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[5 lesen 20] Ralph Dutli – Soutines letzte Fahrt

Ralph Dutli ist ein Schweizer Lyriker, Essayist, Übersetzer und Autor. Er studierte Romanistik und Russistik in Zürich und Paris und wurde zunächst als Übersetzer und Herausgeber der Werke Ossip Mandelstams, einem russischen Dichter, bekannt. Schrieb Dutli bisher eher poetologische Abhandlungen oder literatur – und kunsthistorische Essays, legt er mit ‘Soutines letzte Fahrt‘ nun seinen ersten Roman vor, der gewissermaßen verschiedene seiner Themen vor dem Hintergrund des Malers Chaim Soutine verbindet. Der Roman erschien im Wallstein Verlag und steht mit neunzehn anderen Romanen auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2013.

Verglichen mit seinen Wegbegleitern Picasso, Chagall oder Modigliani ist Soutine eher ein Maler, der seine Spuren weniger nachhaltig in den Boden der Kunsthistorie geprägt hat. Kennern ist er freilich ein Begriff, sind seine Gemälde sich windender Landschaften und unproportionierter Modelle wohl bekannt. Der Laie aber dürfte mit Dutlis Roman zum ersten Mal von diesem schweigsamen, weißrussischen Maler hören, der in den späten 20ern in Paris, in der flirrenden Atmosphäre von Montparnasse tatsächlich mit seinen Bildern perspektivischer Verzerrung zu beachtlicher Berühmtheit gelangte. Als Sohn eines Flickschneiders 1893 in Smilavichy, einem rund 400-Seelen-Dorf nahe Minsk, geboren, war die Malerei schon früh eine seiner Leidenschaften, die jedoch auf wenig Unterstützung seitens seiner Familie stieß.

Schon früh zeichnet er, jeder Fetzen Papier ist eine neue Versuchung, er macht rasche Skizzen, wenn er allein ist, den Blick immer wieder ängstlich auf die Tür gerichtet, ob nicht plötzlich jemand eintritt, ihm den Fetzen aus der Hand reißt und ihn verprügelt. Er bemalt die Wände der Kellertreppe mit Holzkohle. Auch dafür gibt es Schläge.

Die Handlung setzt nun im August 1943 ein, in dem Soutine, mit einem Magendurchbruch und schon kaum noch ansprechbar, in einen Leichenwagen verladen und nach Paris gefahren wird, um dort operiert zu werden. Nicht auf direkter Strecke, denn das Land ist noch immer von den Deutschen besetzt, sondern über unwegsame Pfade um jeden Kontrollposten herum, da Soutine bereits einige Zeit wegen seiner jüdischen Abstammung von der Gestapo gesucht wird. Schon seit Jahren bereitet ihm sein Magengeschwür unsägliche Schmerzen, die jetzt, wo er unter einem weißen Tuch im Leichenwagen um sein Überleben kämpft, nahezu unaushaltbar werden. Nur das Morphium, das ihm vor Beginn der Reise verabreicht wird, vermag die Schmerzen noch zu lindern. Mit ihm fährt Marie-Berthe Auranche, ehemalige Geliebte und Muse vieler Surrealisten, darunter Max Ernst.

soutine

Chaim Soutine v.l. Carcass Of Beef, The Floor Waiter, Landscape at Cagnes

O ja, es gibt immer so etwas wie eine Heilung. Von allem. Und wenn sie Exitus heißt.

Unter dem Einfluss des Morphiums und bedingt durch das hohe, vom Magendurchbruch verursachte Fieber beginnt Chaim Soutine zu fantasieren, in eine Traumwelt abzugleiten, in der sich Erscheinungen und reale Begebenheiten, Einbildung und Erinnerung zu einem mitunter beängstigenden Gemisch vermengen. So fantasiert er von seiner Ankunft in Paris, von seinen Trinkgelagen mit dem todkranken und tuberkulösen Frauenheld Modigliani, vom tragischen Selbstmord seiner schwangeren Freundin Jeanne Hébuterne. Ein bisschen auch vom aufdringlich geschwätzigen Henry Miller, von seinem großen Vorbild Rembrandt. In seine Halluzinationen verfolgen ihn auch alle Bilder, die er in Anfällen von Tobsucht und Jähzorn auf verschiedenste Art vernichtete.

Nichts als dumpfe Traurigkeit und Leere. Im Feuerritual war mehr wütender Triumph: das Hervorzerren der Leinwände, die Fäuste am Rahmen festgekrallt, das Hineinschleudern in den rauchenden, schlecht ziehenden Kamin, das Auflodern, wenn die Flammen das Öl geleckt hatten. Keiner hat mehr Bilder zerstört als er, keiner.

Und so bezeichnet der, der den Ruf “des unglücklichsten Malers von Paris” genießt, sich auch häufig ganz zur Entrüstung aller Umstehenden als “Mörder seiner Bilder”. Wenn er denn überhaupt redet. Soutine ist schüchtern, ängstlich. Hat nichts von seinen extrovertierten und dandyhaften Wegbegleitern. Weil Milch und Bismutpulver die einzigen Mittel sind, die gegen seine bohrenden Magenschmerzen noch zu helfen vermögen, fantasiert er sich im Leichenwagen in ein gänzlich weißes Paradies, in dem er zwar schmerzfrei, es ihm aber streng verboten ist, jemals wieder zu malen.

Ralph Dutli glückt mit diesem Roman eine meisterhafte Verquickung von kunsthistorischen Tatsachen und Fiktion. In eindringlicher Sprache breitet er das Leben – und gleichzeitig gewissermaßen auch das Sterben – Chaim Soutines vor uns aus. Im Vordergrund steht zwar der weißrussische Maler, doch im Hintergrund spielen sich allerlei historische und künstlerische Bedeutsamkeiten ab, die seine Erlebnisse plastisch und authentisch in diesen uns wohlbekannten geschichtlichen Ablauf betten. Das Leben vieler Künstler war von Hunger und Armut geprägt, mit der Machtübernahme Hitlers vielfach auch von einem Kampf ums nackte Überleben. Dieser Roman lässt uns in die Geschichte eintauchen und eine hervorragend ausgefeilte Sprache genießen. Dutli gibt diesem geplagten Maler mit seinen Worten ein Gesicht, weckt Interesse an seiner Kunst. Viel mehr kann man von einem guten Roman, der sich realer Personen und Geschehnisse bedient, eigentlich gar nicht erwarten. Chapeau, Herr Dutli!

Jeder Verrat ruft nach einem weiteren Verrat, jede Verletzung erzeugt eine neue, nächste. So bleibt die Erde am Drehen.

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