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Kathrin Aehnlich – Wenn die Wale an Land gehen

Kathrin Aehnlich ist eine deutsche Autorin. Sie studierte 1985-1988 am deutschen Literaturinstitut Leipzig, nachdem sie drei Jahre in einem Baubetrieb gearbeitet hatte. Nach dem Fall der Mauer schrieb sie als freie Journalistin für eine unabhängige Wochenzeitung, seit 1992 ist sie beim MDR beschäftigt. Ihr letzter Roman ,Alle sterben, auch die Löffelstöre‘ gilt heute als beliebte Schullektüre. ,Wenn die Wale an Land gehen‘ erschien kürzlich im Kunstmann Verlag.

Bücher über die DDR gibt es viele. Sie reichen von der Schilderung eher amüsanter Alltagsanekdoten mit MuFuTi (Multifunktionstisch) bishin zu authentischen und schwerverdaulichen Berichten über das Leben im Überwachungsstaat. Kathrin Aehnlich gelingt in ihrem Roman die Verqickung beider Betrachtungsweisen, was ihn diesen Herbst ohne Frage zu einem der ganz Großen macht. Nicht zuletzt weiß Kathrin Aehnlich ganz genau, wovon sie redet, wenn wir Roswitha, die Protagonistin ihres Buches, kennenlernen.

Ich befinde mich auf einer Scheidungsreise? Was war eigentlich das Gegenteil von Honeymoon? “The dark side of the moon?”

Roswitha ist auf dem Weg nach Amerika, frisch geschieden von ihrem Mann Wladimir. (nur mit Mühe und vielen Diskussionen konnte das an Lenin gemahnende Iljitsch bei der Namensgebung noch abgewendet werden) Sie ist auf der Suche nach ihrer ersten großen Liebe, nach ihrem Freund Mick, den sie bald nach Beendigung des Studiums in der DDR aus den Augen verloren hat. Amerika war immer sein Traum gewesen,in unregelmäßigen Abständen hatte Roswitha Postkarten aus New York erhalten, oft nur mit einem einzigen bedeutungsschwangeren Satz. Nun ist sie auf dem Weg zu dem Lebenskünstler, dem damals die Musik, vornehmlich Janis Joplin und der Kampf gegen das System über alles ging.

Im Zuge dieser Suche, denn weder weiß sie genau, wo Mick, der eigentlich Michael Stein heißt, wohnt, noch hat sie ihren Besuch angekündigt, lässt sie ihre Jugend und ihr Erwachsenwerden in der DDR revue passieren. Zusammengetrieben wie eine Herde Vieh, wie die ,Lemminge’, wie Mick immer sagte, führen sie ein ideologisch-überladenes Leben, völlig frei von Überraschungen, auf einem Lebensweg befindlich, der, wie alles in der DDR, geplant und festgeschrieben ist.

Was sie nicht ahnten: Das Grauen im Sozialismus war die Langeweile gewesen, die Berechenbarkeit des bevorstehenden Lebens. Schon bei der Immatrikulation stand für Roswitha fest, dass für sie nach dem Studium eine Arbeitsstelle im volkseigenen Kombinat bereitstand, die sie bis an ihr Lebensende behalten würde. Dazu kamen ein kleinbürgerliches Familienleben und Urlaubsreisen, die sich in einem vorgegebenen Radius abspielten. Der Alltag im Land der Lemminge war überschaubar. (…) Als “Sieger der Geschichte” waren sie angetreten, die Besten der ganzen Welt zu werden und bewiesen sich ihre Überlegenheit in Wettbewerben, die eigens geschaffen worden waren, um die Langeweile erträglich zu machen.

Dieser Überschaubarkeit versuchen Roswitha, Mick, Zappa (angesichts seines Vornamens Frank schien kein anderer Kosename für ihn in Betracht zu kommen), die Zappamutter und Frau Pulver, Barkeeperin in der Studentenkneipe und rettungslos verliebt in die Bretter, die die Welt bedeuten, Einhalt zu gebieten. Sie führen kritische Rockopern auf, sitzen bis spät in die Nacht bei allerlei Spirituosen vor dem Fernseher und hören die Rolling Stones, Pink Floyd – und natürlich Janis. Sie träumen von einer Welt außerhalb, einer Grenzenlosigkeit, die unerreichbar scheint. Aber auch diese jugendliche Leidenschaft findet mit dem Eintritt ins Erwachsenenleben, mit dem Auftauchen der “Handwerker”, mit einem zu frühen Tod ein jähes Ende.

Parallel dazu durchstreift Roswitha New York im Heute. Unterstützt wird sie dabei von ehemaligen Wegbegleitern Micks, die überraschenderweise alle bereits von ihr wissen, ja den Eindruck erwecken als hätten sie seit Jahren nur auf sie gewartet wie auf die Ankunft des Regens nach langer Dürre. Kathrin Aehnlich hat einen Roman voll tiefgründigen Witzes, eine authentische Geschichte geschrieben, in der eigentlich alles stimmt. Wie ein Wal, durch Verheißungen angelockt oder doch gänzlich freiwillig, ist Roswitha nun in einem Leben gestrandet, das sie neu ordnen muss. Und Kathrin Aehnlich beschreibt diese Neuordnung mit einem so leichten und unbeschwerten Tonfall, dass es eine große Freude ist, dabei sein zu dürfen. Trotz dieser Leichtigkeit beweist Aehnlich aber auch ein sehr feines Gespür für die Schattenseiten, für die traurigen, die tragischen Momente. Keinesfalls hat man es hier mit einem verklärenden Buch über die DDR zu tun. Es ist ein Lebensbericht voll liebenswürdiger Charaktere, die auch noch über das Zuklappen des Buches hinaus so ansteckend lebendig bleiben!

“Dieser 9.November ist ein historischer Tag. Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen.” Roswitha lief mit dem Bügeleisen in der Hand auf den Fernseher zu, wurde aber abrupt gebremst, weil die Schnur noch in der Steckdose steckte. Auf den Fernsehbildern warteten die Menschen vor den Grenzübergängen auf Einlass in die neue Welt.

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