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Jonas Lüscher – Frühling der Barbaren

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Jonas Lüscher ist ein schweizerischer Schriftsteller. Er machte eine Ausbildung zum Primarschullehrer in Bern und studierte an der Hochschule für Philosophie in München. Heute arbeitet er als Doktorand am Lehrstuhl für Philosophie an der ETH Zürich. Frühling der Barbaren ist sein Debüt; eine Novelle.

Dieses schmale Büchlein war für mich stilistisch und inhaltlich eine durch und durch positive Überraschung. Von außen vermutet man gar nicht, was alles in ihm steckt, – für mich eine Perle, die sich zu lesen lohnt! Schon mit der Erzählperspektive beginnt es, die Lüscher sehr geschickt konstruiert. Im Grunde gibt es zwei Erzähler, den alternden Preising, ein Schweizer Unternehmer, um dessen kleine Geschichte es geht und seinen Zuhörer, der in der Ich-Form über den Spaziergang mit Preising berichtet. Dieser kleine Kniff lässt eine fast filmische Atmosphäre entstehen, die mich vom ersten Satz an sofort in die Geschichte gezogen hat.

“Nein”, sagte Preising, “du stellst die falschen Fragen”, und um seinem Einwand Nachdruck zu verleihen, blieb er mitten auf dem Kiesweg stehen. Eine Angewohnheit, die ich nicht ausstehen konnte, denn dergestalt glichen unsere Spaziergänge den kurzatmigen Wanderungen alter, übergewichtiger Bassets. Und dennoch spazierte ich täglich mit Preising, denn an diesem Ort war er mir, trotz seiner zahlreichen ärgerlichen Eigenheiten, noch immer der liebste Gefährte. “Nein”, wiederholte er und setzte sich endlich wieder in Bewegung, “du stellst die falschen Fragen.”

Preising wird alt und wenn man ihn so sieht, könnte man tatsächlich meinen, er sei ein Relikt aus älteren Zeiten. Dieses Dasein kultiviert er, schon in seiner Sprache finden sich so einige Überbleibsel, die man charmant finden muss.

“Pass auf”, sagte er, “ich werde es dir beweisen, und zu diesem Behufe werde ich dir eine Geschichte erzählen.” Das war auch so eine von seinen Angewohnheiten, Worte zu verwenden, von denen er sicher sein konnte, dass er der Einzige war, der sie noch im Repertoire hatte.

Preising beginnt also zu erzählen. Von seinem Erbe, dem hoffnungslos antiquierten Telekommunikationsunternehmens seines Vaters, das nur mithilfe des Kollegen Prodanovic und der Erfindung der CBC-Schaltungen gerettet werden konnte. Und von eben diesem Prodanovic, der ihn in den Urlaub geschickt hatte. Das tat er öfter, wenn wichtige Entscheidungen in der Firma zu treffen waren, Preising war vielmehr das repräsentative Aushängeschild, da Prodanovic sich selbst für ungeeignet hielt.

Das Balkanhafte sei die Verkörperung der Instabilität, die es um jeden Preis als Eindruck zu vermeiden galt.

Er schickt Preising also nach Tunesien, in ein hübsches Resort in der Wüste, einer Berbersiedlung nachempfunden oder “dem, was sich der von der Marktforschung errechnete typische Tunesientourist der Premiumklasse unter einer typischen Berbersiedlung vorstellt.” Schon auf der Fahrt dorthin wird er Zeuge einer außergewöhnlichen Begebenheit. Mitten in der Wüste war ein Reisebus voller Touristen mit einer Horde Kamele zusammengeprallt. Die verenden nun in der heißen Wüstensonne, während der Kameltreiber sich voller Verzweiflung über seine Tiere wirft und die Touristen dem Schauspiel hilflos zusehen. Auch Preising weiß nicht, was er tun soll, zieht sich in den Wagen zurück, der ihn zum Thousand and One Night Resort bringen soll und liest die Financial Times. In der wieder von der Finanzkrise die Rede ist, die bedrohliche Ausmaße anzunehmen beginnt. Preising errechnet, das er genug Geld hätte, um die Existenz des Kameltreibers zu retten, der mit seinen Kamelen auch seine Lebensgrundlage verloren hat, aber wie sein Zuhörer uns verrät, fand Preising immer Gründe dafür, nicht zu handeln und passiv zu bleiben.

Im Resort selbst verlebt er einen recht annehmlichen Urlaub, er lernt eine hübsche Frau kennen, mit der er sich gelegentlich über Literatur austauscht – denn zufällig haben sie beide gerade dieselbe Lektüre – und mit deren Mann er in die Wüste fährt, um einige Vielkammerbauten zu besichtigen. Er nimmt an einer Hochzeit teil und die Stimmung ist ausgelassen – bis zu dem Punkt, als der britische Finanzmarkt kollabiert. Im Resort sind zahlreiche junge Finanzunternehmer, Börsianer und Spekulanten, deren Kreditkarten plötzlich gesperrt und die somit unfähig werden, ihren Luxusurlaub zu bezahlen. Sie verlieren reihenweise ihre Jobs und sitzen, weil aufgrund ausstehender Rechnungen weder Taxis fahren noch Flüge gehen, am Pool des Resorts fest. Und an diesem Pool bricht das Chaos aus, die Barbarei.

Ich klappe das Buch begeistert und noch immer ganz verliebt zu. Die Sprache ist ein Genuss, die unterschwellig mitschwingende Ironie das Sahnehäubchen obenauf. Preising ist mir als anachronistischer Unternehmer, geworfen in einen höchst aktuellen Konflikt, und in seiner Handlungsunfähigkeit dennoch so sympathisch, dass ich mehr von ihm hätte hören wollen. Die beiden älteren Herren spazieren auf dem Gelände einer Psychiatrie. Der Novelle ist ein Interview mit Jonas Lüscher vorangestellt, in dem er zu diesem Umstand das Folgende sagt:

Lüscher: Die Psychiatrie steht für meine hoffnungsvollen Tage, für meinen Glauben an die Beständigkeit bestimmter wohlfahrtsstaatlicher Institutionen. In meiner Novelle hat offenbar so etwas wie ein egalitäres Gesundheitssystem den Zusammenbruch des Finanzsystems überlebt. Preising und sein Gefährte, obwohl aus ganz unterschiedlichen sozialen Schichten, werden in derselben Klinik betreut und ihre psychischen Probleme werden ernst genommen. Das ist das positivste Bild, das ich finden konnte. Mehr Hoffnung habe ich nicht. Aber das ist doch auch schon was.

Ein absolut herausragendes und großartiges Debüt! Ich hoffe, ich werde in Zukunft noch mehr von Jonas Lüscher hören.

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