren Kartei als sex offender geführt. Weil er sich mit einer angeblich 15-jährigen aus einem Chatroom verabredet hat. Und während Lea die Tage regungslos im heißen Sand verbringt, fährt er ziellos durch die Gegend. Leer, aufgebraucht, irgendwie abgebrannt und ohne Freude. Da ist der Sohn, der seine trinkende Mutter in der kleinen Stadt besucht, in der er aufgewachsen ist, einer Stadt, die langsam verfällt, einer Stadt, der ihre Bewohner weglaufen. Leerstehende Einkaufszentren und abgebrochene Bauvorhaben prägen das Bild. Wieder einmal ist jemand gestorben, deswegen fährt er hin.

Besonderen Eindruck hinterlässt der Monolog des Trinkers, der, irgendwo in Paris an seinem Wein nippend, drauflosplaudert, ohne dass der Gesprächspartner einmal zu Wort kommt. Ein Monolog über die verschiedenen Ausprägungen krankhaften Trinkverhaltens, über den schönen Schein einer Stadt wie Paris, die ohne Zweifel eine Stadt der Kriege, eine Stadt der Zerstörung ist. Eine Stadt, in der man zynisch werden muss.

Ja, sehen Sie, es gibt doch im Grunde nur zwei Richtungen, in die man sich entwickeln kann, wenn man älter wird. Es handelt sich hierbei gewissermaßen um die Pole, in Richtung derer man sich noch zu bewegen die Wahl hat: Sentimentalität ist der eine, der andere Zynismus. Ich dachte lange, ich würde gerne – wenn überhaupt! – zynisch werden, aber dazu braucht es Intelligenz und Scharfsinn. Und selbst wenn man klug genug ist, ist Zynismus doch nur selten unterhaltsam. Zyniker sein ist anstrengend, immer braucht man Publikum, weil nur dessen Lachen verhindern kann, dass man ganz und gar sauer wird. Na, und selbst wenn man Erfolg hat mit seiner Bitterkeit, fühlt man sich doch immer verlassen unter den Menschen. Für den Zyniker gibt es seinesgleichen nicht.

Ende des Erzählbandes bildet die Erzählung um den aus dem Amt scheidenden Oberbürgermeister Hasenrieder, einen Mann der schwäbischen Provinz, durchtrieben, korrupt und erzkonservativ. Mit einem Humor und einem Blick für das Treiben hinter den Kulissen demontiert Frédéric Valin diesen provinziellen Würdenträger so gekonnt, dass die Lektüre eine helle Freude ist. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Valin eine Entdeckung ist, die jeder machen sollte, der an feinsinniger, subtiler und sprachlich ausgefeilter Literatur Interesse hat. Zwar springt einem in jeder Geschichte, ja, auf jeder Seite die Einsamkeit der Erzählenden entgegen, die fehlende Verbindung zu ihrer Außenwelt und den Menschen in ihr,  … andererseits ist dieses Gefühl der Vereinzelung und Isolation gewissermaßen schon literarisches Leitmotiv einer Generation.

In mir ist eine leichte Traurigkeit, ich würde gern weinen, aber es fehlt der Anlass.

Erzählungen, die mal bitterböse sind, mal tieftraurig, mal schicksalsergeben und mal erheiternd. Das Lesen lohnt!

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