Graphic Novel
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Guy Delisle – Pjöngjang

pjöngjang

Guy Delisle ist ein kanadischer Comiczeichner. Er studierte Kunst am Sheridan College in Toronto und arbeitete nach seinem Abschluss bei einem Animationsstudio. Er ist bekannt für seine dokumentarischen Comics, die ihn bereits nach Shenzen, Pjöngjang, Birma und eben Jerusalem geführt haben. Für Aufzeichnungen aus Jerusalem wurde er auf dem Internationalen Comic-Festival Angoulême 2012 mit dem Preis für das beste Album ausgezeichnet. Delisles Comics erscheinen im Reprodukt Verlag.

Schon durch Adam Johnsons Das geraubte Leben des Waisen Jun Do ist Nordkorea wieder mehr in den Fokus der literarischen Welt gerückt. 2003 verbrachte Guy Delisle zwei Monate als Supervisor für eine Trickfilmproduktion in der Hauptstadt eines der bizarrsten Länder der Welt. Seine Erfahrungen hat er in diesem Comic festgehalten, das an seine Erfahrungen in Shenzhen, China, anschließt. Was auch immer wir von Nordkorea zu wissen glauben, wir erfahren es immer aus zweiter oder dritter Hand. Delisle gelingt es, mit seinen einfachen und bisweilen metaphorischen Bildern einen Einblick zu gewähren, den eine lediglich geschriebene Dokumentation der Erlebnisse nicht leisten könnte.

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Bereits bei seiner Ankunft wird er durchsucht und befragt, mit einem langen Katalog an Verhaltensregeln konfrontiert, denen er unbedingt Folge zu leisten habe. Führen Sie Medikamente mit oder Trinken Sie kein Leitungswasser sind da noch die harmloseren Empfehlungen. Das Mitführen eines Handys ist untersagt, genauso wie Radios. Es ist verboten, allein etwas zu unternehmen, stets muss man von einem Führer und einem Dolmetscher – oder wenigstens einem von beiden – begleitet werden. Trinkgeld ist verboten, keine Witze über den großen Führer – das versteht sich von selbst. Bei seiner Ankunft werden Delisle Blumen geschenkt, die freilich nicht für ihn bestimmt sind, sondern für die Niederlegung vor der zweiundzwanzig Meter hohen Bronzestatue Kim-Il Sungs.

pjoengjang_7Nordkorea ist ein Land, in dem die Propaganda Realität geworden ist. An jeder Wand hängen Bilder Kim-Il Sungs und Kim-Jong Ils. Jeder Bewohner Pjöngjangs trägt am Revers eine kleine Anstecknadel, die einen der beiden Diktatoren zeigt – oder gar beide. Immer wieder fallen Delisle Menschen in der Stadt auf, die scheinbar sinnlose Tätigkeiten verrichten. Eine Autobahn mit dem Besen reinigen, den Rasen mit der Sense stutzen oder eine Brücke zur Hälfte ultramarin anstreichen. “Freiwillige” sind sie, sagt man. Hier und da werden sie bei ihrer Arbeit mit Propagandaliedern und Parolen beschallt. Die Nordkoreaner verneigen sich in Demut und Dankbarkeit vor dem Großen Führer. Zwar besitzt Pjöngjang ein Kino, jedoch werden dort ausschließlich Filme gezeigt, die Propagandazwecken dienen und die Gräueltaten der Japaner oder Amerikaner und den Heldenmut der Koreaner thematisieren. Viele sind tief davon berührt, immer wieder. Wer sich einmal die Szenen angesehen hat, die sich nach dem Tod Kim-Il Sungs auf den Straßen abspielten, muss unweigerlich zu derselben Frage gelangen, die auch Delisle immer wieder auf der Zunge brennt ..

Glauben sie selbst an diesen ganzen Schwachsinn, den man ihnen auftischt? Im Museum der Freundschaft, das paranoiderweise in einen Berg hineingebaut worden ist, besichtigt Delisle zahlreiche Exponate aus dem Ausland. Geschenke an den Großen Führer, Zeitungsartikel über den Großen Führer. Sieht man all das ohne Hintergedanken, könnte man glauben, was die nordkoreanische Führung ihrem Volk seit Jahrzehnten als die Wahrheit zu verkaufen sucht. Nordkorea ist eine der stärksten und stolzesten Nationen der Welt – und der Rest der Welt sieht das ganz genauso.

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Trotzdem in den Zeichnungen und Beobachtungen Delisles immer wieder sein ganz besonderer Humor mitschwingt, bleibt Pjöngjang ein beklemmendes Zeugnis politischer Verblendung und Machtmissbrauchs nahezu unerträglichen Ausmaßes. Die Straßen sind gespenstisch leer, jeder kennt seine Rolle, weiß um sein Ziel. Dem Großen Führer und der Nation zu dienen. Jeder Bürger ein Aufziehpüppchen in einem Spiel, das er nicht durchschaut. Delisle zeigt sich hier erneut als grandioser Beobachter, der uns ein Stück dieses Landes zeigt und es damit erfahrbarer für uns macht. Mitnichten verständlicher. Aber wir haben den Eindruck, etwas mehr gesehen, den Menschen dort ein kleines Stückchen nähergerückt zu sein. Nordkorea ist ein unumstößlicher Beweis für die Macht von Propaganda.

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