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Robert Seethaler – Der Trafikant

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Robert Seethaler ist ein österreichischer Schriftsteller, Drehbruchautor und Schauspieler. Für seine Werke erhielt Seethaler bereits zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, so zum Beispiel ein Stipendium des Heinrich-Heine-Hauses der Stadt Lüneburg und den Debütpreis des Buddenbrookhauses. Er lebt und schreibt heute in Wien und Berlin.

Als ich auf dieses Buch aufmerksam wurde, ich bin der regionalbedingten Ausdrücke Österreichs nicht besonders kundig, zwar weiß ich, was Paradeiser und Schlagobers sind, aber damit hat es sich, wusste ich nicht einmal, was eigentlich ein Trafikant ist. Sollte jemand unter denselben Bildungslücken leiden, sei gesagt, dass eine Trafik in Österreich eine Art Kiosk ist, ein Trafikant dementsprechend ein Kioskbesitzer. Robert Seethaler erzählt die Geschichte des 17-jährigen Franz Huchel, der, um Geld zu verdienen, aus einer kleinen Provinzstadt nach Wien kommt, um dort im Tabaktrafik von Otto Trsnjek zu arbeiten, einem alten Freund seiner Mutter. Es ist 1937, kurz vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, zwei Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Es liegt etwas in der Luft.

In Otto Trsnjeks Tabaktrafik ist das vorallendingen der Geruch von Druckerschwärze und Zigarren. Außerdem bedient Franz dort einen sehr illustren Kunden, dessen Berühmtheit sogar bis in das kleine Dorf gedrungen ist, aus dem Franz stammt. Es geht um Dr. Sigmund Freud. Der kauft bei Otto Trsnjeks Tabaktrafik regelmäßig ein und ist sogar ein echter Professor, im Gegensatz zu vielen anderen Wienern, die sich lediglich mit ihren Titeln schmücken. Franz ist fasziniert und begeistert und versucht daraufhin immer wieder, mit Freud ins Gespräch zu kommen. Der rät ihm, mit seinen siebzehn Jahren ein Mädchen zu suchen.

“Ein Mädchen!”, rief er derart gellend, dass die drei alten Damen, die sich auf der anderen Straßenseite eben erst zu einer Gassentratscherei zusammengerottet hatten, verschreckt ihre kunstvoll ondulierten Köpfe nach ihnen umdrehten. “Ja,.. wenn das so einfach wäre!” Endlich hatte er das ausgesprochen, was ihm schon seit langer Zeit, im Grunde genommen schon seit dem Tag, an dem seine ersten Schamhaare zaghaft zu sprießen begonnen hatten, sowohl das Herz als auch das Hirn umrührte.

“Bislang haben das noch die allermeisten geschafft”, meinte Freud und bugsierte mit seinem Gehstock zielsicher einen Kiesel vom Trottoir. “Das heißt aber noch lange nicht, dass ich es schaffen werde!” – “Und warum ausgerechnet du nicht?” – “Da, wo ich herkomme, verstehen die Leute vielleicht was von der Holzwirtschaft und davon, wie man den Sommerfrischlern ihr Geld aus den Taschen zieht. Von der Liebe verstehen sie rein gar nichts!” – “Das ist nichts Außergewöhnliches. Von der Liebe versteht nämlich niemand irgendetwas.” – Nicht einmal Sie?” – “Gerade ich nicht!”

“Aber warum verlieben sich dann alle Leute ständig und überall?” – “Junger Mann”, sagte Freud und hielt an, “Man muss das Wasser nicht verstehen, um kopfvoran hineinzuspringen!”

Zwischen Freud und Franz entwickelt sich eine besondere Freundschaft. Franz profitiert von Freuds Lebenserfahrung und Freud von Franz’ Unbedarftheit und seiner Jugendlichkeit. Denn er hat ja Freuds Rat befolgt und sogar in rasanter Geschwindigkeit ein Mädchen gefunden – doch mit der böhmischen Varietétänzerin Anezka läuft es nicht so rund wie es zunächst den Anschein hat. Auch die politische Lage spitzt sich zu, nachdem die Deutschen in Wien einmarschiert sind. Es gibt immer deutlichere antisemitische Ausschreitungen, die Stimmung heizt sich auf, die Menschen verändern sich. Das bemerkt Franz am deutlichsten, als die Gestapo Otto Trsnjek abholt – und er den Tabaktrafik allein weiterführen muss.

Ich habe ja ohnehin eine Schwäche für Bücher, die sich realer Personen und Ereignisse bedienen, um sie mit fiktivem Inhalt zu füllen. Das ist Robert Seethaler hier vortrefflich gelungen! Die Geschichte um Franz Huchel hat mich völlig gefangengenommen, die lebendige und vereinzelt poetische Sprache hat mich in positivster Weise umgarnt, sofort fühlte ich mich versetzt in das Wien der späten 30er-Jahre. (und erinnert an meinen Plan, irgendwann einmal nach Wien zu fahren!) Dieses Buch ist einfach herrlich vielseitig, ernst und nachdenklich, aber an anderer Stelle auch wieder humorvoll und erheiternd.

“Ich bin ein Nichts. Ein wertloses Stück Dreck!. Eine Fußmatte für die Abtritte der Menschheit. Ein Abfallkübel, bis über den Rand angefüllt mit schlechten Gedanken, schlechten Gefühlen und schlechten Träumen. So ist das. Obendrein bin ich unansehnlich. Unschön. Ungustiös. Und dick. Oh mein Gott, bin ich dick! Ein dickes, fettes Nilpferd. Ein plumpes, tonnenschweres Walross. Eine krankhaft ausgefressene Elefantenkuh! Das Einzige, was nach meinem Tode noch von mir übrig sein wird, ist ein teichgroßer Fettfleck. Ach, Herr Professor, wenn ich doch nur schon tot wäre! Wenn es doch nur endlich schon aus, vorbei und überstanden wäre!” Mrs. Buccleton brach wieder in Schluchzen aus.

Dieses Buch ist aber mitnichten albern! Es steckt voller sensibler und ruhiger Momente, ganz kleiner Beobachtungen und zauberhafter Ideen. Franz beginnt, nach dem Verschwinden Otto Trsnejks, die Aufzeichnungen seiner Träume, zu denen ihm Freud geraten hat, an dje Innenseite der Fenster des Trafiks zu kleben, sodass jeder vorüberhastende Passant sie lesen kann. Viele reagieren irritiert, andere nachdenklich. Eigentlich muss man bei diesem Buch gar keine großen Worte machen. Es bringt zum Schmunzeln, zum Nachdenken, zum Erinnern, zum Träumen, ohne in Retortenromantik und leere Hülsen abzudriften. Es ist einfach ein gutes Buch! Bevor ich jetzt noch lange tolle Ausdrücke für das ewig Gleiche finde – lesen!

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