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Michael Frayn – Willkommen auf Skios

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Michael Frayn (*1933) ist ein britischer Schriftsteller. Er studierte Französisch und Russisch in Cambridge, ein Jahr jedenfalls, bevor er zur philosophischen Fakultät überlief. Seine Arbeiten wurden bereits mehrfach ausgezeichnet, u.a. sein Schauspiel Kopenhagen, das einen fiktiven Dialog auf der Basis eines weniger fiktiven Treffens zwischen Werner Heisenberg und Niels Bohr beschreibt. Es entfachte bei seinem Erscheinen 1998 eine Debatte über die Verantwortlichkeit von Wissenschaft und erhielt einen Tony Award und den Prix Molière. Mit Demokratie schrieb Frayn 2003 ein Stück über Willy Brandt und die Guillaume-Affäre.

Wie würden wir uns wohl fühlen, wenn jemand, einfach so, weil es sich eben gerade ergäbe, unsere Identität annähme? Plötzlich glaubte uns niemand mehr, dass wir wir wären, egal, wie sehr wir uns ins Zeug legten, um das Gegenteil zu beweisen. In etwa so ergeht es dem armen Dr. Norman Wilfred, der auf Skios einen Vortrag über Wissenschaftsmanagement halten soll. Er ist ein Mann mittleren Alters, glatzköpfig und schon ein bisschen abgehalftert, mit etwas mehr Körperumfang und einem Vortrag in seinem Handgepäck. Bei der Fred-Toppler-Stiftung soll er Managern, Wirftschaftsweisen, deren Frauen und anderen Wissenschaftlern erklären, wie man Forschung und die Verteilung von Geldern individuell optimiert und den Gegebenheiten anpasst. Oder sowas. Käme da nicht ein Mann namens Oliver Fox dazwischen, der vermutlich die größte nicht-wissenschaftliche Katastrophe in einem wissenschaftlichen Umfeld auslöst.

Das nahezu unvermeidbare Malheur beginnt schon am Flughafen, an dem sowohl Oliver Fox als auch Dr. Norman Wildfred ankommen und der eine jeweils für den anderen gehalten wird. Unglücklicherweise vertauschen sie auch noch ihre Koffer und diese Taxifahrer, Stavros und Spiros sprechen himmelschreiend schlechtes Englisch! Im Gegensatz zu Dr. Norman Wilfred, der zunächst der Auffassung ist, alles ginge seinen Gang – abgesehen von dem verlorenen Koffer -, weiß Oliver Fox ganz genau, was er tut, als er mit einem verschmitzten Lächeln auf die äußerst charmante Dame zustolziert, die ein Schild mit der Aufschrift “Dr. Norman Wilfred’ in die Höhe streckt. Obwohl er nicht die geringste Ahnung von Wissenschaft oder Forschung hat, obwohl er nicht weiß, in wessen Identität er da schlüpft, begibt er sich zur Fred-Toppler-Stiftung. Ihm wird schon irgendwas einfallen, denkt er.

Und in der Tat fällt ihm eine ganze Menge ein. Durch vollkommen irrsinnige Zufälle gelingt es ihm nicht nur, sich in die Stiftung einschleusen zu lassen, sondern auch, alle Glauben zu machen, er sei Dr. Norman Wilfred. Auf fachliche Fragen antwortet er mit dem Kaffeeservice, das er zu ansehnlichen Pyramiden stapelt, alles andere streicht er mit demselben verschmitzten Lächeln beiseite wie seine blonden Haare aus der Stirn. Und alles das, während Dr. Norman Wilfred in einem Haus landet, das einer völlig Fremden gehört, in einem Landstrich der Insel, in dem er Ziegen, aber kein Frühstück vorfindet.

Nikki hatte im Laufe des Vormittags keine Zeit, öfter als zwanzigmal an Dr. Wilfred zu denken. Sie hastete zwischen Hafen und Helipad, zwischen Helipad und Flughafen hin und her. Es gab die üblichen Schwierigkeiten in letzter Minute – eine tote Katze im Joghurteimer in der Küche, der Lastwagen mit der Licht – und Tonanlage steckte auf dem Weg vom Hafen in einer Haarnadelkurve fest – und die üblichen Absagen und Änderungen in letzter Minute. Seine Exzellenz Scheich Abdul hilal bin-Taimour bin-Hamud bin-Ali al-Said hatte beschlossen, zwei Ehefrauen mehr als ursprünglich angekündigt mitzubringen. Der Bischof des Hesperiden-Archipels und von Teilen von Kronikae und Topikos drohte mit Abreise, sollte er am selben Tisch platziert werden wie der Präsident des panhellenistischen Rationalistenvereins.

Michael Frayn schreibt hier eine herrlich ironische und politisch vollkommen unkorrekte Verwechslungsgeschichte, die vor lauter blöden Zufällen nur so wimmelt. Mehrmals habe ich laut aufgelacht angesichts dieser scheinbar völlig organisch aus den verschiedensten Koinzidenzen hervorgehenden Begebenheiten. Nicht zuletzt sorgten die Taxifahrer Stavros und Spiros für viel Erheiterung, denn die beiden sehen sich so ähnlich, dass sie ebenfalls ständig verwechselt werden, darüber hinaus kutschieren sie das Personal unserer Geschichte, überwiegend Oliver Fox und Dr. Norman Wilfred, mehrmals auf Skios von A nach B und fahren dabei auch noch wiederholt aneinander vorbei.

Die Komik dieses Buches ist eine, die vollkommen meinen Nerv getroffen hat. Nun sind Verwechslungsgeschichten natürlich immer ähnlich aufgebaut, man erlebt in der Konzeption der Geschichte keine großen Überraschungen. Aber wie sie geschrieben ist, macht zweifellos den Unterschied und gibt den Ausschlag hin zu einem rundum vergnüglichen und unterhaltsamen Leseerlebnis auf sprachlich hohem Niveau! Schon allein für das furiose Finale müsste man es lesen, verblüffend! Eine völlig vorbehaltlose Empfehlung für einen tollen und humorvollen Roman über .. die Variabilität von Identität vielleicht. Und eine gewisse Autoritätsgläubigkeit.

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