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Adam Johnson – Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Jundo

Adam Johnson ist ein amerikanischer Autor. Er studierte Journalismus an der Arizona State University und schloss danach ein Schreibstudium ab, heute unterrichtet er an der Stanford University Creative Writing. The Orphan Master’s Son, wie der Originaltitel des hier vorgestellten Buches lautet, erschien in den USA 2012 und stieg schon nach wenigen Tagen in die Bestsellerlisten ein. Johnson erhielt bereits zahlreiche Preise und Stipedien.

Im Trailer des Buches heißt es beinahe geheimnisvoll: Das rätselhafteste Land der Welt – Nordkorea. Tatsächlich ist wohl kaum jemand von uns imstande, zu ermessen, wie ein Leben in Nordkorea aussehen muss, völlig abgeschnitten von westlicher Lebensart, separiert vom Rest der Welt. Nordkorea ist ein trauriges Überbleibsel sozialistischer Diktatur, ist das, was von Stalins Gulags und den Stasi-Gefängnissen der DDR übrig geblieben ist. Wenn ich an Nordkorea denke, muss ich mich immer unweigerlich an eine Dokumentation erinnern, die ich zwar bereits vor Jahren gesehen habe, deren beklemmendes Gefühl ich aber noch heute spüren kann. Ständige Überwachung, Hab-Acht-Stellung, Gleichschaltung, Kollektiverfahrung vor Individualität. Adam Johnson ist für die Recherche seines Buches nach Nordkorea gereist – und so gelingt es ihm auch, diese Beklemmung einzufangen, von der man nicht sicher ist, ob die Bewohner sie auch noch spüren. Oder ob die sich nicht vielmehr von der Fremdheit ausländischer Besucher bedroht fühlen.

Der Protagonist Pak Jun Do wächst in einem Waisenhaus auf, obwohl er kein Waisenkind ist. Sein Vater ist der Leiter des Waisenhauses, seine Mutter ist lange verschwunden. Ihm wird keine Sonderbehandlung zuteil und so bekommt er, wie alle anderen Waisenkinder, den Namen eines nordkoreanischen Märtyrers, der im Kampf gegen den Imperialismus fiel, bevor er selbst ein Kind in die Welt setzen konnte. Waisenkinder haben in Nordkorea einen schlechten Stand und werden für die gefährlichsten Aufgaben herangezogen. Nach einem Brand im Waisenhaus Frohe Zukunft wird Pak Jun Do dazu verpflichtet, gemeinsam mit Offizier So Japaner nach Nordkorea zu verschleppen. Entführungen wie diese hat es in den 70er Jahren tatsächlich gegeben, man wollte unter anderem an japanische Pässe herankommen, um Spione nach Japan schicken zu können, bzw. spezielles Wissen über das Leben in Japan in Erfahrung bringen.

Es war einmal ein Japaner. Er führte seinen Hund aus. Und dann war er weg, war nirgendwo. Für die Menschen, die ihn kannten, würde er für immer im Nirgendwo sein. So war es Jun Do früher immer mit den Jungen gegangen, die von den Männern mit chinesischem Akzent ausgesucht wurden. Eben waren sie noch da, und dann waren sie weg und verschwunden, wie Bo Song, im Nirgendwo. So dachte er über die meisten Menschen – sie tauchten in seinem Leben auf wie Findelkinder an der Türschwelle, nur um dann später wie von einer großen Flut weggespült zu werden.

Pak Jun Do wirkt bei den Entführungen mit, zwar nicht voller Überzeugung, aber auch nicht widerwillig. Was auch immer geschieht, sein Leben scheint stets in den Händen einer höheren Macht zu liegen. Nach einigen Entführungen wird er auf ein Fischerboot namens Junma abkommandiert, auf dem er den Funkverkehr der umliegenden Gewässer abhören soll. Er freundet sich mit der Mannschaft an, doch nachdem er den Zweiten Maat dabei beobachtete, wie er sich absetzt und nach der Rückkehr an Land gemeinsam mit seinen Kameraden der Lüge überführt wird – ja, für diese Lüge ließ er sich sogar den Arm von einem Haifisch zerfleischen -, kehrt er nicht an Bord der Junma zurück, sondern fliegt, auch aufgrund seiner Sprachkenntnisse, mit einigen Abgesandten nach Texas, um dort den amerikanischen Senator zu treffen.

Für uns hat die Geschichte größere Bedeutung als die Person. Wenn ein Mann nicht zu seiner Geschichte passt, dann ist es der Mann, der sich ändern muss.

Zurück aus Texas, wo Pak Jun Do so einige Dinge zum ersten Mal sieht, wird er in ein Gefangenenlager verbracht. Dort verliert sich seine Spur und das erste Drittel des Buches endet. Fortan wird die Geschichte aus der Sicht eines Verhörspezialisten aus Abteilung 42 erzählt. Der soll einen Mann verhören, der sich als Kommandant Ga ausgibt. (ein Volksheld und der angetraute Gatte der Volksschauspielerin Sun Moon) Der harte Teil des Buches beginnt, denn wir werden Zeuge von grausigen Verhörmethoden und tiefster menschlicher Verzweiflung.

Halten wir erst einmal die Biografie eines Klienten in der Hand, dann steht nichts mehr zwischen diesem Bürger und dem Staat. Das ist wahre Harmonie – das Prinzip, auf das unsere Nation gegründet ist. Zugegeben, manche unserer Klienten haben weit ausufernde Lebensgeschichten, deren Aufzeichnung Monate dauert. Doch wenn es etwas gibt, das in Nordkorea keine Mangelware ist, dann ist es Zeit: Wir haben alle Zeit der Welt.

Wir erfahren, was mit Pak Jun Do passiert ist, nachdem er das Straflanger betreten hat, wie es ihm gelungen ist, zu überleben, wie er eine neue Identität annehmen konnte und wie er seine große Liebe – die einzige, die er vermutlich jemals hatte – Sun Moon mithilfe eines gewagten Plans außer Landes bringt. Für immer. Die Geschichte wird rückwärts erzählt und als Leser wissen wir bereits, welchen Preis Pak Jun Do, alias Kommandant Ga, für diese Entscheidung zahlen muss. Diesen erzählerischen Kniff fand ich insofern sehr interessant, als er die Innenansichten eines weiteren Charakters ermöglicht, eines Menschen, der Rädchen innerhalb dieser diktatorischen Unterdrückungsmaschinerie ist.

Adam Johnson entzündet mit diesem Buch ein Feuerwerk. Ein Feuerwerk an Ideen, an Gefühlen und an Geschichten. Ein Feuerwerk, das mir persönlich an manchen Stellen beinahe zu laut und zu bunt ist. Unzählige kleine Erzählstränge wuseln durch den Körper der Geschichte, Pak Jun Do wird wie ein Boot auf dem Meer von einer Stelle zur nächsten getrieben, rastlos, völlig fremdbestimmt. Das hat es mir erschwert, mich mit ihm zu identifizieren, kaum war ich bei ihm, war er bereits wieder woanders. Zu bunt wird es mir, im Sinne von zu sehr ausgestaltet, wenn es um die Dialoge geht, in denen der Geliebte Führer Kim Jong Il selbst auftritt. Vielleicht werde ich hier Opfer der zahlreichen Parodien, aber ich kann mir diese Dialoge, so romanhaft sie eben auch gestaltet sind, nicht in aller Ernsthaftigkeit vorstellen – und so verlieren sie für mich ihren Reiz. Nicht alles muss man zeigen und sprachlich ausgestalten, hier hätte ich mir etwas weniger Worte gewünscht, mehr (Spiel)raum für eigene Assoziationen.

Was hat Adam Johnson bewogen, dieses Monumentalwerk von beinahe 700 Seiten ausgerechnet über Nordkorea zu schreiben? Er selbst sagt Folgendes:

Around the 2004 [U.S. Presidential] election I became fascinated with propaganda. The Bush administration was weighing heavily on me, and I remember they had the Healthy Forest Act, which actually called for increased logging and the destruction of forests. I had it in my head that such things were spin, but in studying North Korea I realized, oh no, that is propaganda.

Das ganze Interview gibt es hier. Mich hat dieses Buch überrascht, es war so vollkommen anders als ich erwartet hatte. Und so muss ich leider auch sagen, dass es mich nicht vollständig überzeugen konnte. Manche Passagen entfalten eine solche Wucht, das einem beinahe der Atem stockt, aber dann fühlt man sich auch wieder etwas alleingelassen in dieser überbordenden Fülle des Romans. Ein bisschen zu lang und ein bisschen zu ausgeschmückt für meinen Geschmack, ein bisschen zu romantisiert. Für mich kein Muss, wenn es mir auch einige schöne Lesestunden beschert hat.

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