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Amy Waldman – Der amerikanische Architekt

Waldman

Amy Waldman ist eine amerikanische Autorin und Journalistin. Sie arbeitete lange bei der New York Times, leitete dort das Südasien-Büro und war Korrespondentin für The Atlantic. Der amerikanische Architekt ist ihr Romandebüt, erschien im Verlag Schöffling & Co und wurde von Brigitte Walitzek ins Deutsche übersetzt. Amy Waldman arbeitet bereits an ihrem zweiten Roman.

Ich habe selten einen so dichten, psychologisch raffinierten und durchdachten Roman gelesen. Man merkt Amy Waldman an, dass sie aus dem Journalismus kommt, ihre Charaktere sind realistisch, die Geschichte perspektivenreich. Wie ein Potpourri aus Eindrücken und Meinungen erscheint der Roman, verwebt  zu einer beeindruckenden Studie Amerikas und seiner Bewohner nach dem 11.September 2001. Ausgangssituation der Geschichte ist die Planung einer Gedenkstätte, die zu Ehren der Opfer des 11.Septembers gebaut werden soll. Man hat die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, sich mit ihren Entwürfen anonym an der Ausschreibung zu beteiligen. Die New Yorker spüren, dass der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.

Aber es gab auch patriotische Erwägungen. Je länger das Gelände ungenutzt blieb, desto mehr wurde es zum Symbol der Niederlage, der Kapitulation, etwas, worüber “sie”, wer immer “sie” sein mochten, sich lustig machen konnten. Eine Erinnerung daran, dass Amerika einen Teil seiner Größe eingebüßt hatte, und an seine neue Anfälligkeit für Angriffe fanatischer Banden, die in jeder Hinsicht, außer, wenn es um Mord ging, nur Mittelmaß waren.

Eine Jury würde sich, nach Sichtung der Einsendungen, für einen Gewinner entscheiden. Erst dann wird das Geheimnis um dessen Identität gelüftet – und genau an dieser Stelle setzt Amy Waldmans kleines Gedankenexperiment an. Denn es ist keineswegs ein durchschnittlicher amerikanischer Bürger, es ist ein Mann namens Mohammad Khan. Offensichtlich ist er Muslim, möglicherweise sogar ein praktizierender, ein Anhänger des Glaubens, der direkt in das Herz Amerikas zielte, hinein in das Selbstverständnis eines ganzen Landes. Die Jury ist schockiert und beginnt, hitzig zu diskutieren, ob sie diesen Gewinner überhaupt bekanntgeben kann, ohne Tausende von Angehörige vor den Kopf zu stoßen.

Einigen der Jurymitglieder kommen wir näher, so beispielsweise Claire Burwell, die bei den Anschlägen ihren Ehemann verloren hat und seitdem ihre zwei Kinder allein großzieht. Sie sitzt als Vertretrin der Angehörigen in der Jury und ist zunächst von dem Siegerentwurf auch völlig begeistert. Ein Garten soll es sein, ein Werden und Vergehen, ein Monument, das der Pflege bedarf, genauso, wie die Erinnerung an die Opfer stete Aufgabe der Hinterbliebenen sein sollte.

Das Konzept des Gartens war denkbar einfach: ein von Mauern eingefasster quadratischer , streng geometrisch untergliederter Raum. In der Mitte lud ein etwas erhöhter Pavillon zur Besinnung ein. Zwei breite, rechtwinklig aufeinandertreffende Kanäle viertelten das sechs Hektar große Gelände. Gehwege innerhalb der vier Quadranten bildeten zusammen mit den Bäumen, den echten und denen aus Stahl, die wie in einer Baumschule in Reih und Glied ausgerichtet waren, ein Raster. Die Namen der Opfer sollten auf den Innenflächen der weißen, neun Meter hohen Umfassungsmauer aufgelistet werden, so angeordnet, dass das Textfeld den Umriss der zerstörten Gebäude ergab.

Die Jury verabredet Stillschweigen über das Ergebnis, bis sie die Situation geklärt haben, doch man kann sich vorstellen, dass diese Abmachung schnell von jemandem unterlaufen wird. Alyssa Spier, eine Reporterin der Couleur, wie sie hierzulande vermutlich die BILD-Zeitung beschäftigt, ist eine junge Frau mit Komplexen, eine Frau mit dem unbedingten Wunsch, ihre Geschichten auf den Titelblättern zu sehen, dafür bedient sie sich jedes noch so streitbaren Verhaltens. Sie wird diejenige sein, die zuerst die Juryentscheidung an die Öffentlichkeit bringt und innerhalb des Romans begegnet man ihr immer wieder, wenn die Situationen wiederholt eskalieren. Sie ist der Zunder, sie facht die Emotionen immer weiter an, bis selbst ihr die Geschnisse entgleiten. Doch auch in Mohammad Khans leben gewährt Waldman uns Einblick, in das Leben eines ambitionierten jungen Architekten, der, in Amerika geboren und aufgewachsen, mitnichten praktizierender Muslim ist, der dem Glauben keinen großen Stellenwert in seinem Leben einräumt. Dennoch wird er, auch nach 9/11, mit völlig anderen Augen gesehen, besonders an Flughäfen.

“Lieben Sie dieses Land, Mohammad?”
“So wie Sie auch.” Die Antwort schien ihnen nicht zu gefallen.
“Welche Einstellung haben Sie zum Dschihad?”
“Gar keine.”
“Vielleicht könnten Sie uns zumindest sagen, was Dschihad bedeutet. Mein Kollege hier ist nicht so gut in Fremdsprachen.”
“Ich weiß nicht, was Dschihad bedeutet. Ich habe den Ausdruck noch nie benutzt.”

Amy Waldmans Roman ist vielschichtig. Einer seiner großen Qualitäten ist es, aus vielen verschiedenen Perspektiven auf das “Problem” zu blicken. So erfährt man nicht nur über das Leben einiger Jurymitglieder und kann sich auf dieser Basis seine eigenen Gedanken darüber machen, wie sie zu ihrer Meinung gelangen, wir sehen auch Menschen, die sich an der Katastrophe zu bereichern versuchen, die ihre persönlichen Eitelkeiten innerhalb der Debatte befriedigen, wir erleben die Menschen, die unmittelbar von den Feindseligkeiten betroffen sind – und so setzt sich nach und nach ein vollkommen realistisches Universum zusammen, dem wir zweifellos zusprechen, mindestens ebenso wahrscheinlich zu sein wie das, was tatsächlich passierte.

Sind es zunächst nur böse Worte, steigert sich die Gewalt, je intensiver und persönlicher die Debatten werden. Es kommt zu tätlichen Angriffen, Beschimpfungen und Demonstrationen. Und man fragt sich fortwährend: Was hättest du gedacht? Wie hättest du gehandelt? Einige der vertretenen Meinungen machen mich wütend, lassen mich nur fassungslos mit dem Kopf schütteln. Einen Menschen seines Namens wegen für die Verbrechen anderer derselben Herkunft verantwortlich zu machen, ist genauso simplifizierend, wie die Überzeugung, dass jeder Deutsche doch sicherlich tief in seinem Herzen noch immer ein alter Nazi sei. Und doch hat sich das Misstrauen gegenüber Muslimen (oder auch schlicht Menschen, die dem Aussehen nach welche sein könnten, da wird ja häufig nicht mehr so genau unterschieden) auch in Deutschland etabliert und bildet zu oft den Deckmantel für Alltagsrassismus.

Wem vertrauen wir und warum? – ist eine zentrale Frage des Romans. Weshalb misstraut man diesem Mohammad Khan, der sich niemals irgendetwas hat zuschulden kommen lassen? Allein wegen seines Namens? Wie gehen wir mit nationalen Katastrophen um und wie beeinflussen sie unsere Wahrnehmung? Ist Mohammads Entwurf anfangs nur ein Garten, wird er im Zuge der stetigen Interpretation von außen plötzlich zu einem Paradiesgarten für Märtyrer, zu der Verbildlichung dessen, was sich die Attentäter erträumten. Amy Waldmans Buch ist mutig, brilliant und psychologisch hochintelligent, mit Sicherheit eines der Highlights dieses Jahres! Auch der englische Titel regt aufgrund seiner Mehrdeutigkeit zum Nachdenken an – The Submission lautet er, was im Deutschen sowohl die Unterwerfung als auch die Einreichung bedeuten kann.

Hier ein Interview mit Amy Waldman.

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