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Berthoud & Elderkin – Die Romantherapie

Bücher können Leben retten. Eine These, die jeder Literaturliebhaber unumwunden und überzeugt von ihrer Richtigkeit bestätigen dürfte. Von leichten körperlichen Beschwerden über psychische Dilemmata und ernstzunehmende Ausfallerscheinungen – es gibt wohl immer ein Buch, in dem es jemandem ähnlich ergeht, eine Geschichte, in der jemand das Leiden überwindet, das einen selbst quält. Darin liegen Macht und Kraft der Literatur. Im Insel Verlag (in der Übersetzung von Katja Bendels und Kirsten Riesselmann) erschien letztes Jahr ,Die Romantherapie‘, eine herrliche Zusammenstellung literarischer Empfehlungen für alle nur denkbaren Beschwerden, von Alkohol – und Spielsucht über angestoßene Zehen, Hämorrhoiden und schlechten Geschmack. Ella Berthoud und Susan Elderkin studierten zusammen an der Universität Cambridge Literatur und empfahlen sich schon zur damaligen Zeit gegenseitig Romane. Heute widmet sich eine von beiden der Kunst, die andere dem Schreiben. Dennoch bieten sie seit 2008 immernoch gemeinsam an der Londoner School of Life Bibliotherapiesitzungen an.

Wenn das Leben die Größe Ihres Schreibtischs angenommen hat und Sie nichts anderes mehr tun als Deadlines zu halten, Erledigtes abzuhaken und sich, allzeit bereit für den nächsten Tag, in die stabile Seitenlage begeben, müssen Sie Ihre verdorrte Seele dringend mit etwas äußerst Einfachem, Rustikalem und Überschaubarem befeuchten.

Es gibt vielerlei Gebrechen auf dieser Welt, selbstgemachte, selbstgewählte und selbsterdachte, aber auch solche, die völlig ungefragt über uns hereinbrechen. Solche, die zum Leben gehören und solche, die nur wenige von uns erleben und erleiden. Und da Literatur trotz all ihrer Magie doch immernoch etwas Menschengemachtes ist, wimmelt es in ihr auch nur so von menschlichen Problemen, Nöten, Sorgen und Empfindungen. Mit lieblichem Charme und ansteckendem Humor nehmen Ella Berthoud und Susan Elderkin (in Zusammenarbeit mit Traudl Bünger) uns mit auf die Reise in die so vielfältige Welt der Literatur. Die lexikonartigen Einträge sind immer wieder von kurzen Listen unterbrochen. Bücher für lange Zugfahrten, Bücher für das Aufwachen aus einem Albtraum, Bücher für Menschen, die sich aus ihrer Wohnung ausgesperrt haben und geduldig der Ankunft des Schlüsseldienstes harren, Bücher zum Senken von Bluthochdruck und Bücher für alle, die (sehr) traurig sind.

DSCN6219Im Besonderen widmen sich beide Autorinnen dieses literarischen Leitfadens zur Selbsthilfe gegen die Widrigkeiten menschlicher Existenz auch den Nöten des Lesers. Den Leseleiden, die sich vielgestalt äußern können. Zu wenig Zeit zum Lesen. Zu wenig Zeit zum Leben (wegen des Lesens), Angst ein Buch zu beenden oder anzufangen, verzweifeltes Bemühen, belesen zu wirken, zwanghafte Buchkäufe oder auch übertrieben Ehrfurcht vor dem Buch als Objekt.

Manche schaffen es nicht, die Seite umzublättern. Andere können kein Buch offen umgedreht hinlegen. Wieder andere haben Angst davor, einen Fleck auf den Rand zu machen. Kommen Sie darüber weg. Bücher sind da, um ihre Welt mit Ihnen zu teilen, und nicht,um als schöne Gegenstände für irgendeinen zukünftigen Tag geschont zu werden. Wir bitten Sie inständig, immer, wenn Sie Lust dazu bekommen, die Seiten ihrer Bücher zu knicken und zu bekritzeln.

Dieses bezaubernde Buch ist nicht nur eine Liebeserklärung an die Literatur, sondern eine unerschöpfliche Fundgrube guter Ideen, ein ansteckender Aufruf zum Lesen und Versenken in Geschichten, die oftmals viel mehr mit der Wirklichkeit zu tun haben als der Unkundige gemeinhin annehmen mag. Sooft heißt es doch, Literatur sei Eskapismus, die innige Liebe zur Literatur nur ein Ausdruck von Wirklichkeitsflucht. Ella Berthoud und Susan Elderkin beweisen das Gegenteil! Literatur kann heilen, weil wir uns selbst in ihr erblicken können.

Lesen bedeutet für mich nicht nur, eine Vorstellung von dem zu bekommen, was der Autor mir sagen will, sondern auch, mit ihm auf eine Reise zu gehen.”

André Gide

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