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Jochen Rausch – Krieg

Jochen Rausch ist ein deutscher Autor, Musiker und Journalist. In den 80er Jahren war er für den Westdeutschen Rundfunk tätig, seit 2000 ist er Wellenchef des Hörfunkprogramms von 1live. Sein Debütroman Restlicht erschien 2008, 2011 die Kurzgeschichtensammlung Trieb. Sie erschienen,wie auch sein neuester Roman, im Berlin Verlag.

Eine abgelegene Hütte hoch in den Bergen, Schnee, widrige Wetterverhältnisse, graue Wolken, ein Mann und ein Hund. Aus diesen Bestandteilen setzt sich zunächst die Kulisse von Jochen Rauschs neuem Roman zusammen. Auf den ersten Seiten sammelt sich bereits eine Beklemmung, die fast mit Händen zu greifen, eine Einsamkeit, die schmerzlich zu spüren ist. Arnold Steins hat sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, lebt in Isolation und Vergangenheit, die einander bedingen.

In den Nächten hört er Schüsse, wenn es denn Schüsse sind. Manchmal hört er auch Schreie. Aber wenn Arnold die Tür aufzieht, nicht weiter als einen Spalt nur, dann sind da nichts als die Dunkelheit und das Rauschen des Waldes, das harmlose Gluckern des Bachs und ein gelegentliches Knacken im Geäst. Hin und wieder schwingt sich ein Vogel auf und schlägt mit den Flügeln. Seit Arnold auf dem Berg ist, verging nicht eine Nacht ohne Schüsse und Schreie.

Wie viele Menschen hat Arnold Steins sich in die Einsamkeit geflüchtet, um zu vergessen. Und wie viele Menschen erlebt er genau durch dieses Zurückgeworfensein auf sich selbst ein fatales Abgleiten in seine Erinnerungen. Sein Sohn Chris hat sich vor einigen Monaten dazu entschlossen, Berufssoldat zu werden. Freiwillig in ein Kriegsgebiet zu gehen. Zu ,den Männern mit den Bärten‘, wie er seinem Vater in den E-Mails aus dem Lager schreibt. Aus Afghanistan vermutlich. Alle verzweifelten Versuche, den Sohn doch zu einem Studium oder wenigstens dem Verbleib in Deutschland zu überreden, bleiben fruchtlos. Er wird schon heil zurückkommen, sagen sich alle.

Zwei Wochen später mailte der Junge ein Foto. Chris im Kampfanzug. Er hockt auf einem Klappstuhl. Auf seinen Knien ein Helm mit Sprechfunkapparatur. An seinem Gürtel hängt eine Handgranate. Am Stuhl lehnt ein Gewehr. Die Stiefel des Jungen sind staubbedeckt. Hinter Chris erhebt sich ein gewaltiges, nacktes Gebirge aus braunen und grauen Felsen. Die deutsche Fahne flattert am Mast, und die Abendsonne schimmert einen rötlichen Glanz auf sein Gesicht.

Kaum ist Chris aufgebrochen, befinden seine Eltern sich im Ausnahmezustand. Arnold hört einen permanenten Pfeifton, Karen, seine Frau, beginnt in beunruhigend großen Mengen Cognac zu trinken. Er riecht es, aber sagt nichts. Jeder muss auf seine Art mit dieser Folter zurechtkommen, jeden Tag könnte jemand kommen, begleitet von einem betroffen dreinblickenden Geistlichen. Jeden Tag könnte jemand die Todesnachricht überbringen. Als es dann tatsächlich passiert, nur wenige Wochen vor Chris’ geplanter Rückkehr, fallen Arnold und Karen in eine Art Schockstarre. Als kurze Zeit später auch Karen stirbt, geht Arnold in die Berge.

Jochen Rauschs Roman spielt sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Sowohl die Entscheidung seines Sohnes als auch Arnolds Rückzug in die Berge werden von Rausch intensiv geschildert. Und je näher beide Erzählstränge sich kommen, desto mehr verschwimmen sie. Arnolds Hund wird mit einem Bolzen angeschossen, in seine Hütte wird eingebrochen. Bedroht ihn dort, in der Einöde dieser Berghütte, tatsächlich ein Wahnsinniger? Arnold befindet sich, so glaubt er immer mehr, im Kriegszustand gegen einen Unbekannten. Und dabei womöglich viel mehr im Krieg gegen sich selbst und seine Erinnerungen, die er nicht loslassen kann.

Die Mülltonnen in Reih und Glied, nach Farben sortiert. Die Autos unter den Carports. Alles perfekt. Alles wie immer. All das, was an Bösem geschieht auf der Welt, geschieht an anderen Orten und nicht an einem wie diesem.

In einer nüchternen, schnörkellosen und dadurch nur umso eindringlicheren Sprache beschreibt Jochen Rausch das Schicksal derer, die zurückbleiben, ebenso Opfer des Krieges, indirekte, weit entfernte. Er beschreibt den Kampfzustand, in dem sich ein jeder befindet, der schwere Verluste verkraften, Unbegreifliches begreifen muss. Ein Roman, der nachdenklich stimmt, der den Leser in diese Abgeschiedenheit hineinzieht, in der Vergangenheit und Gegenwart ineinander verlaufen. Kommt das Ende des Romans auch mit der Brechstange – und hätte es da eines filigraneren Instruments bedurft – ist und bleibt die Lektüre ein wirkmächtiges und intensives Leseerlebnis!

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